Coronavirus im Landkreis München:Jung, getestet - und immer häufiger infiziert

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Mit Selbsttests an Schulen werden Infektionen aufgedeckt. (Foto: dpa)

Die Sieben-Tage-Inzidenz, die Maßzahl für die Ausbreitung der Pandemie, ist unter jungen Menschen inzwischen doppelt so hoch wie unter Senioren. Rufe nach kompletten Schulschließungen werden dennoch nicht laut.

Von Martin Mühlfenzl und Sabine Wejsada, Landkreis

Waren es in der ersten und zweiten Welle der Corona-Pandemie vor allem die Älteren, die sich ansteckten, sind es mittlerweile die Jüngeren, die sich mit dem Virus infizieren - verstärkt gerade auch Kinder und Jugendliche. Die Zahlen sind alarmierend: Im Landkreis München beträgt die Sieben-Tage-Inzidenz bei den Zehn- bis 14-Jährigen aktuell mehr als 230, bei den 15- bis 34-Jährigen liegt sie mit 263 sogar noch höher. Das ist ungleich mehr als auf die Gesamtbevölkerung im Landkreis gesehen, für die das Robert-Koch-Institut (RKI) am Mittwochmorgen einen Wert von 174,3 Ansteckungen pro 100 000 Einwohner in sieben Tagen angegeben hat. Zum Vergleich: Unter den 70- bis 79-Jährigen, die derzeit mit dem Impfen an der Reihe sind, liegt der Wert nur noch bei etwa 130. Von allen 13 690 Infizierten sind bislang 2325 minderjährig, das sind 17 Prozent - Tendenz steigend. Aber nur 1897 sind über 70.

Seit Wochenbeginn gibt es für die meisten Schüler im Freistaat Fernunterricht, ausgenommen sind nur die Abschlussklassen an den Grund- und weiterführenden Schulen sowie die elfte Jahrgangsstufe. In den Kitas läuft nur eine Notbetreuung. Trotzdem steigen die Zahlen weiter. Für den Münchner Kinderarzt Philipp Schoof, der in Unterföhring eine Filialpraxis unterhält, ist das eine logische Folge der verpflichtenden Tests vor dem Unterricht. "Das ist pure Mathematik", sagt der Obmann des Berufsverbands für Kinder- und Jugendärzte. Wo viel getestet wird, steigen die Zahlen. Keine andere Gruppe in der Bevölkerung werde so engmaschig überprüft wie Schülerinnen und Schüler, die sich - so sie Unterricht haben - drei Mal in der Woche selbst testen müssen. "Schulen sind einer der wenigen Orte, an dem ein Positiver auffällt und isoliert wird." Schoof ist nach eigenen Worten überzeugt, dass das Infektionsgeschehen an den Schulen nur ein Abbild dessen ist, was sich in der Gesamtheit der Bevölkerung abspielt, aber mangels Testung nicht entdeckt wird.

Stand Mittwoch befanden sich - trotz Distanzunterrichts - Klassen an 19 Schulen in Quarantäne, hinzu kommen 27 Kindertageseinrichtungen. Selbst bei den unter Vierjährigen liegt die Inzidenz im Landkreis nahe der Marke von 100.

Trotz der hohen Zahlen plädiert Nevio Zuber dafür, die Schulen nicht noch weiter dicht zu machen. "Vor allem die Abschlussklassen müssen so lange wie möglich in den Schulen bleiben", sagt der Hohenbrunner, der stellvertretender Landesschülersprecher ist und das Ottobrunner Gymnasium besucht. Schulen seien sehr sichere Orte. "Wir haben super Hygienekonzepte, Desinfektionsmittel, halten Abstand und die Schnelltests funktionieren auch."

Einen weiteren möglichen Grund für den Anstieg der Inzidenzwerte bei Kindern und Jugendlichen sieht der Mediziner Schoof darin, dass die britische Mutante sich leichter verbreitet und ansteckender ist als das Virus in der ersten und zweiten Welle der Pandemie, als sich vor allem die Älteren infizierten. Dem aktuell grassierenden Erreger reiche schon eine sehr geringe Viruslast, um von einem Menschen auf den anderen überzuspringen. Das bestätigt auch Gerhard Schmid, der Leiter des Gesundheitsamtes: Die Varianten verbreiteten sich vor allem in geschlossenen Räumen deutlich schneller. In einem Haushalt seien Infektionen trotz Hygienemaßnahmen möglich.

In Schulen sei die Zahl der Kontakte zwar hoch, sagt Kinderarzt Schoof, im Gegensatz zu Treffen in der Freizeit seien die Chancen aber deutlich besser, Infektionsketten in der Nachverfolgung zu unterbrechen, da die Daten der Schüler bekannt sind. Das beuge einer Cluster-Bildung vor, sagt Schoof, dem die "grottenschlechte Nachverfolgung" von Infektionsketten auch nach einem Jahr Corona ein Dorn im Auge ist. Da müsse es mehr Digitalisierung und weniger Bürokratie geben.

Was das Offenhalten von Kitas und Schulen angeht, braucht es nach den Worten des Kinderarztes einen tragfähigen Kompromiss. Schulen müssten natürlich ab einem gewissen Grad der Pandemie geschlossen werden, ob es aber bereits der in Bayern geltende Inzidenzwert von 100 sein muss, darüber lässt sich laut Schoof streiten. Die Politik habe es versäumt, binnen eines Jahres genügend Sicherheit für Lehrer sowie Schüler und damit auch für die Elternhäuser zu schaffen. "Da ist Luft nach oben", findet der Kinderarzt und wundert sich, dass nicht überall Luftfilter zum Einsatz kommen oder in den Klassenzimmern zwischen den Schülern Plexiglas-Trennwände aufgestellt werden. Dass in Deutschland bereits das zweite Mal Schulen und Kitas als Erstes geschlossen worden sind, ist für Schoof "ein Staatsversagen" und zeige, dass Kinder und Jugendliche den Preis für die Pandemie zahlten.

© SZ vom 22.04.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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