Inklusion:Von der Behinderten-Werkstatt in die Kita

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Annalena Troeger in der Kita an der Säbenerstrasse. Hier arbeitet sie gemeinsam mit ihrer Mutter und will den "Kleinen Kita Brief" erlangen. (Foto: Catherina Hess)

In einem Pilotprojekt des Höhenkirchner Vereins "Zukunft mit Handicap" arbeiten Menschen mit kognitiven Einschränkungen als Hilfskräfte in der Kinderbetreuung. Das ermöglicht ihnen eine erfüllende Beschäftigung - und lindert gleichzeitig die Personalnot.

Von Patrik Stäbler, Höhenkirchen-Siegertsbrunn

Bis vor Kurzem hat Annalena Troeger in einer Werkstatt für Menschen mit Behinderung für einen Autohersteller "Sachen zusammengesteckt", wie die 21-Jährige aus Taufkirchen erzählt. Ob ihr diese Arbeit gefallen hat? Bei der Frage verdunkelt sich ihre eben noch fröhliche Miene. "Das war ziemlich langweilig", sagt sie dann. Seit einigen Tagen jedoch arbeitet Annalena Troeger in einer Kita in München, wo sie mit den Kindern bastelt, in der Bauecke spielt und das pädagogische Personal als Hilfskraft unterstützt. Ob das mehr Spaß macht? Nun geht in ihrem Gesicht wieder die Sonne auf. "Ja, ja, ja", sagt sie. "Das ist viel besser."

Parallel zu ihrer Tätigkeit in der Einrichtung strebt Annalena Troeger auch ein Zertifikat in dem Bereich an - nämlich den "Kleinen Kita-Brief". Hinter dieser beruflichen Qualifizierungsmaßnahme steht ein Pilotprojekt, das der Verein "Zukunft trotz Handicap" aus Höhenkirchen-Siegertsbrunn in Kooperation mit der Gemeinde, dem Verein "Lebenshilfe Werkstatt München", dem Augustinum und der Firma Bildungsimpulse ins Leben gerufen hat. Ein Jahr lang werden insgesamt zehn Menschen mit kognitiven Einschränkungen in Theorie und Praxis darauf vorbereitet, als pädagogische Hilfskräfte in einer Kita zu arbeiten. Parallel dazu sind die neun Teilnehmerinnen und der Teilnehmer bereits in Betreuungseinrichtungen tätig, sodass sie das Gelernte sofort umsetzen können. Nach Abschluss des Programms und bestandener Prüfung erhalten sie dann das Zertifikat "Kleiner Kita-Brief", mit dem sie sich um eine dauerhafte Anstellung bewerben können - so der Plan.

"Unser Ziel ist es, die Menschen in einen sozialversicherungspflichtigen Arbeitsplatz zu bringen"

"Unser Ziel ist es, die Menschen in einen sozialversicherungspflichtigen Arbeitsplatz zu bringen", sagt die Vorsitzende des Vereins "Zukunft trotz Handicap", Andrea Hanisch. "Das ist ein wesentlicher Schritt in Richtung Inklusion von Menschen mit Behinderung in die Arbeitswelt - und damit in die Gesellschaft." Als Vorbild für das Pilotprojekt dient der "Kleine Wirte-Brief", den der Verein 2020 ins Leben gerufen hat, um Menschen mit Behinderung für einen Job in der Gastronomie fit zu machen. Die Erfahrungen mit dieser Fortbildung, die im Oktober in die zweite Runde geht, seien durchweg positiv gewesen, berichtet Andrea Hanisch. "Bei fast allen der zehn Teilnehmer hat es geklappt, dass sie danach eine Arbeit bekommen. Das Zertifikat war für sie ein Sprungbrett und ein sichtbares Zeichen ihrer Qualifizierung."

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Ähnliche Erfolge erhofft man sich nun also im Bereich der Kinderbetreuung, wo ebenfalls ein großer Bedarf an Arbeitskräften herrscht. "Mit diesem Projekt machen Sie eine Türe auf für Menschen, die zunächst nicht die Chance haben, im allgemeinen Arbeitsmarkt unterzukommen - obwohl sie es wollen", sagt Bezirkstagspräsident Josef Mederer (CSU) bei der Auftaktveranstaltung zum "Kleinen Kita-Brief". Und Bürgermeisterin Mindy Konwitschny (SPD) betont mit Blick auf das Engagement des Vereins "Zukunft trotz Handicap": "Inklusion ist eine Erweiterung unseres Zusammenlebens - und nicht eine Hürde, wie es früher einmal dargestellt wurde."

Menschen mit Handicap seien für Krippen und Kindergärten gleich in mehrfacher Hinsicht eine Bereicherung, findet Katja Gründer, Leiterin des Kindergartens Nikodemäuse in Schwabing. Dort sind bereits seit vielen Jahren drei Hilfskräfte aus den Augustinum-Werkstätten in der Einrichtung tätig. "Für die Kinder ist das eine große Bereicherung, weil sie schon früh mit dem Anderssein konfrontiert werden - und damit, dass es völlig in Ordnung ist, anders zu sein", sagt Katja Gründer. Zudem hätten die Hilfskräfte - anders als oftmals das pädagogische Personal - viel Zeit, um den Kindern ein Buch vorzulesen oder mit ihnen zu spielen. Auch die Eltern seien von dieser Form der Unterstützung begeistert, betont Katja Gründer. "Wir sind bisher noch nicht ein einziges Mal auf Ablehnung gestoßen."

Annalena Troeger jedenfalls kann sich gut vorstellen, nach der Fortbildung dauerhaft in einer Kita tätig zu sein. Schließlich mache ihr die Arbeit mit den Kindern viel Spaß, sagt die Taufkirchnerin. Zunächst aber will sie in Höhenkirchen-Siegertsbrunn den "Kleinen Kita-Brief" im Rahmen des Pilotprojekts erlangen, bei dem der Verein "Zukunft trotz Handicap" die Ausbildungskosten über Spenden finanziert. "Irgendwann wird diese Quelle aber versiegt sein", mahnt Vorsitzende Andrea Hanisch. "Auch deshalb brauchen wir die Politik, damit dieses Projekt nachhaltig wird."

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