Lebensrettende Maßnahmen:Wenn das Smartphone zum Einsatz ruft

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Die Herzdruckmassage hilft bei Kreislaufstillstand. Allerdings muss sie schnell erfolgen. (Foto: Arno Burgi/dpa)

Im Notfall kommt es auf jede Minute an, doch viele Menschen trauen sich nicht, Erste Hilfe zu leisten. In Stadt und Landkreis München sollen daher professionelle Retter und ausgebildete Laien, die in der Nähe sind, künftig über Mobilfunk alarmiert werden.

Von Bernhard Lohr, Landkreis München

Ein Mann bricht auf der Straße zusammen. Er hat einen Herzinfarkt oder einen plötzlichen Herzstillstand. Passanten eilen herbei und wählen den Notruf. Doch so schnell die professionellen Lebensretter auch kommen, ein paar Minuten vergehen immer. Und in denen kommt es auf die an, die bereits da sind.

Eine Herzdruckmassage kann Leben retten oder verhindern, dass jemand nach der Reanimation zum Pflegefall wird. Doch allzu oft unterbleibt diese lebensrettende Maßnahme, weil Augenzeugen überfordert sind oder nicht wissen, was zu tun ist. Deshalb will der Landkreis München möglichst viele ausgebildete Kräfte in einen Datenpool aufzunehmen, damit diese bei Notfällen in ihrer Nähe per Mobilfunk schnell gerufen werden können. Das können Feuerwehrleute, Ärzte, Pflegekräfte oder auch geschulte Laien sein.

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Nur 31 Prozent der Deutschen sind einer Erhebung zufolge, die das Landratsamt München zitiert, bereit, bei einem Notfall die notwendige erste Hilfe zu leisten. Andere Länder sind da viel weiter: 45 Prozent der Dänen könnten helfen und in Norwegen sind es sogar 71 Prozent der Menschen, die mit einer Herzdruckmassage versuchen würden, den Kreislauf eines Bewusstlosen wieder in Gang zu bringen und so Gehirnschäden zu vermeiden.

Christoph Breitfeld, Bereitschaftsleiter des Bayerischen Roten Kreuzes (BRK) in Unterschleißheim, betont, wie wichtig erste Hilfe ist, und versucht, Ängste davor zu nehmen. Wenn jemand mit einem Herzstillstand am Boden liegt, "kann man nichts mehr falsch machen", sagt der Rettungssanitäter. "Nach zwei Minuten beginnt das Gehirn abzusterben." Eine Herzdruckmassage sei dann das ultimative Mittel der Wahl. "Wir brauchen schnell Sauerstoff im Kopf. Man kann nichts kaputt machen."

Nur schnelles Handeln könne Schäden am Gehirn verhindern, weiß der Unterschleißheimer BRK-Bereitschaftsleiter Christoph Breitfeld. (Foto: Florian Peljak)

Breitfeld begrüßt deshalb die Initiative, über eine sogenannte "mobilfunkaktivierte Laienreanimation" schneller Hilfe zu Patienten zu bringen. Wenn man die Smartphone-Aktivierung gut umsetze und genügend Leute ausbilde, könne das neue Programm das Rettungswesen "nach vorne bringen". Das System sieht vor, dass im Datenpool gesammelte Helfer per Smartphone je nach Meldebild - wie etwa "bewusstlose Person" oder "Herz-Kreislauf-Stillstand" - und Nähe zum Einsatzort angefunkt werden. Wenn sich ein möglicher "mobiler Retter" nicht meldet oder einen Einsatz ablehnt, wird der nächste Helfer angefunkt, bis der Einsatz übernommen wird. Damit soll die Rettungsquote erhöht werden. Jedes Jahr müssen in Deutschland laut Landratsamt 75 000 Menschen wiederbelebt werden, nur 5000 von ihnen überleben ohne beeinträchtigende bleibende Schäden.

In der Stadt gibt es 18 Notrufsäulen an öffentlichen Orten. (Foto: Theresa Meyer)

Würde in Unterschleißheim jemand auf offener Straße zusammenbrechen, hätte er wohl Glück im Unglück. Denn in der Stadt sind nicht nur Helfer des BRK stationiert, auch das Netz anderer Helfer ist eng geknüpft. Florian Schanderl ist Leiter der First-Responder-Einheit der Freiwilligen Feuerwehr. Nach seinen Worten werden bei einem Notruf immer gleich zwei Feuerwehr-Retter losgeschickt, die in drei bis sechs Minuten beim Patienten seien, um erste Hilfe zu leisten, bis der Notarzt eintrifft. Die Stadt hat zudem 18 Notrufsäulen an öffentlichen Orten errichten lassen, an denen Defibrillatoren hängen. Jeden ersten Montag im Monat werden Schulungen angeboten, wie man diese Geräte bei Herzstillstand einsetzt. Doch nicht überall ist die Situation so komfortabel.

Die Hilfsfrist in Bayern beträgt zwölf Minuten. Das ist viel zu lang

Zwölf Minuten lautet die bayernweit festgeschriebene Hilfsfrist für Rettungskräfte. Bei Herzstillstand reicht das nicht aus, um schwere oder schwerste Schäden zu vermeiden, sagt Feuerwehrmann Schanderl. "Pro Minute sinkt die Überlebenswahrscheinlichkeit um zehn Prozent." Zu 20 bis 30 Fällen mit Herzstillstand werde er mit seiner First-Responder-Einheit im Jahr gerufen, in drei bis sechs Minuten kann in Unterschleißheim nach seiner Einschätzung ein First-Responder-Helfer beim Patienten sein. Schon 1994 nahm dort die Einsatzgruppe der Feuerwehr ihren Dienst auf, weil man damals das Problem mit der Hilfsfrist erkannt hatte. Mit Oberschleißheim und Aschheim bildete man laut Schanderl die ersten Einheiten dieser Art im Raum München und mit die ersten in Deutschland überhaupt. 23 First-Responder-Einheiten gibt es Schanderl zufolge inzwischen im Landkreis München.

Florian Schanderl leitet die First-Responder-Einheit in Unterschleißheim. (Foto: Theresa Meyer Fotografie)

Die Stadt München beschloss bereits 2017 die Aktivierung von Helfern per Mobilfunk. Im Jahr 2020 folgte ein Kooperationsvertrag mit dem Landkreis München und dem Arbeitskreis Notfallmedizin und Rettungswesen (ANR), um den Ausbau der Hilfeleistung über drei Stufen hinweg in Stadt und Landkreis zu organisieren. Wegen der Corona-Pandemie geriet das Projekt allerdings ins Stocken. Doch die erste Stufe, bei der hauptberuflich Beschäftigte der Rettungsdienstorganisationen in die Mobilfunk-Aktivierung eingebunden sind, läuft laut Landratsamt im Rettungsdienstbereich München. Die zweite Stufe sieht vor, den Personenkreis auf medizinisch ausgebildetes Personal auszuweiten sowie betriebliche Ersthelferinnen und Ersthelfer heranzuziehen. Als nächstes sollen Laien geschult und in das Projekt eingebunden werden.

Dieser Schritt steht nun an. Der Kreisausschuss des Kreistags hat beschlossen, dem ANR dafür kommendes Jahr knapp 40 000 Euro zur Verfügung zu stellen und auch eine Förderung bis zum Jahr 2027 in Aussicht gestellt. Es geht um den Aufbau von Schulungsangeboten, aber auch darum, sicherzustellen, dass die Ehrenamtlichen qualifiziert betreut werden. Auch sind PR-Aktionen geplant, um das Projekt öffentlich bekannt zu machen. Ein Qualitätsmanagement ist ebenfalls vorgesehen. Wie sagt BRK-Bereitschaftsleiter Breitfeld? Man kann nichts falsch machen. Nur helfen.

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