Musikalische Lesung:Mehr schee als schiach

Lesezeit: 3 min

Bärbi, Franzi und Moni Well (von links) umrahmen die "Heilige Nacht" mit Dreigesang, Stofferl Well lässt Harfentöne erklingen und Monika Baumgartner trägt Thomas Vers-Epos versiert vor. (Foto: Stephan Rumpf)

Monika Baumgartner und Mitglieder der Well-Familie entfalten in Planegg kongenial den Zauber von Ludwig Thomas "Heiliger Nacht".

Von Udo Watter, Planegg

Nicht bloß vom Erhabenen zum Lächerlichen ist es manchmal nur ein Schritt, auch vom Schönen zum Schrecklichen. Oder bairischer formuliert: Zwischen schee und schiach is a net weit. Maria und Josef jedenfalls wandern in Ludwig Thomas Vers-Epos "Heilige Nacht" in einer tief verschneiten bayerischen Winterlandschaft umher, aber so romantisch das Setting beim Zuhören zunächst anmuten mag, so gefährlich und beschwerlich ist die Reise von Nazareth "auf Bethlehem ummi". Vor allem für die hochschwangere Maria. Dünnes "Schuahwerk", viele Buckel und dann noch der kalte, "schiache Wind". Vor dem in den Wald zu fliehen, bietet sich zwar an, doch dort drohen der "schiache Nebel" und bald die Stille und Kälte der Nacht.

"Im Wald is so staad, alle Weg san verwaht" - von diesem Spruch seines Begleiters bei einer Jagd 1915 in den verschneiten Tegernseer Bergen hat sich Thoma zu seiner Weihnachtsgeschichte anregen lassen. "Im Wald is so staad alle Wege sind verwaht" - das ertönt am Mittwochabend auch klangschön im Planegger Kupferhaus. Was die beiden Schwestern Moni und Bärbi Well mit Bärbis Tochter Franzi im Dreigesang vortragen, ist textlich letztlich auch eine Kombination aus Idylle und Schauder.

Newsletter abonnieren
:SZ Gerne draußen!

Land und Leute rund um München erkunden: Jeden Donnerstag mit den besten Freizeittipps fürs Wochenende. Kostenlos anmelden.

Zusammen mit Christoph Well, dem Bruder von Bärbi und Moni, gestalteten die drei Well-Frauen den musikalischen Part des Abends, während Monika Baumgartner die "Heilige Nacht", Thomas 1916 geschriebene Version des Lukas-Evangeliums, vortrug. Und wie sie das tat: Die 1951 in München geborene Schauspielerin und Theaterregisseurin beherrschte den Text in vierzeiliger Strophenform nahezu perfekt, Melodie und Mundart entfalteten sich bei ihr versiert im gesprochenen Wort. Auch die unterschiedlichen Charaktere vermochte sie eindrucksvoll sprechen zu lassen - nicht zuletzt die reichen, unfreundlichen Protagonisten, die dem heiligen Paar das Gastrecht verweigern. "Geht's weida, geht's zua!" ist da noch das Harmloseste, was sich Josef und Maria auf ihrer Herbergssuche anhören müssen. Auch bei Josefs in Bethlehem wohnender Base und ihrem wohlhabenden Mann Josias erfahren sie eine Abfuhr in pfeilgrad gschertem Ton. Wie pointiert Baumgartner das herüberbringt, entlockt auch den neben ihr sitzenden Wells das ein oder andere Schmunzeln.

Christoph Well demonstriert sein multi-musikalisches Können

In Thomas Weihnachtslegende dreht es sich ja auch darum, dass die Reichen in ihrer Hartherzigkeit vom Weihnachtwunder bei ihnen um die Ecke nichts mitbekommen, während nur die hilfsbereiten Armen das neu geborene Christkind, den Heiland, in dieser besonderen Nacht sehen. Die Strophen Thomas werden von Gesängen begleitet, welche die Well-Frauen meist anrührend, aber auch mal neckisch darbieten. Franzi, an dem Abend die erste Stimme des Trios, hatte dabei in dieser Rolle ihren Premieren-Auftritt. Wunderbar auch Christoph "Stofferl" Well, der sein multi-musikalisches Können demonstrierte - von der Trompete über Harfe und Akkordeon bis zur Maultrommel - und ab und an unterstützte er die weibliche Verwandtschaft mit seiner Stimme. Die bot unter anderem noch das berührende "Es wird scho glei dumpa" dar.

Besonders schön passten freilich auch die zauberischen Klangfarben seiner Harfe zum weihnachtlichen Kosmos. Ihre Saiten brachten per Glissando gleichsam die Seelensaiten der Zuhörer zum Klingen. Als akustisch-zärtliche Allegorie für Schneeflockenwirbel ist das Instrument ohnehin ein Klassiker - etwa in den ersten Takten des Blumenwalzers aus Tschaikowsky "Nussknacker", die der Harfenist vorträgt - oder auch als leise Untermalung des erzählerischen Geschehens. An diesem Abend ist es quasi auch der Stofferl, aus dem die Träume sind.

Melodie und Mundart entfalteten sich bei Monika Baumgartner eindrucksvoll im gesprochenen Wort. Da spitzt auch Christoph Well. (Foto: Stephan Rumpf)

Generell ist Ludwig Thomas Vers-Epos seit seiner Geburt vor mehr als hundert Jahren zum bayerischen Volksgut geworden, ein geliebtes Stück Tradition, dass in der Adventszeit unzählige Mal aufgeführt wird. Bisweilen steht es freilich unter leisem Kitschverdacht, nicht zuletzt weil Handlung und Sprachmelodie eine Art wohlig-warmes Bauernstubengefühl hinterlassen, das mit der erahnten Wärme im Stall von Bethlehem korrespondiert. Auch die Darstellung von hartherzigen Reichen und hilfsbereiten Armen mag ein wenig zugespitzt sein, sie ist aber wohl vor allem von Kritik an sozialer Ungerechtigkeit befeuert. Der Wunsch nach Frieden mitten im Ersten Weltkrieg, dem Thoma damals Ausdruck verlieh, bevor er sich nach dem Krieg zum Verfasser hasserfüllter, antidemokratischer und antisemitischer Artikel entwickelte, ist ja ohnehin zeitlos; und natürlich gerade jetzt, mit Blick auf den Krieg im Nahen Osten, also das im biblischen Sinne Heilige Land, erschreckend aktuell.

"Ehre sei Gott in der Höh' und Frieden den Menschen herunt!", liest Baumgartner gegen Ende und auch in ihrer kurzen erzählerischen Zugabe betont sie, wie wichtig die "Flamme der Hoffnung" ist. Sie vermag, die Flammen des Friedens und der Liebe wieder anzuzünden.

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

SZ PlusWeihnachtsumfrage
:"Man braucht weniger, um glücklich zu sein"

Philipp Rauschnabel befragt die Deutschen alle Jahre wieder zu Weihnachten. Corona habe das Fest nachhaltig geprägt, sagt der Wirtschaftswissenschaftler. Wie sich Traditionen und Erwartungen verändert haben - und welche Rolle Chat GPT spielt.

Interview von Daniela Bode

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: