Kriminalität:Drogendeals auf offener Straße

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Der Jagdfeldsee ohne Wasser: Der künstlich geschaffene und natürlich in der Regel gefüllte See im Zentrum des Wohnviertels ist ein Anlaufpunkt für viele. (Foto: Claus Schunk)

Ein Anwohner des Haarer Hochhausviertels schildert eindrücklich, wie am Jagdfeldsee vor aller Augen Päckchen mit Rauschgift den Besitzer wechseln. Bürgermeister Bukowski zeigt sich besorgt, doch die Polizei sieht dort keinen Brennpunkt.

Von Bernhard Lohr, Haar

Es sind Deals auf offener Bühne. Die meist jungen Männer verstecken sich nicht groß, wenn sie am kleinen See im Jagdfeld-Wohngebiet ihre Drogengeschäfte abwickeln. Die Anwohner kriegen das alles seit Jahren mit. Einer von ihnen hat am Dienstagabend in der Fragestunde des Gemeinderats das Wort erhoben, weil er es einfach nicht fassen kann, was er regelmäßig vor seiner Haustür erlebt, und sich fragt, warum Gemeinde, Polizei und die in Haar eingesetzte Sicherheitswacht nichts unternehmen. "Ich fühle mich von der Polizei völlig im Stich gelassen", sagte er. Er dramatisierte nicht und schimpfte nicht. Aber was er ganz ruhig an Erlebnissen schilderte, wirft Fragen auf.

So begegnete er letztens einem Mann, der offen vor ihm mit einem Bündel Geldscheine hantierte und freundlich "Griaß di" zu ihm sagte. Andere sieht der Anwohner immer wieder mal, wie sie Päckchen in Mülleimern, hinter Büschen oder ihrem Hosenbund verschwinden lassen, wenn jemand kommt, bevor sie selbst sich verdrücken. Nicht immer läuft es so entspannt ab. Einmal sei er verbal von einem offenbar unter Drogeneinfluss stehenden Mann heftig angegangen worden, sagte Jagdfeld-Bewohner. "Ich stech' dich gleich ab", habe der gerufen. Den direkten Kontakt mit den Leuten meidet der Anwohner mittlerweile. Er gehe da nicht mehr runter.

Dabei ist er in der Nachbarschaft wohl einer der wenigen, die überhaupt noch hinschauen. Wahrscheinlich auch deshalb, weil sich nichts ändert. Der Anwohner erzählte, wie er die Polizei gerufen habe und die dann nach 40 Minuten, nach einer Stunde oder auch nach zwei Stunden angefahren gekommen sei; und dann noch mit angeschaltetem Blaulicht. Die Gruppe von Leuten am Jagdfeldsee habe sich bis dahin sowieso schon aufgelöst gehabt oder sei verschwunden, als man die ankommende Streife wahrgenommen habe.

"So darf's und soll's nicht sein", sagt der Bürgermeister

Vom Rathaus und von der Polizei gibt es dazu durchaus widersprüchliche Reaktionen. Bürgermeister Andreas Bukowski (CSU) zeigte sich von den Aussagen des Anwohners betroffen und schien durchaus im Bilde zu sein. "So darf's und soll's nicht sein." Die Kriminalpolizei habe das sehr wohl auf dem Schirm, sagte Bukowksi, und sie setze auch Zivilfahnder ein, um an diesem Ort die Szene aufzulösen. Stefan Roß, der Leiter der Polizeiinspektion in Haar, sagte dagegen am Mittwoch, er könne das Geschilderte so nicht bestätigen. "Wir als PI 27 haben dort keinen Brennpunkt." Drogen würden überall konsumiert und abgegeben. Auch habe sich seit Monaten niemand bei der Inspektion mit derartigen Klagen gemeldet.

Es geht wohl vor allem um weiche Drogen, also um Cannabis. So stellte es Bürgermeister Bukowski dar. Die Sicherheitswacht schaut gerade auch am Jagdfeldsee nach dem Rechten, wobei sie laut Inspektionsleiter Roß insbesondere wegen Ruhestörung dort eingesetzt und zuletzt eigens aufgestockt worden ist, um die Jugendlichen am See etwas einzuhegen. Die Polizei setzt auf die Hilfssheriffs auch deshalb, weil sie eine Entlastung bieten. Denn die für fünf Gemeinden zuständige Inspektion ist mehr als gut beschäftigt. Indirekt räumt Roß ein, dass die Personalsituation angespannt ist. Es sei halt so wie überall, sagt er. Im Übrigen sei Drogenkriminalität Sache der Kriminalpolizei in München.

Polizeichef Roß zieht einen Vergleich, um die Lage im Jagdfeld einzuordnen: Wenn 1000 Menschen in die Berge gehen und einer verunglückt dabei, fällt das kaum auf. Aber was ist, wenn 100 000 in die Berge gehen? Dort in der Hochhaussiedlung lebten eben viele Menschen auf engem Raum, sagt er. Deshalb passiere da entsprechend mehr. Dennoch: Für den Anwohner, der sich in der Sitzung zu Wort meldete, sind das keine Petitessen. Er sehe im Jagdfeld 15-Jährige, die offenkundig Drogen konsumierten. Auch Kinder seien dort unterwegs. Unabhängig davon gab es Anfang des Jahres auch Alarmrufe, in der nahen Tiefgarage des Bildungszentrums an der Wasserburger Straße könnte sich eine harte Drogenszene etablieren. Das Rathaus zeigte sich alarmiert, die Polizei eher weniger. So wie jetzt auch.

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