Porträt:Grenzenlos im Einsatz

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Abenteurer und Unternehmer: Andreas Mühlberger aus Grasbrunn steht ständig unter Strom, alleine dreimal war er seit Kriegsausbruch bereits an der ukrainischen Grenze, um Hilfsgüter zu bringen. (Foto: Alessandra Schellnegger)

Gleich zu Beginn der Corona-Pandemie baute Andreas Mühlberger in Grafing eine Maskenfabrik auf, seit dem Krieg in der Ukraine organisiert der Grasbrunner Hilfslieferungen. Dazwischen bereist er die Welt mit dem Motorrad. Über einen Mann, der scheinbar unerschöpfliche Energie hat und keine Risiken scheut.

Von Timo Schmidt, Grasbrunn

Es klingelt lange. Dann meldet sich der Angerufene etwas kurz angebunden: "Ja?" Ob er mal Zeit für ein Gespräch hätte? "Ich bin gerade in Neu-Delhi", ist durch das Knistern der Verbindung gerade noch zu verstehen. "Bin erst übermorgen wieder da."

Drei Tage später sitzt Andreas Mühlberger in einem Café in München. Zu dem Gespräch kommt er mit dem Motorrad. Der weiße Bart und die weißen Haare leuchten beinahe von selbst unter dem dunklen Helm hindurch. "Mit der eigenen Maschine ist das gleich ein ganz anderes Gefühl", meint Mühlberger, die Motorradjacke abstreifend. Von Jetlag keine Spur, als er eine wildfremde Gruppe Männer im Café wie alte Freunde fröhlich grüßt. Die Kellnerin verwickelt er sofort mit einem gewinnenden Lächeln auf den Lippen in ein Gespräch. Durch das Persönliche scheint Mühlberger erst so richtig aufzublühen. Das sofortige, kumpelhafte Du ist ihm da wie auf den Leib geschneidert. Doch als Kaffee und Frühstück bestellt sind, heben sich die dunklen Augenbrauen unter den hellen Haaren: "Was wolltest du denn eigentlich nochmal wissen?"

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Doch das ist eigentlich die falsche Frage. Die richtige wäre: Wo soll man anfangen? Vermutlich erst einmal chronologisch. Geboren in Traunstein, kam Andreas Mühlberger für sein Studium an der Ludwig-Maximilians-Universität nach München, arbeitete als Diplom-Kaufmann später unter anderem beim Industrie-Giganten Siemens, war als Dozent in den Universitäten St. Gallen, Stuttgart und Witten tätig. Im Jahr 2011 gründete Mühlberger die Keylargos GmbH, die Firmen auf der ganzen Welt dabei hilft, ihre Produkte besser vermarkten und verkaufen zu können, auch auf dem deutschen Markt. Dann ist Mühlberger auch Mitgründer und Geschäftsführer des Medizintechnik-Unternehmens Electro-Zeutika, das laut eigenen Aussagen "erprobte Therapien mit Mikrostrom" zur Behandlung von Krankheiten wie Schlafstörungen, Depressionen oder Arthrose anbietet. Heute lebt er mit seiner Frau und seinen zwei Kindern in Grasbrunn im Landkreis München. Ach ja, die Frage nach dem Alter muss angesichts der weißen Mähne noch gestellt werden. "Das verrate ich eigentlich ungern", sagt Mühlberger grinsend. Nur so viel: In diesem Jahr habe er einen runden Geburtstag gefeiert. "Nicht groß natürlich. Corona."

Die Pandemie war auch der Stein des Anstoßes für Mühlbergers dritten Geschäftsführer-Job. Im Frühjahr 2020 suchte die damalige Bundesregierung händeringend nach Schutzmasken und gelobte eine großzügige Förderung ohne große bürokratische Hürden für diejenigen, die in Deutschland selbst Masken produzieren wollten. Mühlbergers unternehmerischer Geist war geweckt. "Ich habe einfach unbändigen Spaß am Unternehmertum." Kurzerhand gründete er mit Mitstreiter Christian Herzog die Deutsche Maskenfabrik GmbH. In Grafing im Landkreis Ebersberg fanden die beiden eine geeignete Fabrikhalle, nach kurzer Zeit lief die Produktion an. 50 Millionen medizinische Masken im Jahr konnten sie herstellen, beim durchgängigen Betrieb der Maschinen wären sogar noch einmal 15 Millionen weitere möglich gewesen. Die Vorzüge: Minimaler C0₂-Fußabdruck, die Stoffe ohne Chemikalien behandelt, die verwendeten Vliese aus Deutschland: Lobeshymnen gingen auf Mühlberger und Herzog nieder. Vertreter der Lokal- und Bundespolitik ließen sich nur zu gern in der Grafinger Maskenfabrik zusammen mit den Unternehmern ablichten. Die Zukunft sah vielversprechend aus.

Schlimm sei der Vertrauensverlust gegenüber Maskenherstellern im Zuge der Affären um die CSU-Politiker Nüsslein und Sauter

Zwei Jahre später sagt Mühlberger stattdessen resigniert: "Wahrscheinlich müssen wir bald zusperren." Mittlerweile stagniere die Produktion komplett. Trotz ihrer vollmundigen Versprechungen kaufe auch die neue Bundesregierung immer noch eher Billig-Masken aus Asien, die anders als Masken aus Deutschland ohne strenge Auflagen hergestellt und verkauft werden dürften. Von ursprünglich 17 Mitarbeitern sind laut Mühlberger nur noch zwei übrig. Schlimm sei für ihn auch der Vertrauensverlust, den die Mundschutz-Hersteller im Laufe der Zeit erfahren hätten. Etwa im Zuge der Affären rund um die CSU-Abgeordneten Georg Nüsslein und Alfred Sauter oder auch den Influencer Fynn Kliemann. Diese hatten horrende Summen für fragwürdige Vermittlungen und Produktionen von Masken kassiert. "Reich geworden bin ich mit den Masken auf keinen Fall", sagt Mühlberger hingegen. Im ersten halben Jahr nach Gründung ihrer Maskenfabrik hätten er und Mitbegründer Herzog sich sogar überhaupt kein Gehalt ausgezahlt. Und das zu einer Zeit, als wegen der Pandemie Aufträge für Mühlbergers Beratungsunternehmen ohnehin rar waren.

Von den ursprünglich 17 Mitarbeitern seiner Maskenfabrik sind nur noch zwei übrig, weil Billigware aus dem Ausland gefragter ist. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Einfach die Füße hochlegen und entspannen, das scheint für jemand Rastlosen wie ihn jedoch keine Option. Aber: Ausgebrannt oder Burnout-gefährdet fühle er sich trotz seiner vielen Aufgaben kaum. Dabei betont er aber: "Alle diese Aktivitäten sind nicht ohne Unterstützung anderer möglich. Besonders meine Frau ist eine großartige Mitstreiterin." Sie habe sogar für das Projekt Maskenfabrik ihren eigenen Beruf ein halbes Jahr lang ruhen lassen, um ihn zu unterstützen.

Seine eigene Energie scheint unerschöpflich. Kurz nachdem Anfang des Jahres der Krieg in der Ukraine ausgebrochen war, gründeten er und ein paar Freunde die "Ukraine Help Grasbrunn". Mehrmals fuhren die Mitglieder unter dem Dach des Flüchtlingshilfe-Netzwerkes "Civil Relief" die mehr als 1300 Kilometer lange Strecke an die ukrainische Grenze. Dort verteilten sie Hilfsgüter und brachten geflüchtete Frauen und Kinder mit nach München. Insgesamt drei Mal fuhr Mühlberger selbst als Teil eines Konvois an die Grenze und wieder zurück, Reifenpannen und gesperrte Kreditkarten inklusive. Auf Facebook hat Mühlberger diese turbulenten Reisen und die Arbeit für die ukrainische Flüchtlingshilfe mit vielen Videos und Bildern dokumentiert. Dank seines eigenen geschäftlichen Netzwerks konnte Mühlberger für "Civil Relief" auch dabei helfen, spezielle Güter zu organisieren, die beispielweise für das ukrainische Militär und die ärztliche Versorgung dringend benötigt wurden: Verbandsmaterial, Desinfektionsmittel, Ultraschallgeräte, Nähmaschinen für Aderpressen. Oder einfach Rucksäcke. "Manche Ukrainer, die kurzfristig in den Krieg ziehen mussten, sind mit ihren alten Schultaschen unterwegs gewesen", erzählt Mühlberger. "Solche, die das Licht auch reflektieren." Im Krieg nicht von Vorteil.

Zuhause in Grasbrunn setzten sich Mühlberger und seine Mitstreiter deshalb daran, massenweise neutrale, schwarze Rucksäcke zu beschaffen. Mit Erfolg: Am Ende war es ein 7,5-Tonnen-Lkw, der über die ukrainische Grenze fuhr, vollbepackt mit Klamotten und Rucksäcken aus Altbeständen der Bundeswehr. Es sind faszinierende Geschichten, schöne und traurige Erlebnisse seiner ehrenamtlichen Arbeit, von denen Mühlberger erzählt. Sich selbst Altruismus bescheinigen will er nicht: "Die Möglichkeit zu helfen, war einfach da, also habe ich eben geholfen."

Im Himalaya wäre er beinahe mit dem Motorrad in einen tiefen Abgrund gestürzt

Auch jetzt seien immer noch Sachspenden für die Ukraine gesucht. Was genau aktuell gebraucht wird, weiß Mühlberger aber nicht adhoc. "Ich war jetzt ja drei Wochen lang nicht im Land." Mühlbergers private, große Leidenschaft, das Motorradfahren, führte ihn in den Himalaya im Norden Indiens. Dort war er auf über 5000 Metern auf einigen der höchsten befahrbaren Pässe der Welt unterwegs. Sein Fazit: "Es war der Wahnsinn." Auch, wenn in dieser Höhe wegen des geringeren Sauerstoffgehaltes der Luft selbst das Motorradfahren anstrengend sei. Und es teilweise auch zu brenzligen Situationen kam: Einmal, sagt Mühlberger, konnte er nur knapp das Leih-Motorrad kurz vor einem tiefen Abgrund stoppen, der neben der Bergstraße entlanglief. Ein anderes Mal fiel er während einer Flussüberquerung mitsamt seiner Maschine ins eiskalte Wasser.

"Ich hätte eher anfangen sollen, meine geschäftlichen Reisen mit meinen Leidenschaften zu verbinden", resümiert Mühlberger. Also nicht nur für ein persönliches Kundengespräch zwei Tage nach Japan fliegen, sondern von der Kultur dort noch mehr mitbekommen, mit dem Motorrad durch die Landschaft fahren. Auch, wenn er nicht immer perfekt vorbereitet sei, gibt Mühlberger lachend zu: "Vor ein paar Jahren bin ich mit dem Motorrad auf den Mount Fuji gefahren. Da hat es geschneit und ich hatte nur so ein Sommer-Westerl an." Sein nächster Traum ist eine Tour quer durch Nord- und Südamerika, von Anchorage im Norden nach Patagonien im Süden. "Aber ich kann mir ja nicht einfach monatelang frei nehmen, während Frau und Kinder zuhause sitzen." Er denke nun eher an einzelne Kurz-Etappen, die er nach und nach abarbeiten könnte. Zeit hat er ja wieder mehr. Die Maskenproduktion ruht schließlich weitgehend.

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