Porträt:Dirigentin mit vielen Saiten und guten Nerven

Lesezeit: 4 min

Beherrscht viele Tastaturen: Tamara Mersetzky ist nicht nur Dirigentin, sondern spielt auch mehrere Instrumente und unterrichtet Schulmusik. (Foto: Alessandra Schellnegger)

Tamara Mersetzky leitet seit zwei Jahren das Garchinger Sinfonieorchester. Ihr Antrittskonzert hat die 30-Jährige, die auch mehrere Instrumente beherrscht, aber aus diversen Gründen noch nicht geben können. Derzeit probt sie mit dem Ensemble für den nächsten Anlauf.

Von Udo Watter, Garching

Wer das erste Mal in leitender Funktion vor ein Orchester tritt, der weiß wahrscheinlich, wie sich ein Tremolo anfühlt, das im ganzen Körper zittert. Es erfordert ja durchaus Selbstbewusstsein, vielleicht sogar Mut, sich dieser speziellen, virtuosen Art von Frontalunterricht zu stellen. Ein Orchester ist zunächst einmal kein homogener Klangkörper, der einem harmlos-liebevoll entgegen blickt. Sondern besteht aus verschiedenen Individuen, mit verschiedenen musikalischen Vorstellungen, technischen Fähigkeiten und unterschiedlich ausgeprägter Bereitschaft, den Anweisungen einer jungen Frau zu folgen. Bei den Bad Reichenhaller Philharmonikern musste Tamara Mersetzky vor einigen Jahren erleben, dass manch alter Hase unter den Ensemblemitgliedern ihr erst mal nicht mit übermäßig professionellem Respekt begegnete, wie sie erzählt. Sie war damals noch Studentin, und manche Berufsmusiker - die Philharmonie Bad Reichenhall ist das einzige professionelle Kurorchester in Deutschland - sind eben nicht nur eigenwillig, sondern auch grummelig.

Newsletter abonnieren: SZ Gerne draußen

1 / 1
(Foto: SZ)

Land und Leute rund um München erkunden: Jeden Donnerstag mit den besten Freizeittipps fürs Wochenende. Kostenlos anmelden zum Newsletter. Hier geht es zur Anmeldung.

Die Musiker des Garchinger Sinfonieorchesters hingegen empfingen sie von Beginn an mit durchweg umarmendem Gestus. "Dort herrscht ein sehr wohlwollendes, liebes Klima", sagt die 30-Jährige. Tamara Mesetzky ist die aktuelle Dirigentin und musikalische Leiterin des Ensembles, das 1985 als kleines Orchester am Max-Planck-Institut für Plasma-Physik in Garching seine Geburtsstunde erlebte. Diese Funktion hat sie zwar schon seit Frühjahr 2020 inne. Was sie mit dem ambitionierten Laienorchester, in dem Musiker aus dem gesamten Großraum München spielen, vor Publikum anzustellen vermag, hat sie aber noch nicht beweisen können. "Seit zwei Jahren versuche ich, mein Antrittskonzert zu geben", sagt sie und lacht. Erst verhinderte die Corona-Pandemie inklusive Probenverbot und Lockdown den Auftritt und als im Januar 2022 die Garchinger endlich das erste Konzert nach langer Pause spielten, geschah dies ohne Mersetzky. Sie hatte das Programm zwar einstudiert, sich aber kurz vorher mit dem Coronavirus infiziert.

Die Ouvertüre mit Publikum ist am 6. Juli im Garchinger Bürgerhaus

Nun als der neue Anlauf. Klar, wenn die in historischer Aufführungspraxis geschulte Mersetzky beim Proben von Brahms' akademischer Festouvertüre "Senza Vibrato" ("Ohne Vibrato") ansagt, guckt eventuell auch der ein oder andere zum Schmelz neigende Streicher des Garchinger Sinfonieorchesters erst mal verwundert, wie sie erzählt. Eine allzu expressiv-romantische Interpretationen - oder wie die Dirigentin sagen würde "ein dicker Brahms" - entsprechen nicht so ganz ihrer Herangehensweise. Mersetzkys künstlerische Autorität stellt aber niemand ernsthaft in Frage. Und mit dem Niveau und der Motivation des Garchinger Ensembles ist sie ohnehin sehr zufrieden.

Normal wird derzeit einmal wöchentlich geprobt - wegen der Enge des dortigen Raumes nicht im Werner-Heisenberg-Gymnasium, wie früher, sondern im Bürgerhaus - und es läuft gut. "Wir sind schon relativ weit", sagt Mersetzky mit Blick auf das Programm, zu dem neben Brahms' Festouvertüre unter anderem Beethovens sechste Sinfonie ("Pastorale") gehört. "Technisch ist das kein Problem", urteilt die in München lebende Mersetzky, "jetzt geht es an die spieltechnischen Feinheiten." Wie diese dann konzertant umgesetzt werden, darf sich das Publikum am 6. Juli im Garchinger Bürgerhaus anhören. Auch Felix Leissner, junger, hoch talentierter Solobassist am Gewandhausorchester Leipzig wird dort mitwirken.

Mersetzky, die ihre beiden Vorgänger am Dirigierpult des Garchinger Orchesters, Aris Alexander Blettenberg und Gabiz Reichert, vom Studium an der Münchner Musikhochschule her gut kennt, freut sich besonders auf die Arbeit an den Details. Ganz einfach ist die Probenarbeit nicht, auch weil immer wieder mal wichtige Mitglieder pandemiebedingt ausfallen. Die Altersspanne des Ensembles ist breit, etliche Studenten der TU in Garching sind dabei, aber auch viele Berufstätige und Nicht-mehr-Berufstätige, darunter ganze Familiengenerationen. Klaus Eckstein, der Vorsitzende des Orchestervereins, gehört übrigens zur erstaunlich großen Gruppe der Bratschisten.

Konzertmeisterin, Musiklehrerin, Notenumblätterin - ihre Liebe zur Musik äußert sich vielfältig

So sehr Mersetzky das Dirigieren liebt, ihre Liebe zur Musik entfaltet sie auf vielen verschiedenen Ebenen: Sie spielt und unterrichtet Violine und Querflöte, als Geigerin war sie in diversen Ensembles auch schon Konzertmeisterin und hat bei den Münchner Sinfonikern ausgeholfen. "Ich liebe es, im Orchester zu spielen", schwärmt die 30-Jährige, die in Weißenhorn (Landkreis Neu-Ulm) aufwuchs und dort ein Musikgymnasium besuchte. Für die Aufnahmeprüfung an der Münchner Musikhochschule musste sie auch ein paar Fertigkeiten am Klavier lernen. Dabei schätzt sie das Tasteninstrument gar nicht so sehr wie etwa Geige oder Flöte, die beide einen physisch direkteren Zugriff bei der Tonentwicklung ermöglichten.

Während ihres Studiums der Schulmusik hat sie im Profilfach "Orchesterleitung" die ersten Erfahrungen mit dem Taktstock in Bad Reichenhall gemacht, da dort ihr Professor Christoph Adt Chefdirigent war. Als Studentin und frei schaffende Musikerin ("München ist die beste Stadt dafür") war sie immer gut beschäftigt, unter anderem leitet sie seit 2016 auch ein Kammerorchester in Kirchheim-Heimstetten. Sogar als Notenumblätterin für Stars wie Pianist Kit Armstrong oder Daniel Müller-Schott (Cello) fungierte sie. Auch dieser Job bedarf guter Nerven, vor allem wenn man kurzfristig einspringen muss und das Stück kaum kennt. Aber Mersetzky, die sprühend zu erzählen weiß, hat offenbar nicht nur beeindruckend viel Energie, sondern kann sich auch auf ihre mentale Stärke verlassen. Der Gang vor das Orchester ist inzwischen auch einer, der ihr eigentlich gar nicht mehr schwer fällt: "Nervös bin ich meistens nur vorher, wenn ich dann davor stehe, werde ich ruhig", sagt sie.

Sie mag es, ihr "eigener Chef zu sein", und nicht unbedingt auf Sicherheit angewiesen zu sein. Ein gänzlich vom freien musikalischem Schaffen bestimmtes Berufsleben führt sie im Moment aber nicht mehr, auch da hat nicht zuletzt die Pandemie in den vergangenen Jahren einen Strich durch die Rechnung gemacht. Derzeit unterrichtet sie Musik am Münchner Dante-Gymnasium, ein fordernder Job, der - was das Fach angeht - nicht die allergrößte Bedeutung bei manchen genießt. "Aber Schulmusik ist wichtig, sie hat zum Beispiel auch mich inspiriert", sagt Mersetzky. "Und außerdem dürfen wir jetzt wieder im Unterricht singen, was die Kinder sehr freut." Ihre Prüfung in Barockgeige hat sie auch gerade gemacht und als ob das nicht genug wäre, hat sie auch noch ein Online-Studium für Innenarchitektur angefangen. Wenn sie nicht Musik macht, lauscht sie vermutlich am liebsten dem Schnurren ihres Katers.

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

SZ PlusCoronavirus
:Infiziert trotz negativen PCR-Tests

Der Hals schmerzt, die Nase läuft - doch der Abstrich zeigt keinen Befund. Wie einer 54-Jährigen aus Neubiberg bei München ergeht es derzeit vielen. Gibt es auch PCR-Tests, die ein falsches Ergebnis liefern?

Von Annette Jäger

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: