Flughafenbau:Und plötzlich wurde es still in Salmdorf

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Der Verkehrsflughafen München-Riem bestimmte das Leben der Bewohner im kleinen Salmdorf. Direkt neben der Start- und Landebahn gab es einst Schäfer. (Foto: Claus Schunk)
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Von Bernhard Lohr

Ein Landwirt kommt schon mal ohne Uhr aus. Er schaut nicht auf die Minute. Die Jahreszeiten bestimmen den Lebensrhythmus und die Tiere, wann der Arbeitstag beginnt und wann er endet. Im Zweifel gibt es noch die Kirchturmuhr. Doch die Bewohner in dem kleinen Salmdorf führten Jahrzehnte ein Dasein, das der strenge Zeitplan eines Großflughafens prägte. Jeder wusste, was es geschlagen hatte, wenn der Jumbojet nach New York abhob, und manch einer schloss abends erst beruhigt die Augen, wenn der Postflieger gelandet war. Der Flughafen München-Riem gab den Takt des Lebens vor. Bis am 16. Mai 1992 gegen 22.55 Uhr eine Boeing 737 als letzte Maschine donnernd in den Himmel aufstieg. Es kehrte Ruhe ein.

Die großen Jets und der über die Jahrzehnte zum Airport ausgewachsene Flughafen München-Riem gehörten für jemanden wie Franz Rieder, 78, und seinen Sohn Andreas, 52, zum Dorf. Die Rieders hatten einen Schlüssel zum Tor 31. Dort fuhren sie mit ihren Traktoren rauf aufs Flughafengelände und mähten bis wenige Meter ran an die Startbahn die Wiese.

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Locker ging es da noch zu. Als Anfang der Sechzigerjahre die Zahl der Starts und Landungen einigermaßen überschaubar war und die Sicherheitsvorkehrungen noch laxer, wurde Rieder per Funk instruiert, wenn ein Jet kam und er zur Seite sollte. Den Flugplan hatte Franz Rieder intus und ihm war klar, wann welcher Flieger landete: "Da hat man gewusst, jetzt ist die Suppe auf dem Tisch."

Die Menschen hatten sich an die startenden und landenden Flugzeuge gewöhnt, die immerhin nicht direkt über die Hausdächer flogen. Die einzige Start- und Landebahn lag 250 bis 300 Meter nördlich des Dorfs. Freilich erinnern sich die Rieders ungern an die Caravelle, das erste düsengetriebene Kurz- und Mittelstreckenflugzeug, und an die russische Tupolew. Die waren laut. Den Airbus habe man aber fast nicht mehr wahrgenommen, sagen sie.

Als dann 1992 die Stille einkehrte, merkten sie freilich erst, was der Flughafen bedeutet hatte. "Jedes Kalb hat man gehört", sagt Franz Rieder vom Böcklhof. Geradezu "gespenstisch" sei es ihm nach dem Ende des Flughafens vorgekommen, erzählt Martin Metzger, der auf dem Metzgerhof groß geworden ist. "Wir haben damit gelebt, wir sind damit aufgewachsen."

Hunderte wollten die Landung der Concorde sehen

Martin Metzger hatte von der elterlichen Terrasse direkten Blick auf die Start- und Landebahn, von der aus Maschinen in die ganze Welt abhoben. Es gehörte zum sonntäglichen Zeitvertreib, die Flugzeuge zu beobachten, deren Typ zu bestimmen und zu bemerken, wenn eine Boeing oder ein Airbus zu spät dran war. Als am 10. August 1983 erstmals das Überschallflugzeug Concorde in Riem landete, hatten die Metzgers einen Logenplatz. Hunderte fielen in das Dorf ein, um das Ereignis am Flughafenzaun zu erleben. "Ich habe noch nie so viele Menschen in Salmdorf gesehen. Es war ein absolutes Großereignis", sagt Metzger. Auch Franz Rieder erinnert sich, dass damals kein Durchkommen war. Der Polizeichef von Haar sei mit dem Rad gekommen, weil die Straßen verstopft waren.

Über Jahrhunderte lebten die Menschen in dem Bauerndorf fernab des Weltgeschehens. Immerhin soll es bereits 1315 eine Marien-Wallfahrt gegeben haben. Im 15. bis 17. Jahrhundert florierten die Pilgerfahrten und bis 1924 war Salmdorf sogar Gemeindesitz, bis Haar wegen der Heil- und Pflegeanstalt zum Hauptort aufstieg. Als im Oktober 1939 der Verkehrsflughafen München-Riem eröffnete, geriet Salmdorf in den Sog der dortigen Ereignisse.

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Gegen Kriegsende legte die US-Air-Force Bombenteppiche und der Ort entging nur knapp der Zerstörung. Die nagelneuen ME 262 Düsen-Jagdflugzeuge, die Nazi-Deutschland entwickelt hatte, wurden in den Wäldern rund um Salmdorf vor den Luftangriffen versteckt. Sie wurden über die nach einem hochdekorierten NS-Fliegergeneral Adolf Galland bezeichneten Galland-Wege, die heute auf Luftbildern von Salmdorf noch zu erkennen sind, mit Kettenfahrzeugen in den Forst geschleppt. Die Wege hätten KZ-Häftlinge unter fürchterlichen Bedingungen mit Schaufel und Hacke angelegt, erzählt der heute 78-jährige Franz Rieder. Er selbst ist erst 1960 nach Salmdorf gezogen. Er hat eingeheiratet im Böcklhof. Doch die Geschichten sind Teil des kollektiven Gedächtnisses.

Den Aufstieg der zivilen Luftfahrt erlebten dann die Salmdorfer hautnah mit. 1949 baute man eine 1900 Meter lange und 60 Meter breite Betonpiste. Im Jahr 1950 starteten und landeten bereits 53 000 Passagiere in Riem. Zehn Jahre später waren es 507 000 und richtig steil bergauf ging es mit den Fluggastzahlen mit dem Beginn des Düsenjetzeitalters.

Als am 6. Februar 1958 bei einem schweren Flugzeugunglück in Riem 23 Passagiere einer zweimotorigen Airspeed Ambassador starben, weil die Tragflächen der Maschine vereist waren und die Maschine über die Startbahn hinausschoss, wurde die fällige Verlängerung der Startbahn angegangen.

2600 Meter war sie dann lang und Düsenflugzeuge konnten sie gut nutzen. Ende der Sechzigerjahre zählte man erstmals mehr als drei Millionen Fluggäste und 229 Starts und Landungen am Tag. Im letzten kompletten Betriebsjahr 1991 wurden zehn Millionen Fluggäste abgefertigt.

Peter König erlebte den Flughafen nur als Passagier. Er erinnert sich an den Anflug über Kirchtrudering, wo einem beim Blick aus dem Fenster bange werden konnte. "Ich habe meine Füße eingezogen, weil ich das Gefühl hatte, ich bleibe mit meinen Füßen an irgendeinem Dach hängen", erzählt er. Nach Salmdorf zog er 2006, als dort ein kleines Neubaugebiet ausgewiesen wurde und die Neue Messe München dem ehemaligen Flughafenareal längst eine neue Prägung verliehen hatte. Die Messestadt wuchs heran, samt Riemer Park und See als großzügiger Erholungsfläche. Peter König ist heute in zwei Minuten im Park. "Ich bin wirklich auf dem Land, auf dem Dorf", sagt er. Wenn er Richtung Norden schaue, sehe er den Rodelhügel und Richtung Süden die Zugspitze. Es sei das einzige Dorf mit U-Bahnanschluss. Schöner könne man nicht wohnen. "Ich würde nie und nimmer wegziehen." Er sieht Salmdorf als Glücksfall.

Die Alteingesessenen empfinden das heute ähnlich. Auch sie haben die Ruhe schätzen gelernt und die Tatsache, dass sie nur 700 Meter bis zur U-Bahn Messestadt gehen müssen. Franz und Andreas Rieder erlebten, wie ihr Dorf durch den Fluglärm in seiner Entwicklung gebremst wurde. Es wurde kaum gebaut. Die Leute zog es eher weg. Nach 1992 wendete sich das Blatt und die Zahl der Dorfbewohner wuchs von 100 Bewohnern auf heute 500 an, wobei auf Luftbildern vor allem auffällt, dass es statt der Start- und Landebahn nun einen türkisblau schimmernden künstlich angelegten Badesee gibt. Das Dorf ist noch erkennbar. Es sei ein Segen, sagt Franz Rieder, dass es gelungen sei, eine Straßenverbindung zur Messestadt zu vermeiden. Die Bodenpreise seien in die Höhe geschossen, aber der ländliche Charakter sei geblieben.

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Derweil lebt der Flughafen in Erinnerungen fort. Jede Familie hat etwas zu erzählen. Martin Metzger sagt, "einmal haben wir Angst gekriegt: Man weiß ja, wie es ich anhört, wenn ein Flugzeug landet. Doch dieses Mal war es anders." Die Maschine sei immer lauter geworden. Und als er aus dem Fenster nach oben geschaut habe, habe er die Positionslichter ganz nah gesehen. Es war Nebel. Und der Pilot brauchte offenbar mehrere Anläufe, um die Piste zu finden. Es ging aber gut.

Der Flughafen war auch Ort von Freizeitvergnügen. Nach dem Krieg fanden dort Motorradrennen mit bis zu 60 000 Zuschauern statt. Salmdorfer begaben sich bei schönem Wetter auf die Aussichtsterrasse des Empfangsgebäudes, wo es Tanz und Konzerte gab. Eines der größten Erlebnisse war sicher die Abwicklung des Flughafens selbst. In der Nacht zum 17. Mai 1992 fuhren 500 Fahrzeuge, Tieflader und Lastzüge voll beladen von Riem nach Erding, Flugzeugrolltreppen, Vorfeldbusse und Flugzeugschlepper gingen auf die Reise.

Andreas Rieder erlebte das von Aschheim aus, wo er den Junggesellenabschied eines Freundes feierte. Die Straßen seien bis spät in die Nacht gesperrt gewesen, erinnert er sich. Was folgte waren wilde Jahre in den ehemaligen Flughafen-Hallen, wo Technopartys stiegen. Im Sommer konnte es passieren, dass Franz Rieder mit dem Traktor rausfuhr, und sich wunderte, weil Jugendliche im Gras nächtigten.

Allerdings hätte nicht viel gefehlt, und Salmdorfs Geschichte hätte eine andere Wendung genommen. Als deutlich wurde, dass der Flughafen Riem mit der Entwicklung nicht mithalten konnte, kam eine zweite Start- und Landebahn ins Gespräch. Der Münchner Stadtrat hatte sich 1960 bereits dafür ausgesprochen. Für Salmdorf wäre das das Ende gewesen. "Da hätte alles weggemusst", sagt Franz Rieder. Es kam bekanntlich anders. Geflogen ist er übrigens selbst nie, sagt der heute 78-Jährige. Er möge das nicht so.

© SZ vom 06.05.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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