Dritte Startbahn für Flughafen München:"Vom Erdinger Moos bleibt fast nichts mehr übrig"

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Brennnesseln und Goldrute als Ausgleich für Flughafenbeton: Biologen sind entsetzt über die Ersatzbiotope, die als Naturausgleich am Münchner Airport entstanden sind. Und sie fürchten, es könnte noch schlimmer werden am Erdinger Moos - falls die dritte Start- und Landebahn tatsächlich kommen sollte.

Marco Völklein

Brennnesseln sind zwar grün und sehen für den Laien so aus, als wäre dort, wo sie sprießen, ein Öko-System im Großen und Ganzen intakt. Doch wer mit Christine Margraf dieser Tage im Erdinger Moos unterwegs ist, der wird schnell eines Besseren belehrt. Immer wieder schimpft die studierte Biologin über die weiten Flächen, auf denen sich die Brennnesseln ausgebreitet haben.

Fast ausgetrocknet ist dieser Weiher in einem Ausgleichsgebiet in der Nähe des Münchner Flughafens: "Vom Erdinger Moos bleibt fast nichts mehr übrig." (Foto: Maurizio Gambarini/ddp)

Auch die "Goldrute" kommt schlecht weg dabei. Sie stammt aus Nordamerika, kann über einen Meter hoch wachsen. Und ist bei Biologen wenig beliebt - denn mit ihrer robusten Art verdrängt die Goldrute viele einheimische Pflanzenarten. Für Christine Margraf, Artenschutzreferentin beim Bund Naturschutz, ist daher klar: "Mit dem ursprünglichen Niedermoor im Erdinger Moos hat das hier nichts mehr zu tun."

Dabei sollte doch genau das auf den vielen Flächen rund um den bestehenden Münchner Flughafen entstehen. Als der Airport vor 20 Jahren von Riem ins Erdinger Moos umzog, wurden weite Flächen zubetoniert. Mit der Anlage sogenannter "Ausgleichsflächen" rund um den Flughafen sollte der Eingriff in die Natur zumindest abgemildert, im besten Falle eben ausgeglichen werden.

Aus Sicht von Christine Margraf ist das nicht gelungen. Und viel schlimmer noch: Mit dem Bau der geplanten dritten Startbahn werde auch noch der letzte Rest Erdinger Moos vernichtet, befürchtet der Bund Naturschutz. Vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof (VGH) in München klagen Margraf und ihre Mitstreiter daher derzeit gegen das Projekt.

Zugleich machen die Naturschützer Stimmung mit Blick auf den Bürgerentscheid am 17. Juni. Ein Natureingriff, so wie er beim Bau der dritten Startbahn vorgesehen ist, sei "einfach nicht ausgleichbar", argumentiert Margraf.

Geplant ist, dass für die Start- und Landebahn, für Roll- und Verkehrswege, für die neue Wache der Flughafenfeuerwehr und das neue Mini-Terminal für Privat- und Geschäftsflieger insgesamt 870 Hektar Fläche verbraucht werden. Versiegelt, also zubetoniert, werden davon 340 Hektar - das entspricht in etwa dem New Yorker Central Park.

Hinzu kommt, dass die neue Start- und Landepiste in ein Gebiet hineingebaut werden soll, das die EU vor einigen Jahren erst zu einem Vogelschutzgebiet erklärt hat - in die höchste Kategorie wurde es damals eingestuft. Am Ende, sagt Margraf, "bleibt vom Erdinger Moos fast nichts mehr übrig."

Das will Flughafenchef Michael Kerkloh so nicht stehen lassen. Er räumt zwar ein, dass es sich um einen schweren Eingriff in die Natur handelt, wenn man eine vier Kilometer lange Betonpiste in die Landschaft modelliert. Im Gegenzug aber wende die Betreibergesellschaft viel Geld und Engagement auf, um den Eingriff abzumildern, ihn eben doch "auszugleichen", wie es auch in der Baugenehmigung immer wieder heißt.

Dort hat die Regierung von Oberbayern eine Reihe von "Kompensationsmaßnahmen" vorgeschrieben, die sich insgesamt über eine Fläche von 908 Hektar erstrecken sollen - also mehr als die verbrauchte Fläche. Damit werde man den Eingriff "vollständig kompensieren", verspricht Kerkloh.

Mehr noch: Ohne den Flughafen mit seinen weiten Flächen, auf denen sich Wiesenbrüter niederlassen können, gäbe es das Vogelschutzgebiet gar nicht, argumentiert der Airport. Daher werde man beim Bau der dritten Piste die Wiesen, die innerhalb des Airport-Areals liegen, auch so anlegen und pflegen, dass "sie den Ansprüchen dieser Vogelarten dauerhaft genügen".

Zudem werde man künftig Land, das heute noch von Bauern intensiv für den Ackerbau genutzt wird und damit keinen Raum für seltene Pflanzen und Tiere bietet, umwandeln und für die Tier- und Pflanzenwelt "qualitativ verbessern".

Das höre sich zwar alles gut an, entgegnet Margraf und stapft dabei über eine der Ausgleichsflächen südlich des Flughafenzauns, die beim Umzug vor 20 Jahren angelegt wurden. "In der Praxis aber funktioniert es nicht."

Rund um die Wiese, auf der sich Brennnesseln und Goldruten ausgebreitet haben, stehen Ahornbäume. Vögel zwitschern, Schmetterlinge flattern - für den Laien wirkt das alles sehr naturnah, fast idyllisch. Für die Biologin aber ist es ein "Allerweltsgrün".

Die Ahornbäume? "Haben mit einem Niedermoor nichts zu tun", im Erdinger Moos also eigentlich nichts zu suchen. Die Büsche am Rande der Fläche? "Sind für die Brachvögel tödlich." Denn die bräuchten offene Flächen, um Räuber, etwa einen Fuchs, schon von Weitem zu erkennen. Und die Brennnesselflächen? "Zeigen nur, dass der Boden zu reich an Nährstoffen ist." Anspruchsvollere Sauergräser, Orchideengewächse und Kräuter, die auf den ursprünglich eher nährstoffarmen Moorböden eigentlich zu Hause wären, hätten keine Chance, sagt Margraf.

Und mangelt es an Gräsern wie dem Wiesenknopf, dann bleibt auch der Wiesenknopf-Ameisenbläuling aus, ein Schmetterling, der zu den gefährdeten Arten zählt. In der Natur hängt eben alles irgendwie zusammen.

Das gelte im übrigen auch für das Grundwassermanagement rund um den Flughafen, sagt Margraf. Der Airport steht in einem Moor. Damit Landebahnen, Terminals und Wartungshallen nicht im Morast versacken, wurde das Grundwasser abgesenkt. Margraf deutet auf eine Silberweide, ein Baum, der für eine Naturlandschaft wie das Erdinger Moos typisch sei, anders als der Ahorn daneben.

Allerdings gibt er ein trauriges Bild ab: Die Haupttriebe sind abgestorben, der ganze Baum wirkt verkümmert. "Hier ist das Grundwasser weggesackt", sagt Margraf. Als Beweis deutet sie auf den Graben daneben. Wasser fließt darin nicht. "Alles strohtrocken."

Damit auch die geplante dritte Startbahn nicht im Matsch versinkt, muss auch das Grundwassermanagement auf weitere Flächen ausgedehnt werden. Aber die Auswirkungen daraus habe man im Griff, versichern die Flughafenplaner. So umfassen allein die "wasserwirtschaftlichen Maßnahmen", die sie der Regierung von Oberbayern zur Genehmigung vorlegen mussten, vier dicke Aktenordner.

Naturschützerin Margraf bleibt trotzdem skeptisch: "Wenn ich mir das hier anschaue, habe ich Zweifel, ob man die Natur wirklich im Griff haben kann." Ihr Blick fällt wieder auf eine weite, grüne Fläche. Sie ist dicht bewachsen. Mit Goldruten und Brennnesseln.

© SZ vom 04.06.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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