Flüchtlingshilfe:Ein Boot für die Zukunft

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Ismanings Bürgermeister Alexander Greulich (links) zu Besuch in der Bootswerkstatt bei Djibril Ndiaye (2.v.r.) und seinen Helfern. Die Gemeinde will die Piroge für den Waldkindergarten kaufen. Zehn Kinder können damit auf dem Eisweiher herumrudern. (Foto: Claus Schunk)

Djibril Ndiaye soll im August abgeschoben werden. Mit dem Geld vom Verkauf einer Piroge will er sich in seiner Heimat Senegal eine Existenz aufbauen

Von Marie Heßlinger, Ismaning

Djibril Ndiaye kniet auf dem Boden seiner provisorischen Werkstatt und schlägt Kerben in ein Brett. Neben ihm wächst Tag für Tag eine beachtliche Piroge heran. Ein afrikanisches Fischerboot, das bald in den Ismaninger Eisweiher stechen soll.

Djibril Ndiaye kennt Rotimber- und Abachiholz. "Das hier ist Lärche, das ist ein bisschen kompliziert", erklärt er, "Lärche bricht leicht." Zum Sommerfest der Ismaninger Volkshochschule am 19. Juli muss seine Piroge fertig sein. In gewisser Weise hängt seine ganze Zukunft von diesem Projekt ab.

Djibril Ndiaye, man nennt ihn in Ismaning "Tschieprill", baut Boote, seitdem er zwölf Jahre alt ist. Sein großer Bruder brachte es ihm bei. "Der Anfang ist das wichtigste", sagt Djibril und klopft auf den Rumpf der Piroge, "Wenn Foundation nicht gut ist, ... ist es hinüber." Djibril hat schon so viele Boote gebaut, dass er nicht mehr weiß, wie viele es waren. Doch in Deutschland ist das hier sein erstes.

Neben ihm in der Werkstatt steht Renate Zetterer. "Das alles hat er nur mit Augenmaß gemacht", bewundert sie sein unfertiges, etwa fünf Meter langes Werk. "Er ist wahnsinnig präzise", sagt sie. Mit den Fingern streicht sie über die Rundungen der Bootsinnenseite: "Er hat die Vertiefungen nur mit dieser Hacke gemacht - millimetergenau." Zetterer war es, die sich dafür einsetzte, dieses Boot bauen zu lassen. "Meine Mama", nennt Djibril sie im Spaß.

Der aus dem Senegal stammende Bootsbauer hat sechs Wochen Zeit, um die Piroge fertig zu stellen. (Foto: Claus Schunk)

Der Bootsbauer hat Glück im Unglück. Er reiste vom Senegal nach Europa, um seiner Frau ein besseres Leben zu schenken, wie er sagt. Er habe in Deutschland Geld für sie verdienen wollen. Als er 2015 gerade in Italien ankam, rief sie ihn an: "Ich bin schwanger." Bis heute hat Djibril seine kleine Tochter nicht gesehen. "Ich vermisse meine Familie sehr", sagt er.

Seit 2017 wohnt der 36-Jährige in Ismaning in einer Flüchtlingsunterkunft, er hat eine Duldung, sein Asylantrag wurde abgelehnt. "Viele Jahre , in denen ich nicht arbeite", sagt er traurig. Es wirkt, als wäre er selbst überrascht, wie lange er schon auf Besserung wartet. Im August soll er abgeschoben werden. Hätte er Zetterer nicht kennengelernt, müsste er ohne Existenzgrundlage in seine Heimat zurückkehren.

"Er saß in der Werkstatt und wollte immer etwas machen", erinnert sich Zetterer, "Ich habe versucht, ihn bei der Arbeitssuche zu unterstützen, aber für Senegalesen ist das hier sehr schwierig." Da habe er angefangen, kleine Modellboote zu bauen. Bis daraus eine Idee entstand.

Djibrils Geschäftsplan ist dieser: Zurück in Saint-Louis möchte er das Holz für die Bootsbauer zuschneiden und an sie verkaufen. Da sich der Arbeitsmarkt im Senegal in seiner Abwesenheit verändert habe, sei seine Zukunft als Bootsbauer aussichtslos, sagt er. Als Holzlieferant braucht Djibril jedoch die entsprechenden Geräte: Ein mobiles Sägewerk zum Beispiel, eine Kettensäge, und auch ein Auto.

Eines der von Djibril angefertigten Modellboote. (Foto: Claus Schunk)

Die Ismaninger Volkshochschule und der Helferkreis für Geflüchtete haben deswegen das Bootsbauprojekt ins Leben gerufen. Mit den Geld- und Sachspenden, die sie sammelten, soll Djibril innerhalb von sechs Wochen ein farbenfrohes Boot für die Kinder des Waldkindergartens fertigstellen. Zehn Kinder oder fünf Erwachsene werden in die Piroge passen. Die Ismaninger Gemeinde wird das Boot kaufen und den Erlös in Djibrils Neuanfang investieren.

"Die Aktion wirft die Frage auf: Wie gehen wir mit Asylbewerbern um, die nicht bleiben können?", sagt Lothar Stetz, Direktor der Ismaninger Volkshochschule. Mit dem Projekt wollen Djibrils Helfer auf seine Situation aufmerksam machen. "Wir suchen übrigens noch eine gebrauchte Kettensäge mit einem 70 Zentimeter langen Schwert", erwähnt Stetz. Aber Djibril soll nicht nur als Bittsteller wahrgenommen werden. Der Einblick in seine Arbeit solle "einen neuen, wertschätzenden Blick auf die Flüchtlinge in unseren Gemeinden" erlauben, sagt Stetz.

In Djibrils Werkstatt ist nun einiges los. An den Sonntagen des 16. Juni und des 7. Juli steht sie offen für alle Interessierten. Und schon vorher finden sich viele Besucher ein. Die Schüler der 3a der Camerloher Grundschule zum Beispiel. Sie wollen wissen, welches Djibrils Lieblingsessen im Senegal ist. "Reis mit Fisch", antwortet er. Und in Deutschland? Reis mit Fleisch. "Wie groß war das größte Boot, das du je gebaut hast?", fragt ein Schüler. "25 Meter lang und drei Meter breit", sagt Djibril. Die Kinder staunen.

In die Werkstatt kommt auch Alexander Greulich, Ismanings Bürgermeister. Djibril erklärt ihm, wie das Boot dicht halten soll: Mit "Mastix", einer Mischung aus Benzin, Sägespäne, Styropor und anderen Zutaten, für die Djibril keine Übersetzung kennt. "Hält das dann wirklich im Meer?", fragt der Bürgermeister mehrmals. "Viele Jahre", antwortet Djibril. Seinen Erzählungen zufolge fahren die Fischer im Senegal oft für zwei Wochen mit den Booten auf das Meer hinaus. Die geangelten Fische bewahren sie dann in Truhen mit Eiswürfeln auf.

© SZ vom 15.06.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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