Katastrophenschutz:"Wir werden aus Ahrweiler Schlüsse ziehen"

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Der neue Kreisbrandrat Harald Stoiber sieht dringenden Investitionsbedarf in die Sirenenalarmierung. (Foto: Claus Schunk)

Überflutungen, orkanartige Stürme und Corona-Pandemie: Der neue Kreisbrandrat Harald Stoiber sieht den Katastrophenschutz im Landkreis München gut aufgestellt. Dennoch erkennt er Handlungsbedarf bei Warnanlagen, Personal und Material.

Von Yannik Schuster

Harald Stoiber engagiert sich seit fast 30 Jahren in Feuerwehr und Rettungsdienst. Nun hat er die Nachfolge des Mitte April verstorbenen Kreisbrandrats Josef Vielhuber angetreten. Damit bildet er die Schnittstelle zwischen der Landkreisverwaltung und dem operativen Geschäft der Feuerwehr. Besonderes Augenmerk legt er nach den jüngsten Erfahrungen mit Überflutungen und Stürmen auf den Katastrophenschutz.

SZ: Wie steht es um den Katastrophenschutz im Landkreis?

Harald Stoiber: Grundsätzlich ist der Landkreis München sehr gut aufgestellt. Das Anspruchsvolle am Katastrophenschutz ist, dass er sich alle paar Jahre in eine neue Richtung entwickelt. Umwelteinflüsse, wie Hochwasser und Schneelagen gab es immer schon. In den letzten Jahren kamen terroristische Szenarien dazu. Und jetzt, in der Pandemie, sind wir wieder in einer neuen Strategieausrichtung.

Welche Gefahren bestehen im Landkreis?

Einsatzszenarien, wo ein Betriebs- oder Gefahrgutunfall größere Ausmaße annimmt, gibt es immer wieder. Ansonsten haben wir neben den klassischen Unwettern zunehmend Flächenregenereignisse, wo ein Regengebiet auf einem Ortsteil stehen geblieben ist. Da kommen große Wassermengen zusammen, die zu dramatischen Ereignissen führen können, wie es in Ahrweiler der Fall war. Hinzu kommen vielleicht mal Bilder, die wir im Landkreis München, Gott sei Dank, noch nicht hatten. Ich erinnere an den Amoklauf in München. Aber grundsätzlich sehe ich im Landkreis jetzt nicht die große Gefahr im Terrorismus.

Wäre man auf eine Katastrophe wie in Ahrweiler vorbereitet?

Im Großen und Ganzen glaube ich schon. Aber wir wollen ja möglichst viele Menschen schützen. Nicht nur das Leben, sondern auch die Substanz dahinter, sprich Wohngebäude et cetera. Da gibt es sicherlich noch Optimierungsbedarf. Aus Ahrweiler werden wir sehr viele lehrreiche Schlüsse ziehen. Was ist dort in der Vorplanung nicht optimal gelaufen? Gibt es bei uns Lagen oder Ortsteile mit vergleichbarer geografischer Situation? In Ahrweiler hat man zudem festgestellt, dass die Bevölkerungswarnung zu träge war.

Was kann man da verbessern?

Wir brauchen eine Sensibilisierung der Bevölkerung. Man hat jetzt erkannt, dass wir neben den klassischen Warnapps, wie "Nina" und "Katwarn", die jeder auf seinem Handy haben sollte, eine zweite Infrastruktur brauchen, die alle die alarmiert, die über diese Systeme nicht verfügen. Dafür sind in Zukunft wieder Sirenenanlagen da.

Der letzte bundesweite Probealarm wurde als Fehlschlag gewertet.

Das BBK hat damals an alle Leitstellen im Vorfeld ein Schreiben geschickt und irgendwo unauffällig stand: ,Nur wir lösen aus.' Das führte zu Verwirrung. Dadurch kam es zur Überlagerung, weil Bund und Länder gleichzeitig auf den Knopf gedrückt haben. Damit brach die Serverstruktur zusammen. Wir haben zudem nur zwei Kommunen, die bis dato über Katastrophenschutzmodule verfügen, also ansteuerbare Sirenen für den Katastrophenschutz darstellen. Alle anderen Sirenen dienen nur der Feuerwehralarmierung.

Wo muss investiert werden?

Zum einen herrscht bei der Sirenenalarmierung Investitionsbedarf. Alles andere sind Einzelmaßnahmen wie etwa die Neubildung von Katastrophenschutzlagern. Wo wir sicherlich Geld in die Hand nehmen, der Grundsatzbeschluss ist ja schon im Landkreis gefasst, ist, dass man sich in Form einer Übungshalle für die Zukunft neu aufstellt. Der Landkreis will eine Möglichkeit schaffen, wo man witterungsunabhängig, das ganze Jahr ausbilden kann.

Wie ist man personell aufgestellt?

Der Katastrophenschutz greift zurück auf die nicht-polizeiliche Gefahrenabwehr, sprich Feuerwehren und Rettungsdienste. Wir haben mit 4100 Einsatzkräften in Bereitschaft eine große Schlagkraft Von der Hardwareseite, also alles, was wir an Fahrzeugen und Technik vorhalten, ist das, im Vergleich zu Rest-Bayern, sehr anschaulich. Da müssen wir nicht beunruhigt sein. Aber die Belastung wächst. Was früher 150 bis 200 Einsätze waren sind heute zwischen 300 und 800 bei den Feuerwehren.

Sie haben im Landkreis die höchste Feuerwehrdichte Deutschlands.

Ja, das heißt aber nicht, dass wir immer aus dem Vollen schöpfen. Die Leute müssen auch Geld verdienen. Wir haben sehr gute personelle Voraussetzungen. Aber können wir das über die nächsten Jahre auch so beibehalten? Immer mehr Arbeitgeber können die Mitarbeiter nicht permanent freistellen, es herrscht großer Leistungsdruck in unserer Gesellschaft. Es wird sehr spannend, ob das Niveau im Landkreis haltbar ist in zehn Jahren.

Also hin zur Berufsfeuerwehr?

Ich hoffe nicht. Die Struktur des Ehrenamtes ist bei uns über viele Jahrzehnte gewachsen. Man muss eher versuchen, Themen wieder abzugeben, etwa Wohnungsöffnungen für den Hausnotruf. Wenn der Hausnotrufbetreiber nicht in der Lage ist den Notruf rechtzeitig zu erreichen, dann wird halt die Feuerwehr und der Rettungsdienst verständigt. Man muss sich mit den Betreibern konstruktiv zusammensetzen, damit die Belastung nicht zu stark wird.

Wie sollte man sich im Katastrophenfall verhalten?

Ruhe bewahren und sich über die Medien auf dem Laufenden halten. Präventiv müssen die Kommunen ihre Bevölkerung sensibilisieren, indem man Angebote oder Informationen schafft, was man denn vorhalten sollte. Die Leute sollten zu Hause einen gewissen Grundstock haben an Wasser oder haltbaren Lebensmitteln, sodass sie sich damit zwei, drei Tage versorgen können. Taschenlampe, Ersatzbatterien, Radiogerät. Es gibt nichts Schlimmeres für die Leute, wie wenn man nicht weiß, was passiert oder wie man sich verhalten soll.

Was bringt die Zukunft?

In meiner Zeit im Feuerwehrgeschäft hat sich so viel verändert. Über Jahre hatten wir Wespeneinsätze. Das ist komplett in den Hintergrund gerückt, weil der Umweltschutz heute viel präsenter ist. Das ist dann nahtlos durch andere Themen aufgefüllt worden. Erst kam Photovoltaik, jetzt sind wir bei Elektro-Motorisierung und immer öfter kommen medizinische Erstversorgungen hinzu. Es wird Aufgaben geben, die wir noch gar nicht auf dem Schirm haben. Zum Beispiel im Bereich Urbanisierung, alternative Verkehrswege. Was kommt da auf uns zu? Magnetschwebebahnen, Gondeln oder Drohnen? Eine andere Frage: Brauchen wir Katastrophenschutzlager? Mit Fall des Eisernen Vorhangs sind diese Einrichtungen schleichend abgeschafft worden. Die Corona-Pandemie hat gezeigt, dass wir solche Vorhaltungen brauchen. In Bayern werden Katastrophenschutzlager in den Vordergrund rücken.

© SZ vom 25.10.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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