Markus Söder ist in Garching dabei, als Forscher ihre Arbeit an einem Quantencomputer vorstellten. Wie gewohnt wählt der Ministerpräsident Worte, die nachhallen, und spricht im März vom "Chancenfeuerwerk", das mit solchen Technologien in Bayern gezündet werde.
Die Wirklichkeit sieht manchmal anders aus. Am Werner-Heisenberg-Gymnasium in Garching, das nach dem Begründer der Quantenmechanik benannt ist, kämpfen Lehrer und Schüler bis heute mit einer unzureichenden Internet-Verbindung. Das Glasfaserkabel liegt zwar mittlerweile im Schulhaus. Aber die Verkabelung steht aus. In Teilen der Universitätsstadt gehörten bis vor kurzem Funklöcher zum Alltag.
Die Corona-Pandemie hat Defizite bei der Digitalisierung aufgedeckt. Die ist jetzt das Thema der Stunde: Der bayerische Finanzminister Albert Füracker lobt am Donnerstag bei der Vorstellung des Abschlussberichts zur Förderung nach der Breitbandrichtlinie (2014-2020) die Staatsregierung, das "erfolgreichstes technische Infrastrukturprojekt Bayerns der letzten Jahre" umgesetzt zu haben. 55 000 Kilometer Glasfaserleitungen seien verlegt worden. Mehr als 97 Prozent der Haushalte hätten schnelles Internet. Zeitgleich verschickt der Bundestagsabgeordnete Florian Hahn (CSU) die Mitteilung, dass der Bund 4,75 Millionen Euro ins Breitbandnetz in Kirchheim steckt.
Gerade erst kam die Aufrüstung auf 4G
Doch viele fragen sich, warum hakt es an vielen Stellen seit Jahren und manchmal bis heute. Beispiel Mobilfunk: Oleg Mukhanov arbeitet in einem Software-Unternehmen und ärgerte sich schon lang darüber, dass er in Garching manchmal keine Nachricht über seinen Messenger-Dienst nach Hause schicken konnte. "Wenn ich im Supermarkt fragen wollte, ob ich eine Paprika mitbringen soll, war das nicht möglich." Mit CSU-Stadtrat Manfred Kick forderte er, Mobilfunkmasten aufzurüsten. Lang habe man gekämpft, sagt Kick. "Sieben Jahre hat das echt gedauert", betont er immer wieder. Erst jetzt sei man durchgedrungen. Die Masten auf Gebäuden an der Otto-Hahn-Straße und an der Königsberger Straße wurden von 2G auf 4G aufgerüstet. Gerade erst sind sie in Betrieb gegangen.
Die Vorgeschichte zu diesem Drama, wie es Mukhanov und Kick beschreiben, beginnt schon im Jahr 2003, als die erste Generation der Mobilfunkmasten aufgebaut wurde. Viele forderten damals, strengere Schweizer Vorsorgewerte für Mobilfunkstrahlung anzuwenden, die ein Zehntel der Grenzwerte nach der 26. Bundesimmissionsschutzverordnung ausmachen.
Die Baugesellschaft München-Land geriet ins Kreuzfeuer, weil sich Gebäude in Garching, Ismaning und Haar besonders für Masten eigneten. Und so sprach der Aufsichtsrat der Baugesellschaft, dem die Bürgermeister der Mitgliedskommunen angehören, die Empfehlung aus, sich an den Schweizer Werten zu orientieren. Ausnahmen sollte es nur geben, wenn die betreffende Kommune das beschließt. Die Auseinandersetzung ist dem langjährigen Geschäftsführer der Baugesellschaft, Ulrich Bittner, unvergessen. "Wir sind hart angegriffen worden."
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Die nächste Welle des Mobilfunkausbaus läuft derzeit. Es geht um Aufrüstung auf 4G oder 5G, also den Mobilfunk der nächsten Generation, der in einem Übergang auf der 4G-Technik aufsetzt und später mit der notwendigen Infrastruktur im Hintergrund ganz neue Datenraten und Internet in Echtzeit ermöglicht. Vodafone hat im April erste "5G-Standalone"-Antennen freigeschaltet, die mit einem Rechenzentrum in Frankfurt am Main verbunden sind. Die Deutsche Telekom hat im März ihren ersten Antennenstandort Deutschlands für "5G-Standalone" in Garching zu Testzwecken in Betrieb genommen. Der Prototyp hängt an einem Rechner in Bamberg, wie Telekom-Sprecher Markus Jodl sagt. "Garching hat auf jeden Fall eine Fußnote in der Geschichte der Telekommunikation in Deutschland." Und warum testet die Telekom das Netz der Zukunft ausgerechnet in Garching? "Weil Garching die tollste Stadt ist."
Der Landkreis München ist Hightech-Standort. In Garching ist Spitzenforschung zu Hause, in Unterschleißheim entwickelt BMW sein selbstfahrendes Auto iNext. Ohne 5G fährt das nicht und gibt es keine vernetzte industrielle Fertigung. Telekom-Sprecher Jodl beschreibt das so genannte Network-Slicing, wodurch bei 5G untergeordnete Netze mit stabilen Datenvolumina möglich werden. Erst dadurch und niedrige Latenzzeiten seien Autonomes Fahren, Smart-Factorys und etwa online-gesteuerte Operationen vorstellbar.
Trotz solcher Verheißungen agiert man etwa in Haar, wo man sich vor Jahren wie Unterschleißheim als Standort für die Entwicklung des autonom fahrenden BMW bewarb, in Sachen Mobilfunk defensiv. Dort hat die Baugesellschaft 2020 nach Anfragen von Mobilfunkbetreibern wegen möglicher Aufrüstung von Antennen das Rathaus eingeschaltet. Ein Gutachten ergab, dass durch die veralteten Antennen auf den Gebäuden am Jagdfeldring 83 und an der Ludwig-van-Beethoven-Straße 14-16 an allen Messorten die Summenfeldstärke um die Hälfte unter dem Schweizer Grenzwert liegt. Maximal 4,6 Prozent der gesetzlich zulässigen Belastung werde erreicht.
Es seiene irrationale Ängste gegeben
In Haar führte das zu dem Beschluss, dass in begründeten Einzelfällen die Schweizer Werte um den Faktor zwei überschritten werden dürfen. Bürgermeister Andreas Bukowski (CSU) hält das für maßvoll und richtig. Er sagt, Karten zeigten, dass die Mobilfunkabdeckung in Haar gut sei. Der Gutachter habe zudem versichert, dass eine moderate Aufrüstung der Antennen ausreiche. Man wolle nicht hinterherhinken. Aber Vorsicht sei "nicht schlecht".
Für jemanden wie den Garchinger Stadtrat Kick folgt man in Haar aber irrationalen Ängsten. Die wahre Gefahr gehe davon aus, wenn Smartphones wegen leistungsschwacher Antennen ihrerseits auf volle Sendeleistung gingen und ihre Besitzer so hoher Strahlung ausgesetzt würden. Oleg Mukhanov beteuert, dass 5G als Weiterentwicklung nicht gefährlicher als 4G sei.
Die Kritiker eines 5G-Ausbaus widersprechen da vehement. Jüngst forderten sie Bürgermeister im Landkreis auf, sich für einen Stopp einzusetzen, bevor die Industrie nicht die Unbedenklichkeit der Technologie nachweise. Eine Beweislastumkehr sei nötig, fordert der Unterschleißheimer ÖDP-Stadtrat Bernd Knatz und verweist auf eine Expertise des Europäischen Parlaments, in der von "erheblichen Bedenken" die Rede ist. Anders als Oleg Mukhanov sagt, heißt es dort: "Die 5G-Funkemissionsfelder unterscheiden sich deutlich von denen früherer Generationen."
Ungeachtet dessen schreitet der 4G-Ausbau und auch der in Hybrid-Technik vollzogene 5G-Ausbau voran. Von 170 Antennen-Standorten der Deutschen Telekom sind mittlerweile 106 mit dieser 5G-Technologie ausgestattet. Als zweiter großer Mobilfunkanbieter sattelt Vodafone bei seinen 119 Antennen-Standorten im Landkreis ebenfalls drauf. An elf Antennen in Hohenbrunn, Ottobrunn, Planegg, Unterschleißheim, Pullach, Höhenkirchen-Siegertsbrunn sowie Oberschleißheim und Straßlach-Dingharting wird das Vodafone zufolge bis Mitte 2021 passieren. Funklöcher, wie sie die Telekom in Garching schließt, indem sie dort 4G-Verbindungen möglich macht, arbeitet Vodafone auch ab. So ist eine LTE-Erweiterung in Ismaning geplant. Fünf LTE-Erweiterungen gibt es in Taufkirchen an zwei Antennen sowie in Haar, Neuried und Oberhaching.
Wie Vodafone-Sprecher Volker Petendorf schließt Markus Jodl von der Telekom eine Gefährdung der Bevölkerung aus. Jodl hält manchen Gegnern vor, Mythen zu verbreiten. Anders als kolportiert, sagt er, arbeite 5G mit längst genutzten Frequenzbereichen. Die oft prognostizierte Zahl der Antennen-Standorte sei überzogen. In der Fläche werde man mit 2,1 Gigahertz versorgen, nur an Hotspots wie Flughäfen oder in Campusnetzen werde es 3,6er-Frequenzen geben. Vodafone sieht in Zukunft ein diversifiziertes Netz mit Masten und großen Funkzellen in der Fläche und kleinen, ergänzenden "Smart cells" im städtischen Raum, die wie Wifi-Hotspots senden.
Dennoch kam in Unterschleißheim kürzlich die Forderung auf, an Grundschulen kein Wlan einzurichten, um zumindest die Jüngsten vor unnötiger Strahlung zu schützen. In Garching wäre Schulleiter Armin Eifertinger froh, wenn er an seinem vor acht Jahren neu errichteten Gymnasium schnelleres Internet nutzen könnte. Einen Glasfaseranschluss, wie ihn die Staatsregierung in jedes Haus bringen will, hielt man beim Bau der Schule noch für überflüssig.
Als Eifertinger den Chefposten übernahm, pochte er darauf, diesen zu legen. Den gibt es jetzt, nur steht im Haus noch der weitere Ausbau an, was bei Eltern nicht gerade gut ankommt. Eifertiger kennt die Verärgerung und verteidigt bei alldem doch auch ein bedachtes Vorgehen. Es gelte, vieles neu zu denken und alle mitzunehmen bei der Frage, was Bildung im digitalen Zeitalter ausmache. "Die Situation ist nicht trivial, für alle."
Dieser Satz könnte von Garchings Bürgermeister Dietmar Gruchmann (SPD) stammen. Er weist zurück, etwas verbummelt zu haben, und sieht die Verantwortung auch bei allen, die keine Antennen auf dem Dach oder in der Nachbarschaft wollen. Die Staatsregierung sei bei der Digitalisierung von Schulen spät aufgewacht und habe spät Förderprogramme aufgelegt, die sie jetzt preist. Garching habe vor zwei Jahren beschlossen, die Schulen anzubinden, 2020 habe man die Telekom beauftragt. Gruchmann beklagt langwierige Ausschreibungsverfahren, wie nun beim Gymnasium, wo erst wieder ein Ingenieurbüro engagiert werden müsse. Im Lauf des Jahres, sagt er, sollen alle Schulen Glasfaser bekommen und auch nutzen können.