Die Pietà von Salmdorf:Ungeschöntes Leid

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Die Pietà aus dem 14. Jahrhundert. (Foto: Angelika Bardehle)

Die im 14. Jahrhundert entstandene Salmdorfer Pietà beeindruckt durch ihre krasse Darstellung des Leichnams Jesu und des Gesichts der trauernden Maria. Das war nicht immer so, denn beides war kaschiert worden.

Von Angela Boschert

Wie erging es Maria, als ihr Sohn gefoltert und gekreuzigt wurde und wie, als er gestorben war? Die Bibel gibt auf diese Frage keine Antwort. Nur der Evangelist Johannes erwähnt die Mutter Gottes unter dem Kreuz und dass der Lieblingsjünger Jesu sie zu sich nahm. Mehr nicht. Erst um das Jahr 1300 entstanden Darstellungen der trauernden Maria, auf denen sie den Leichnam Christi im Schoß hält. Sie werden Pietà oder auch Vesperbild genannt und zeigen auf unterschiedlichste Weise den Moment des Abschiednehmens der Mutter vom Sohn.

Eine ungeschönt drastische Darstellung dieses intimen Momentes ist die überlebensgroße Salmdorfer Pietà, die ein unbekannter Künstlers im Jahr 1340 geschaffen hat. Sie steht heute in der erstmals 1315 erwähnten Wallfahrtskirche Mariä Himmelfahrt in Salmdorf, einem Ortsteil von Haar.

Dorthin gelangte sie nach der Säkularisation 1803 durch die Münchner Metzgerzunft. Über ihren frühesten Standort darf gerätselt werden. Die Größe der hochgotischen Pietà lässt vermuten, dass sie ursprünglich in einer der großen Münchner Kirchen gestanden hat, möglicherweise im Vorgängerbau der Münchner Frauenkirche. Sicher ist, dass das Gnadenbild seit 1442 in der sogenannten "Gruftkirche" auf dem Areal der ehemaligen Münchner Synagoge nördlich des Münchner Rathauses stand.

Vergessen zwischen Fässern und Gerümpel

Die Pietà genoss große Verehrung, geriet aber in Vergessenheit und wurde erst von einer Franziskanerinnen-Nonne 1612 wiederentdeckt, die sie aufgrund einer Marienerscheinung in der Gruftkirche zwischen Gerümpel und Fässern gefunden haben und so von ihrem Beinleiden geheilt worden sein soll. So wurde die Gruftkirche erneut zur Wallfahrtsstätte. Als diese 1803 geschlossen wurde, brachte die Metzgerzunft die kostbare hochgotische Pietà nach Salmdorf in Sicherheit und wallfahrtete einem Gelöbnis gegen eine Fliegenplage folgend bis 1950 alljährlich in der Fastenzeit dorthin. Daran erinnerte ein Bittgang anlässlich der 1000-Jahr-Feier Salmdorfs im Jahr 2015. Die geplante Wiederholung hat der Verein "d'Salmdorfer" diese Woche erneut verlegt, von Mai 2021 auf den 15. Mai 2022. Ebenso verschiebt er die vorgesehene Festwoche.

Die Pietà eines unbekannten Künstlers kam erst Anfang des 19. Jahrhunderts im Zuge der Säkularisation nach Salmdorf. Wo sie ursprünglich stand, ist unklar. (Foto: Angelika Bardehle)

Das Vesperbild wurde von 1994 bis 2003 im Landesamt für Denkmalpflege München kunsthistorisch untersucht und konserviert. Was Restauratoren 1933 bis 1935 begonnen hatten, wurde vollendet, die Übertünchung der herben, traurigen Gesichtszüge der Maria wurde ebenso entfernt wie die Verfüllung der Magengrube des Gekreuzigten mit Gips, sodass die Rippen Jesu wieder im Oberkörper hervortreten. Auch heute beeindruckt die monumentale Plastik aus dem nördlich der Alpen selten verwendeten Pappelholz, nicht nur durch ihre Höhe von 1,82 Meter, sondern auch durch die Komposition. Maria hat den Kopf gesenkt und blickt auf ihren Sohn. Ihre schmerzverzerrten Gesichtszüge mit tiefen Falten auf Höhe der Augenbrauen bergen Trauer und Fassungslosigkeit zugleich. Mit den langen dünnen Fingern ihrer rechten Hand umklammert sie den Oberkörper Jesu, als wolle sie ihn nicht gehen lassen. Ebenso fest hält sie ihn mit ihrer linken Hand am Oberschenkel, damit er nicht von ihrem Schoß herunterrutsche.

Das ist überraschend wirklichkeitsgetreu in Proportionen und Kraftverhältnissen. Der Kopf des Leichnams kippt dramatisch nach hinten, sein bleiches Gesicht mit dem schwarzen Bart ist zum Betrachter hin gewendet. Sein leicht geöffneter Mund zeigt Ermattung, Tod. Dennoch scheint Maria keinerlei Gewicht des Leichnams zu spüren. Seelische, nicht körperliche Last bedrückt sie. Man hält inne, besonders beim Blick auf die tiefe Seitenwunde Jesu. Völlig eingefallen ist seine Bauchhöhle, ausgemergelt sein Körper. Die meisterhafte Darstellung des Moments zwischen Kreuzabnahme und Grablegung weckt Ehrfurcht und Mitleid zugleich. Die Marienfigur birgt auch Geheimnisse, etwa zur Farbigkeit ihres Mantels. Zwar ist dieser bei Marienfiguren häufig von blauer Farbe, doch bei der Salmdorfer Maria "meint man aufgrund der Röntgenuntersuchung bei der jüngsten Restaurierung zu wissen, er sei weiß mit roten Kreuzen gewesen", sagt Pfarrer Albert Schamberger, der sich seit Jahrzehnten mit der Pietà beschäftigt.

Albert Schamberger beschäftigt sich seit Jahren mit der Pietà. (Foto: Angelika Bardehle)

Doch lässt sich die ursprüngliche Fassung nicht mehr rekonstruieren. Bis zu elf Bemalungen aus unterschiedlicher Zeit trug die Figurengruppe insgesamt, heute begegnet sie dem Betrachter in einer bewusst nicht mehr ergänzten Fassung vom Anfang des 19. Jahrhunderts. Die Krassheit des Ausdrucks bleibt.

Anmerkung der Redaktion: In einer früheren Fassung hieß es, die Skulptur sei 1430 erschaffen worden. Richtig ist das Jahr 1340.

© SZ vom 01.04.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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