Bürgerbegehren:Das Kreuz mit dem Kreuzchen

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So positiv, wie sich die Initiatoren von Bürgerentscheiden selbst sehen, wird ihr Treiben nicht von allen beurteilt. (Foto: Claus Schunk)

Unterschriftensammlung als Mittel der Politik: Immer häufiger versuchen Bürger und Gruppierungen, Niederlagen im Gemeinderat mit Bürgerentscheiden zu revidieren. Kritiker sehen darin eine Gefahr

Von Bernhard Lohr, Landkreis München

Nichts deutete darauf hin, dass sich Ernst Weidenbusch und Gabriele Müller wieder eines ihrer berüchtigten Duelle liefern würden. Die Atmosphäre war feierlich im Pfarrsaal von St. Konrad. Alle waren beim Neujahrsempfang der Gemeinde beschäftigt, sich gegenseitig das Beste zu wünschen. Doch beim CSU-Landtagsabgeordneten Weidenbusch kippte die Stimmung, als die SPD-Bürgermeisterin die sich häufenden Unterschriftensammlungen gegen kommunale Projekte kritisierte. Sie sieht das Vertrauen in die repräsentative Demokratie gefährdet. Weidenbuschs Kommentar: Unsinn.

Mit ihrer Beobachtung steht Müller nicht allein. Sind es doch immer wieder wenige, laute Kritiker, die Einzelinteressen groß zum Thema machen, indem sie mit Listen von Tür zu Tür ziehen. Oft nehmen sie dabei für sich in Anspruch, der vermeintlich schweigenden Mehrheit eine Stimme zu verleihen. Hinzu kommen Parteien und Gruppierungen, die außerparlamentarisch zu erreichen versuchen, woran sie im Gemeinde- oder Stadtrat gescheitert sind.

Seit 1995 gibt es in Bayern auf kommunaler Ebene Bürgerentscheide. Der Bayerische Gemeindetag als Vertretung der Kommunen zieht insgesamt ein positives Fazit: Bürger können sich auch zwischen den Wahlen einbringen. Große Streitthemen werden per Bürgervotum abgeräumt. Doch der Präsident des Bayerischen Gemeindetags und Bürgermeister von Abensberg, Uwe Brandl (CSU), spricht auch von der "Kehrseite der Medaille". Er beobachtet mit Sorge heftig ausgetragene Konflikte, bei denen versucht werde, Bürger mit allen Mitteln für die eigene Sache zu gewinnen. Nicht immer würden Fakten richtig dargestellt. Und nicht immer durchschauten Bürger die Komplexität der Aufgaben, sagt er. Bei manchen Entscheiden blieben Bürger und Mandatsträger am Ende frustriert zurück.

Haars Bürgermeisterin Müller machte auf dem Neujahrsempfang das Demokratieverständnis zum Thema, weil ein Konflikt um den Ausbau der Grundschule im Jagdfeld an Schärfe gewann, seit Bürger begannen, Unterschriften zu sammeln. Und sie griff Kritik auf, die in Pullach die Gruppierung WIP zu hören bekommt, die in der wohlhabenden Gemeinde den kommunalen Wohnungsbau zum Gegenstand eines Bürgervotums macht, nachdem sie im Gemeinderat unterlegen ist. Müller beklagt in beiden Fällen einen "Geist, der mit unserer Demokratie nicht mehr vereinbar ist". Das Vertrauen in die repräsentative Demokratie nehme Schaden, warnt sie, wenn Mehrheitsentscheidungen des Gemeinderats nicht irgendwann einmal akzeptiert würden.

So positiv, wie sich die Initiatoren von Bürgerentscheiden selbst sehen, wird ihr Treiben nicht von allen beurteilt. (Foto: Claus Schunk)

Der CSU-Landtagsabgeordnete Weidenbusch hält Müllers Haltung für vollkommen verfehlt. Er schätzt Volksentscheide auf Landesebene und Bürgerentscheide in Kommunen. Damit würden komplexe Streitfälle befriedet, sagt er. "Das beste Beispiel ist der Raucher-Volksentscheid." Aber auch der Hochhaus-Bürgerentscheid in München oder der zum Flughafen hätten segensreiche Wirkung entfaltet. "Die hätten im Münchner Stadtrat noch ewig diskutiert", sagt Weidenbusch. "Doch dann hat die Bevölkerung entschieden und es war Ruhe." Reinhard Vennekold, Fraktionschef der WIP in Pullach, sieht den eigenen Vorstoß als urdemokratischen Akt. Der Bürgerentscheid sei gerechtfertigt. Es gehe angesichts großer anderer Projekte wie Schulbau und Schwimmbad um die zentrale Frage, wofür Geld ausgegeben werde. "Das hat unmittelbare Auswirkungen auf die Bürger." Diese sollten das klären. "Wir schaffen Transparenz, wir schaffen Vertrauen."

Bürgerentscheide sind längst Alltag im Landkreis. Manch großer Streitfall wurde so ausgeräumt, wie bei den Entscheiden über die Ansiedlung eines Ikea-Markts in Feldkirchen und eines Schlachthofs in Aschheim. Aber nicht immer sind es die ganz großen Themen, wegen der die Bürger an die Urne gerufen werden sollen. Die Junge Union in Neubiberg sammelt Unterschriften gegen den Bau einer Tiefgarage. Im Ayinger Ortsteil Großhelfendorf wollen Bürger Gewerbepläne stoppen. Und manchmal werden Unterschriften gesammelt, ohne dass klar erkennbar ist, ob ein Bürgerentscheid das Ziel ist. So zuletzt öfter auch in Haar. Zur Realschule holte die CSU so ein Stimmungsbild ein. Die SPD wertete das als Stimmungsmache. Und Bürgermeisterin Müller sieht die Gefahr, die Bürger auf Dauer zu ermüden.

Im Haarer Schulbaustreit monierte Müller, dass die Bürger, die jetzt auf die Barrikaden gehen, den Kommunalpolitikern über Jahre die kalte Schulter zeigten und Angebote nicht nutzten, sich einzubringen und Kritik zu äußern. Zum Schulbau gab es Vorstudien, Expertisen wurden zu Standorten angefertigt. Eine Informationsveranstaltung eigens zum Thema fand statt, ein Architektenwettbewerb samt zweiwöchiger Ausstellung aller Entwürfen im Rathaus. Zwei Mal stimmte der Gemeinderat über den Standort ab. Dann sammelten Bürger Unterschriften und Weidenbusch brachte ein Alternativgrundstück ins Gespräch. Ein weiteres Mal ließ Müller abstimmen. Sie sagt: "Ich bin nicht gegen Bürgerentscheide." Sie selbst gehe auf die Straße zu Demonstrationen, wenn ihr etwas wichtig sei. Doch: "Irgendwann kommt der Punkt, da muss man sagen: Ich bin auch angetreten, Sachen voranzubringen."

Direkte Demokratie

Gemeinderäte und Stadträte sind laut Gemeindeordnung die Vertretung der Bürgerschaft. Seit 1995 können per Unterschriftenlisten Bürgerentscheide erzwungen werden. Manchmal werden Unterschriften gesammelt, um Rathäuser unter Druck zu setzen.

Bürgerfrust

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(Foto: Armin Weigel/dpa)

Uwe Brandl ruft als Präsident des Bayerischen Gemeindetags zum zurückhaltenden und verantwortungsvollen Einsatz von Bürgerentscheiden auf. Diese ließen Mandatsträger wie Bürger am Ende oft frustriert zurück.

Bürgervotum

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(Foto: Picasa)

Reinhard Vennekold von der WIP in Pullach hält auch nach einem Gemeinderatsbeschluss einen Bürgerentscheid für eine sinnvolle Sache. Wenn der Bürger bei einem Thema entscheide, schaffe das Transparenz und Vertrauen.

Doch offenbar glauben manche nicht, dass die im Rathaus das schon richtig machen werden. Gibt es eine Vertrauenskrise in die Institutionen? Eine Befragung des Meinungsforschungsinstituts Forsa im Auftrag des Gemeindetags bescheinigte diesen 2013 auf lokaler Ebene hohes Ansehen. 68 Prozent bekannten, großes Vertrauen zu haben. 52 Prozent der Befragten forderten, Entscheidungen sollten möglichst in Bürgerentscheiden getroffen werden, was laut Forsa ein niedriger Wert ist. Schließlich sei die Forderung nach Mitbestimmung sonst populär. Putzbrunns Bürgermeister Edwin Klostermeier (SPD) hält es für wichtig, dass Gemeinderäte Probleme lösen. Das ist für ihn die Lehre aus der Beobachtung, dass viele Bürgerentscheide wegen geringer Beteiligung scheitern.

Bürgerentscheid in Pullach
:Showdown in fünf Wochen

Der Pullacher Gemeinderat setzt den Bürgerentscheid über den Bau von Kommunalwohnungen an der Heilmannstraße für 25. Februar an.

Von Michael Morosow

Auch Klostermeier hat viel Streit in seiner Gemeinde erlebt, mit persönlichen Anfeindungen, als es um den Bau einer Asylbewerberunterkunft ging. Der Bürgerentscheid dazu wurde aus formalen Gründen gestoppt, was ihm mancher heute noch vorwirft. Klostermeier sagt: "Demokratie ist eben keine einfache Veranstaltung." Und: "Ich meine, wir müssen es aushalten, es gibt nichts Besseres.

© SZ vom 27.01.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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