Konzert:Als perfekte Sängerin

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Das Motto des Abends "As an Unperfect Actor" ist von einem Sonett Shakespeares inspiriert und trifft nun wirklich nicht auf die Schauspielerin und Sängerin Birgit Minichmayr zu. (Foto: Sebastian Gabriel)

Die Schauspielerin Birgit Minichmayr interpretiert in Oberhaching Bernd Lhotzkys Vertonungen von Shakespeare-Sonetten hinreißend - und lässt auch den Musikern von Quadro Nuevo Raum, sich zu entfalten.

Von Udo Watter, Oberhaching

Der Mann, der als Mastermind primär verantwortlich zeichnet für diesen Abend, sitzt jetzt selbst entspannt auf seinem Klavierhocker. Mit übereinandergeschlagenen Beinen und leichtem Lächeln verfolgt Komponist und Pianist Bernd Lhotzky, wie seine in einen Anzug gewandete Mitstreiterin neben ihm mit wehmütig-schmerzhafter und dunkelheiserer Stimme den Winter besingt: den Winter, der in der Abwesenheit des geliebten Menschen ins Gemüt dringt und dieses erkalten lässt. Der eine Zeit markiert, in der die Vögel verstummen und das Laub erbleicht.

Eingebettet ist diese poetische Klage von Birgit Minichmayr in eine melancholische Klangszenerie, die von den anderen Musikern auf der Bühne im Oberhachinger Bürgersaal entfaltet wird, den Jungs von Quadro Nuevo: Akkordeonist Andreas Hinterseer, D. D. Lowka am Kontrabass (und Perkussion), Gastspieler Philipp Schiepek an der Gitarre und dazu noch Mulo Francel, der am Dienstagabend seine Fähigkeiten als virtuoser Melodiker nicht nur am Saxofon demonstriert, sondern auch an diversen Klarinetten. Nach seinem Solo hebt Lhotzky kurz den Daumen. Der bei diesem Stück pausierende Pianist scheint glücklich mit der Umsetzung seines Arrangements von "How like a Winter".

Dieses Gedicht, das Sonett 97, ist eines von neun Sonetten William Shakespeares, die der in Oberhaching aufgewachsene Bernd Lhotzky während der Pandemie vertont hat. Das daraus entstandene Album "As an Unperfect Actor" mit Minichmayr als singende Interpretin sowie Lhotzky und Quadro Nuevo als instrumental agierende Combo wurde international gefeiert und mit dem Preis der Deutschen Schallplattenkritik ausgezeichnet. Jetzt also das Heimspiel für den 53-Jährigen, der vor allem als Jazz-Pianist bekannt ist, und seine prominenten Mitstreiter.

Schon der Einstieg ist mitreißend: "My Mistress' Eyes" singt da Minichmayr, die gefeierte Burgtheater- und Filmschauspielerin ("Andrea lässt sich scheiden"), mit tiefer gelegter Stimme temperamentvoll in den Saal. Wie sie manchen Worten eine rotzig timbrierte Klangfarbe beifügt, das hat schon Klasse, wie überhaupt gleich zu spüren ist, dass die 1977 in Linz geborene Österreicherin ihre Rolle mit lustvollem Charisma entfaltet.

In diesem Sonett geht es um eine Geliebte (Mistress), die nicht gerade dem Schönheitsideal entspricht und vom Dichter mit wenig schmeichelhaften Vergleichen bedacht wird. Am Ende des mit scharfen Bandoneon-Klängen und Tango-Rhythmen unterlegten Arrangements erfolgt dennoch die Liebeserklärung: Wie so oft bei Shakespeares Sonetten fördert das letzte Zeilenpaar eine ironische Wende zutage, die sich auch darin zeigt, dass die zuvor erwähnten liebeslyrischen Sprachbilder in ihrem falschen Pathos entlarvt werden.

Kongeniale musikalische Begleiter: die Band Quadro Nuevo. (Foto: Sebastian Gabriel)

Denn auch wenn Shakespeares Sonette von denen des italienischen Poeten Petrarca (gerichtet an die idealisierte Laura) inspiriert waren, so geht der englische Dichter doch zwei Jahrhunderte später teils deutlich andere Wege. Die Gedichte, die Lhotzky ausgewählt hat und die in Oberhaching zu hören waren - zunächst von Minichmayr in deutscher Fassung vorgetragen, dann in originalem Englisch des 16. Jahrhunderts gesungen - spannen thematisch einen Bogen von Liebesklage über Liebeslust und Erotik bis hin zur morbiden Selbstliebe ("Sin of Self-Love") und Weltklage ("Tired with all these").

Lhotzkys Kompositionen schaffen es, Shakespeares Lyrik in heutige Musik zu verwandeln

Lhotzky hat versucht, Klangfarben und Stimmungen dieser Sonette in atmosphärisch dichte, melodiöse Erzählungen umzusetzen, dabei jazzige oder tangoartige Elemente eingebaut. So anspruchsvoll es an diesem Abend wohl für viele Zuhörer ist, die Gedichte respektive Kompositionen textlich und musikalisch in ihrer Gänze zu erfassen - so bereichernd ist es doch, den Interpreten zu lauschen. Minichmayr ist mit einer Stimme begnadet, mit der sie nicht nur versiert zu rezitieren vermag, sondern auch wunderbar kleine Stimmungswechsel singt, nuancierte Emotionen vorträgt, im poetischen Rhythmus mitschwingt. Es ist ihre Bühne.

Der Mann links am Klavier hat die Sonette neu vertont: Jazzpianist Bernd Lhotzky. (Foto: Sebastian Gabriel)

Immer leicht heiser anmutend, immer leicht hauchartig ist Minichmayrs Stimme von einer dunkelschönen Intensität. Und dass eine großartige Schauspielerin wie sie auch zwischen Rollen, Geschlechtern und Perspektive zu wandeln weiß, überrascht nicht. Schön, wie die fünf Musiker dabei mit und neben ihr agieren, im musikalischen Dialog oder auch solistisch. Da gibt es keine Effekthascherei, sondern virtuoses Aufeinander-Hören und -Eingehen. Lhotzkys Kompositionen schaffen es, Shakespeares Lyrik in heutige Musik zu verwandeln und ihr einen gegenwärtigen, besonderen Zauber zu verleihen - mal ruhig-melancholisch, mal mit Groove, mal mit anregend suggestiver Soundkulisse, mit kontrastiven Elementen oder auch zart swingend wie bei der wunderbaren Zugabe "Let me not to the Marriage of": Da hat auch Lhotzky am Flügel wieder ein feines, berührendes Solo.

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