Kunstprojekt:Künstler planen Abhörstation am Marienplatz

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Hör- und Licht-Experimente im Zeltdom: Der Pasinger Marienplatz soll Schauplatz eines mehrtägigen Kunstprojektes werden. (Foto: mayer+empl/oh)

Das Kollektiv "Tam Tam" ruft zu Ostern zum Lauschen auf. In einem Kuppelzelt gibt es Soundreportagen und Licht-Projektionen. Eier werden mit Peilsendern gesucht.

Von Jutta Czeguhn

Phttöh, phttöh, phttöh... Manche Klänge hat das Hirn abgespeichert und erkennt sie sofort. Und doch überrascht die Musikalität dieses Sounds, wenn die Fahrradpumpe stampfend atmet. Schwieriger zu identifizieren sind die anderen Geräusche, die flächig wabern oder sich tiefer im Raum, weiter weg vom Mikro abspielen. Klirren, Knistern, Ticken, Rattern, eine Tonspur akustischer Reize, die sich übereinander legen. Dann die körperlose Stimme eines wohl eher jüngeren Mannes: "Was haben Sie im Angebot?" Und die Antwort eines mutmaßlich älteren, den man sich auch physisch irgendwie als Menschen von einer gesetzten, bayerischen Gemütlichkeit vorstellt: "Ois."

Das Kopfkino wird sofort aktiviert vom Audioclip, den die Klangentwickler von "Tam Tam" für die geneigten Ohren städtischer Genehmigungsstellen und des Bezirksausschusses kreiert haben. Sie sind, erzählt Matthias Stadler, in Pasing unterwegs gewesen, haben auf diesen Erkundungen ihre Mikrofone in Geschäften, Handwerksbetrieben und an zentralen Orten ausgepackt.

Stadler, 34, Kommunikationswissenschaftler und Künstler, ist so etwas wie der Sprecher, Fäden-Zusammenhalter und Location-Scout dieses losen, weit verzweigten Kreativ-Kollektivs mit dem federleichten Namen "Tam Tam". Dessen "Mitglieder" treibt es stets wie Eisenspäne einem Magneten zu, wenn es gilt, wieder einen Ort in München, aber nicht nur dort, in einen anderen Aggregatszustand zu bringen. Das soll nun, wenn alles klappt, auch mit dem Pasinger Marienplatz so geschehen. Vom 10. bis 19. April könnten die Tam-Tam-Leute dort ihren kreativen Speichertank öffnen für ihr Projekt "Abhörspiel". Man ist geneigt, von Pasinger Osterfestspielen zu sprechen.

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Bei nicht wenigen Menschen im Viertel wird es beim Namen "Tam Tam" klick machen, und sie werden sich an ein ziemlich wunderbares Getöse um eine wirklich schöne Sache erinnern. Im Frühjahr 2016 waren es Stadler und seine Leute, die mithalfen, einem knapp hundertjährigen Behelfsbau am Marienplatz, der sogenannten Pappschachtel, kurz vor ihrem Abriss-Tod einen höchst lebendigen, sound- und lichtstarken Abgang zu bereiten.

Projekt erhält Zuschuss von 30 000 Euro

Weil diese lässig-entspannten, spannend kreativen Wochen all zu schnell und ersatzlos vorbeigingen, will man nun im Stadtbezirk zumindest für ein paar Tage noch einmal dieses Tam Tam haben. Der Bezirksausschuss greift dazu in seinen Budgettopf und gibt 10 000 Euro, aus dem Städtebauförderprogramm "Aktive Zentren" kommen weitere 20 000 Euro. Und das Tam Tam-Konzept hat nicht nur diese Institutionen überzeugt, auch die städtische "Kommission für Kunst am Bau und im öffentlichen Raum" hat ihre Zustimmung zum Oster-Event gegeben.

Die Gottesmutter, Pasings güldene Stadtpatronin, könnte an den Apriltagen dann also oben von ihrer Säule am Marienplatz nicht nur auf die portablen Stadtbäume in den roten Kübeln blicken, sondern auf eine sogenannte geodätische Kuppel, eine Zeltkonstruktion, die von einer Gitterschale aus Dreiecken zusammengehalten wird. Matthias Stadler und die Tam-Tam-Leute fühlten sich, als sie diesen portablen Dom zum ersten Mal auf dem Spektakel-Festival in Landshut sahen, an jene riesigen, neugierigen Lauschbälle erinnert, die bei Bad Aibling als Ohren für US-Geheimdienste gedient haben.

Im Äußeren diesen Abhörstationen ähnlich, haben sie so einen Zelt-Dom nun als zentrales Element der Tam-Tam-Kunstaktion am Marienplatz vorgesehen. Es hat einen Durchmesser von 6,70 Metern und ist rundversehen mit Holzliegen, die eine Designerin der Gruppe, Gesa Hoeltje, eigens entworfen hat. Matthias Stadler ist überzeugt, dass der Ort viel Potenzial für alle möglichen Erfahrungen und Atmosphären haben wird, die selbst die Organisatoren heute noch nicht absehen können. Weil sich ja der Pasinger Stadtraum und seine Menschen - als Kreative oder als Besucher - dort erst einloggen müssen, damit in der Wechselwirkung etwas Spezifisches, Einmaliges entstehen kann.

Tam Tam - das sind bei diesem Projekt neben Stadler und Gesa Hoeltje noch Christian Öttinger, Daniel Door, Quirin Empfel und Martin Mayer sowie Emmanuel Ewald - machen indes auch Angebote mit ihren Konzept: So könnte der Dom zum Innehalten einladen im immer noch lauten und hoch nervösen Verkehrsraum am Marienplatz.

Eine gewisse Klangkulisse ist dort allerdings erwünscht, wenn nach Einbruch der Dunkelheit die Illumination des Doms einsetzt, die das Zelt in eine lichtpulsierende Zelle verwandeln soll. "Stimmen und die Geräusche des Platzes bringen eine 360-Grad-Projektion in Bewegung", beschreibt Mattias Stadler das visuelle Konzept. Man müsse sich das Ganze als interaktive Installation vorstellen. Eine spezielle Programmierung ermöglicht Motion-Tracking: Die Bewegungen der Besucher werden vor dem Zelt aufgenommen und in Projektionen im Dom umgewandelt.

Eiersuche der anderen Art

Zur (Ab-)Hörstation wird der Raum, wenn die Besucher über Kopfhörer die Geräuschlandschaft des Pasinger Zentrums erkunden und den kleinen Klangreportagen von Soundkünstler Daniel Door folgen. Mit den Ohren betreten sie jene Läden und Ateliers, welche die Klangarbeiter mit ihren Mikrofonen ausgelotet haben. Auch Live-Schaltungen, sagt Matthias Stadler, seien möglich. Ganz physisch durch ihren Stadtraum bewegen können sich die Pasinger am verlängerten Osterwochenende bei der Eiersuche mittels Peilsender, was man sich als ziemlich spaßige Angelegenheit vorstellen kann.

Spielerisch und spannend hört sich es an, was Tam Tam da in Pasings Zentrum vorhat. Noch aber sind nicht alle Genehmigungshürden genommen. Nach dem positiven Bescheid durch die Kunstkommission wurde nun das Genehmigungsverfahren und damit auch das "Umlaufverfahren" durch alle möglichen Fachdienststellen der Stadt in Gang gesetzt, das erst Ende Februar abgeschlossen sein dürfte. Als erfahrener Zwischennutzer, der schon viele Orte, unter anderem die Kammerspiel-Bar, mit Sound- und Licht-Kunst, Performance, DJing oder Live-Musik bespielt hat, bleibt das Kollektiv gelassen optimistisch. So dass man sich in Pasing auf ein neues Tam Tam freuen kann. Und eines kann Matthias Stadler für den Fall von verregneten Ostertagen schon mal versprechen: "Das Zelt ist dicht, aber offen."

© SZ vom 08.02.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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