Klassik:Die Jugend zurückgewinnen

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Warum die Konzertreihe "Klassik vor Acht", die beim vorerst letzten Konzert als lohnende Entdeckung den Pianisten Mao Fujita präsentierte, bis Herbst 2023 eine Pause einlegt.

Von Andreas Pernpeintner, München

Eine Maskenpflicht im Konzert gibt es derzeit nicht, beschränkte Saalkapazitäten auch nicht, und irgendwie scheint im Konzertbetrieb der Wunsch vorzuherrschen, dass alles wieder so sein möge wie vor Corona. Zurück ins Jahr 2019. Eine andere Entscheidung hat nun Hans-Dieter Göhre getroffen, Geschäftsführer von Concerto Winderstein: Die Münchner Konzertreihe "Klassik vor Acht" legt bis Herbst 2023 eine Denkpause ein (und hier hat das Wort nichts mit der Konzertsaaldebatte zu tun).

"Klassik vor Acht" ist eine besondere Konzertreihe. Zu Gast sind junge Künstlerinnen und Künstler, meistens am Klavier und wettbewerbsdekoriert, die in kompakten Solo-Abenden von 18.30 Uhr an ihr musikalisches Vermögen zeigen. Nicht irgendwo, sondern im Herkulessaal. Göhre nennt dies eine "Eintrittskarte zu einer der bedeutendsten Musikstädte und ihrem Publikum". In mehr als 40 Jahren "Klassik vor Acht" haben diese Karte schon einige gelöst: Ivo Pogorelich, Gerhard Oppitz, Lang Lang, Yuja Wang, Beatrice Rana, Daniil Trifonov und andere.

Um 20 Uhr, wenn in anderen Sälen erst die Geigen ans Kinn gehoben werden, ist bei "Klassik vor Acht" Schluss. Auch hierin zeigt sich, dass die Konzerte nicht nur an das angestammte Klassikpublikum gerichtet sind, sondern ebenso an die Jugend: Studierende, Schülerinnen und Schüler. Just diese Zielgruppe sei jedoch, wie Göhre erzählt, nach den Corona-Pausen kaum zurückgekehrt. Für ihn ein Zustand, den man nicht achselzuckend hinnehmen kann, denn die Jugend mit klassischer Musik wieder zu erreichen, ist sein großes Ziel. "Klassik vor Acht" sei immer als "ein lebendiger Ort des musikalischen Austauschs" von Jung und Alt gedacht gewesen - und Göhre sieht diese im Kern idealistische Konzertreihe "näher an den Möglichkeiten, etwas zu verändern" als andere Reihen.

Aus früheren Erlebnissen schöpft Göhre Hoffnung, dass dies gelingen kann. Er erinnert sich, wie einst der Geiger Itzhak Perlman für eine Kooperation mit einem Münchner Gymnasium gewonnen werden konnte. So entstand eine persönliche Verbindung der Schülerinnen und Schüler zum Künstler - für Göhre ein wichtiger Faktor, um "jungen Leuten einen Erstkontakt mit klassischer Musik zu ermöglichen". Die Musizierenden in die Schulen bringen, festgefahrene Rituale des klassischen Konzerts (Auftritt, Spielen, Verbeugen, Abgang) zu hinterfragen, das sind Richtungen, in die die Neubesinnung gehen könnte - damit die musikalische Entdeckungsreise bei "Klassik vor Acht" fortgesetzt wird.

Der Pianist Mao Fujita: eigenwillige Körpersprache und zauberhafter Klang

Dass die lohnt, zeigt sich beim vorerst letzten Konzert mit dem japanischen Pianisten Mao Fujita: Sehr gedankenverloren wirkt es, wie Fujita hinter dem Instrument zur Klaviatur schleicht. Eine knappe Verbeugung, die nur eine Andeutung von Konzertritual ist. Er setzt sich mit rundem Rücken vor die Tasten, und wenn man ihn fortan beobachtet, sieht man eigenwillige Dinge' die gewiss fernab von Schulmäßigkeit sind. Nachdrückende Handbewegungen, als müsste man bereits angeschlagene Tasten noch streicheln, mal steil aufragende, mal bis zum Oberschenkel durchgedrückte Handgelenke, Schulterblätter, die jäh angespannt werden. Gruselig.

Aber welch zauberhafter Klang entsteht hierbei! Ein dichter, warm austarierter, klarer Ton, der vor allem in Liszts zweiter Ballade einen phänomenalen Ausdrucksreichtum umfasst - vom gefahrvollen Grollen des Beginns bis zu einem herrlich lyrischen Diskant und zu packender Virtuosität. Diese Liszt-Interpretation ist mehr noch als die vorangegangenen Nocturnes und die Ballade Nr. 3 von Chopin das intensive Spielen eines in sein Tun versunkenen Fundamentalmusikers; Handygeläut im Saal ist da der denkbar größte Frevel. Nach Brahms' Thema mit Variationen op. 18b spannt Fujita dann Drei Romanzen op. 21 von Clara und die heftig bewegte g-Moll-Sonate op. 22 von Robert Schumann zu einer fast bruchlos zusammenhängenden Erlebniserzählung zusammen, bevor er sich diesmal gelöst und fast genießerisch verbeugt. Ein großartiger Eindruck, der bis zum Herbst 2023 halten muss.

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