Kinderkrippe in Trudering:Erzieher nehmen Zweijährigen bei Ausflug an die Hundeleine

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Während der Brotzeit im Bergtierpark Blindham wurde Ben (Name geändert) ein Stück von der Gruppe entfernt angebunden. (Foto: privat)
  • Bei einem Ausflug soll ein Zweijähriger die ganze Zeit an seinen Hosenträgern angeleint gewesen sein - angeblich, weil er nicht auf die Erzieherinnen hörte.
  • Die Betreuer sagen, das Anleinen sei "stets zur Sicherheit und im Interesse des Kindes" geschehen.
  • Die Eltern sind empört und haben ihren Sohn inzwischen aus der Truderinger Kinderkrippe genommen.

Von Sara Peschke

Lachende Gesichter, blauer Himmel, zutrauliche Lamas: Auf den ersten Blick erwecken die Fotos den Eindruck, als hätten die Kinder einer Krippe in Trudering einen unbeschwerten Tag im Bergtierpark Blindham bei Aying verbracht. Auf den zweiten Blick aber zieht sich dem Betrachter der Magen zusammen. Einige der Fotos, die die Krippe nach dem Ausflug für die Eltern ins Intranet stellte, zeigen einen kleinen Jungen, der an einer pinkfarbenen Hundeleine gehalten wird. Mal ist er bei den anderen Kindern, mal an einem Baum festgebunden, während alle anderen Brotzeit machen. Angeleint wie ein Tier.

Das war Ende Juni, mittlerweile besucht Ben ( Name geändert) eine andere Krippe. Die Eltern haben den Zweijährigen sofort aus der Einrichtung genommen, als sie die Fotos sahen. Vergessen können sie das, was ihrem Sohn widerfahren ist, aber nicht. Ben gehe es im Prinzip gut, sagt Sebastian B., der Vater. Vielleicht hat der Junge die demütigenden Momente als gar nicht so schlimm empfunden. Vielleicht hat er darunter weniger gelitten als seine Eltern. Die haben sich mit der Krippe inzwischen außergerichtlich auf einen Vergleich geeinigt, werfen ihr aber vor, zu wenig getan zu haben, um über den Vorfall zu informieren. Mehr noch: Sie habe versucht, ihn unter den Tisch zu kehren. Wie sie sagen, suchen Bens Eltern die Öffentlichkeit, um zu warnen.

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Diesen Vorwurf weist Thomas B., der Geschäftsführer der Krippe, vehement von sich. Er sagt: "Mit den anderen Mitgliedern des Elternbeirats wurde die Sache umfassend diskutiert, was diese sicher auch bestätigen können. Abgesehen davon habe ich persönlich umgehend den Vorfall bei der Aufsichtsbehörde gemeldet." Beide Aussagen stimmen: Thomas B. informierte den Elternbeirat wie auch das städtische Bildungsreferat. Die gesamte Elternschaft erfuhr von Bens Schicksal aber erst, nachdem die Süddeutsche Zeitung nachgefragt hatte.

Krippen-Chef Thomas B. wollte "keine schlafenden Hunde wecken", wie er sagt. Denn das, was sich am 30. Juni in Aying abspielte, ist nicht nur menschenunwürdig, es ist auch grob fahrlässig. Bens Vater beschreibt die Geschehnisse so: An dem Ausflug in den Tierpark nahmen 16 Kinder und fünf Betreuer teil. 15 Kinder durften sich frei bewegen und während der Brotzeit zusammen am Tisch sitzen. Nur Ben musste an die Hundeleine, die eine Betreuerin zufällig dabei hatte und kurzerhand an den Trägern seiner Latzhose befestigte. Und das nicht nur für wenige Minuten, wie die Betreuer zu Protokoll gaben, sondern zwischen 9.44 Uhr und 12.18 Uhr immer wieder. Das belegen die Aufnahmezeiten der Fotos.

Die Betreuer erklärten in einer Stellungnahme, das Anleinen sei "stets zur Sicherheit und im Interesse des Kindes" geschehen. Ben habe nicht gehört, wenn sie ihn gerufen hätten, und so hätten sie keine andere Möglichkeit gesehen. Ihrer Auffassung nach sei der Zweijährige dadurch "sogar deutlich intensiver betreut" worden als die anderen Kinder. Dass sie Bens Eltern nicht um Erlaubnis gebeten haben, räumen die Betreuer und die Krippe ein. "Das war klar ein Fehler, der nicht hätte passieren dürfen", sagt Geschäftsführer Thomas B. "Da gibt es nichts zu beschönigen."

Fünf Erzieher waren beim Ausflug für 16 Kinder verantwortlich

Dieser Auffassung ist auch Ursula Lay, Landesvorsitzende des Berufsverbands Katholische Erziehergemeinschaft Bayern. Sie sagt: "In Gefahrensituationen, wie zum Beispiel im Straßenverkehr, ist es vorübergehend akzeptabel, wenn ein Kind an einem speziell dafür vorgesehenen Gurt geführt wird. Natürlich müssen die Eltern vorher darüber informiert sein. Und natürlich darf das Kind nicht an einer Hundeleine gehalten werden, weil es sich damit strangulieren könnte." Das Vorgehen der Betreuer sei unverantwortlich und verstoße gegen etliche Erziehungsrichtlinien.

Thomas B. sagt, der Vorfall sei intern geklärt worden. Ob die verantwortlichen Betreuer Konsequenzen tragen mussten, möchte er nicht sagen. Die Ursache für den Vorfall liege in Bens Verhalten, sagt er. Den Eltern sei "die Tatsache, dass ihr Kind nicht folgt, durchaus bekannt", heißt es in der anwaltlichen Stellungnahme. Sie seien bei Elterngesprächen darauf aufmerksam gemacht worden. Vater Sebastian B. bestätigt, dass er und seine Frau einmal darüber informiert worden seien, dass Ben beim Überqueren einer Straße nicht an der Hand habe gehen wollen. "Wir haben das dann mit ihm geübt und es gab aus unserer Sicht keinen Anlass mehr zur Sorge."

Eine Hundeleine als Erziehungswerkzeug? Zumindest ein akuter Erziehermangel, dass also zu wenig Personal zu viele Kinder betreuen muss, kann hier nicht der Grund gewesen sein - bei fünf Erziehern für 16 Kinder während des Ausflugs. Womöglich wirft der Fall aber ein Licht auf das Problem vieler Krippen, dass es schwierig ist, Erzieher zu finden, die den qualitativen Ansprüchen gerecht werden, insbesondere für kleine Einrichtungen und private Krippen wie jene in Trudering.

Es heißt, ein Mensch könne sich bewusst erst an Dinge erinnern, die er im Alter von drei oder vier Jahren erlebt habe. Vielleicht ist das ein kleiner Trost für Ben und seine Eltern.

© SZ vom 20.10.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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