Hasenbergl:Wie aus schwierigen Verhältnissen der Start in eine gute Zukunft gelingt

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Vor 30 Jahren entstand Lichtblick Hasenbergl. Die Gründerin, Johanna Hofmeir (rechts), und die pädagogische Leiterin, Dörthe Friess, können sich darüber freuen, dass sie vielen Kindern einen erfolgreichen Start in ein selbständiges Leben ermöglicht haben. (Foto: Florian Peljak)

Vor 30 Jahren begann Lichtblick Hasenbergl mit der Betreuung von Kindern. Inzwischen begleitet die Einrichtung Menschen von der Geburt bis zum Abschluss der Berufsausbildung. Doch ausgerechnet die Ganztagsschule gefährdet nun den Erfolg.

Von Sven Loerzer

Es war ihre erste Stelle, die Johanna Hofmeir als junge Sozialpädagogin nach dem Abschluss ihres Studiums angetreten hat, bei einer Pfarrei. Dort, auf dem Platz vor dem Pfarrzentrum im Norden vom Hasenbergl, lungerten vor 30 Jahren Kinder und Jugendliche herum, für die es nichts gab außer die Straße als Spielplatz. In den herkömmlichen Kinderbetreuungseinrichtungen kamen sie mit ihrem auffälligen Verhalten nicht an. Ihre Eltern waren mit sozialen Problemen überlastet. Mit dem Elan der Jugend trat Johanna Hofmeir an, um unter schwierigen Bedingungen eine Nachmittagsbetreuung aufzubauen, "nicht auf dem Reißbrett geplant, sondern aus nackter Not heraus". Ihr ehrgeiziger Gedanke war, "eine Lücke im sozialen Netz zu schließen".

Wie groß diese Lücke tatsächlich war, zeigte sich erst Stück für Stück. Aber das war vielleicht auch großes Glück, denn so erschien das alles eher machbar. Aus den bescheidenen Anfängen vor 30 Jahren ist inzwischen "Lichtblick Hasenbergl" erwachsen. Mit einem Familienzentrum, einem Kinder- und einem Jugendhaus kümmert sich die Einrichtung um rund 200 Kinder von der Geburt an bis zum Alter von 25 Jahren, damit sie ihren Platz im Leben finden. Eine wirkliche Altersgrenze ist das freilich nicht, "meine Kinder können, wann immer sie es brauchen, wieder zurückkommen", sagt Hofmeir.

Dass die 59-Jährige dabei immer noch über denselben Elan verfügt wie am ersten Tag, dürfte auch damit zusammenhängen, dass sie auf ein tatkräftiges Team aus 60 Mitarbeitenden zählen kann. Dörthe Friess als pädagogische Leiterin kämpft genauso engagiert für die Kinder und Jugendlichen vom Hasenbergl. Beide treibt dabei auch der Erfolg ihrer Arbeit an, den die Schul-, Ausbildungs- und inzwischen auch Studienabschlüsse dokumentieren und der ihnen wichtiger ist, als alle Auszeichnungen, die Lichtblick sammeln konnte.

Was Vorbilder bewirken können, zeigt sich, wenn einer der Jugendlichen nach dem Abitur einer jungen Frau sagt, "wenn die das geschafft hat, dann schaffe ich das auch". Es zeigt, dass die Arbeit des Teams von "Lichtblick Hasenbergl" dazu beigetragen hat, Einstellungen zu verändern. Als Lichtblick damit begann, Kinder auf die Realschule zu bringen, reagierten Eltern oft noch skeptisch. Eine "Region mit den höchsten sozialen Herausforderungen in München" nennt das Sozialreferat das Hasenbergl-Nord, "geprägt von einer hohen Quote belasteter Familien in sozial benachteiligten Lebenslagen". Weit überdurchschnittlich viele Haushalte mit drei und mehr Kindern gibt es dort, der Anteil der Kinder, die in Haushalten mit geringem Einkommen leben, ist fast doppelt so hoch wie im Stadtdurchschnitt.

Vor diesem Hintergrund ist es um so beeindruckender, was Lichtblick schafft: Die Erfolge - 57 Prozent der Abgänger der vergangenen neun Jahre haben Arbeit nach einer abgeschlossenen Ausbildung oder einem Studium, weitere sechs Prozent sind in Elternzeit und 17 Prozent in Ausbildung - haben das Bildungsbewusstsein im Viertel spürbar gefördert. Eltern, die überwiegend im Niedriglohnbereich, meist ungelernt, arbeiten und denen Bildungsferne nachgesagt wurde, ist es nun ein Anliegen, dass ihre Kinder gute berufliche Wege einschlagen, weil sie erleben, dass ihre Kinder Chancen haben, die ihnen selbst versagt blieben.

Aus dem Jugendhaus geht der Blick zum Kinderhaus. Dort sind die Kindergartengruppen "Glühwürmchen" und "Sternschnuppen", sowie die Hortgruppen "Leselöwen" und "Schlaufüchse" für die Sechs- bis Neunjährigen untergebracht. (Foto: Florian Peljak)
"Lerntiger" und "Piraten" heißen die beiden Gruppen für die Zehn- bis 13-Jährigen. (Foto: Florian Peljak)
Für die Jugendlichen stehen Computer-Arbeitsplätze zur Verfügung. (Foto: Florian Peljak)

In der Pfarrei begann Hofmeir vor 30 Jahren damit, ein Betreuungskonzept zu entwickeln für die Kinder von der Straße. Hofmeir nennt sie "kleine Überlebenskünstler". Die Nachmittagsbetreuung folgte einem schlichten, aber wirksamen Ansatz: "Wir agieren wie Eltern, die schauen, was Kinder brauchen." Johanna Hofmeir setzte schon frühzeitig auf Versorgung - mittags eine warme Mahlzeit, dann Hausaufgabenbetreuung und Lernförderung. Genügend Platz zum Toben gehörten ebenso dazu wie das Einüben von Regeln des Zusammenlebens und lebenspraktisches Training. Im Jahr 1995 übernahm die Katholische Jugendfürsorge der Erzdiözese München und Freising die unkonventionelle Einrichtung, die dann schließlich stetig wachsend in der Wintersteinstraße 35 unterkam, bevor Spenden und Stiftungen die beiden Neubauten für das Kinder- und das Jugendhaus am Frauenholz hinter dem Pfarrzentrum ermöglichten.

Lichtblick Hasenbergl selbst erwies sich als beständig lernende Einrichtung. Dörthe Friess, 51, stieß nach einem SZ-Artikel zu dem Team und baute "Pro 10+" auf, ein Berufstraining, das schon im Alter von zehn Jahren beginnt. Denn die Erfahrung hatte gezeigt, dass die Kinder selbst kaum in der Lage waren, Berufswünsche zu äußern: Ihnen fehlten schlicht anregende Vorbilder, die eigenen Eltern oder die Eltern von Freunden waren arbeitslos oder als ungelernte Arbeitskräfte beschäftigt. Eine Reihe von Münchner Firmen, darunter auch Dallmayr, bietet den Lichtblick-Kindern über Schnupperpraktika Einblick in die Arbeits- und Berufswelt. Das hilft dabei, Ängste abzubauen und seine Stärken zu finden. Später kam die Ausbildungsbegleitung dazu, um Abbrüche zu verhindern, die oft auch mit häuslichem Stress zu tun hatten.

Den Kindern "viele Möglichkeiten" zu eröffnen, ihnen zu helfen, sich die Welt zu erschließen, ist Friess und Hofmeir ein Anliegen. "In den ersten Jahren waren wir total glücklich, wenn jemand den Quali schaffte, dann war es die Mittlere Reife", erzählt Hofmeir. Heute schaffen rund 50 Prozent der Kinder den Sprung in die Realschule. Und immer wieder gelingt einigen das Abitur, einige seien dabei auch gescheitert. Gerade das aber hat Hofmeir und Friess nicht ruhen lassen: "Wir müssen ganz früh an der Denk- und Lernfähigkeit arbeiten."

Denn es habe sich gezeigt, dass Kinder in der Entwicklung von Denk- und Lernfähigkeit "gebremst sind, wenn sie in belastenden Umständen aufwachsen". Um Entlastung zu schaffen, kümmert sich Lichtblick mit dem Familienzentrum auch um die Eltern, hilft den Lebensunterhalt zu sichern, berät in allen Fragen, bietet PC- und Deutschkurse. Erst vor Kurzem hat der Stadtrat beschlossen, das Zentrum zu erweitern wegen seiner Bedeutung für Familien mit kleinen Kindern.

Wenn sich Eltern Sorgen machen, wie zu Zeiten der Pandemie, weil sie ihre Jobs im Niedriglohnbereich, etwa als Spül- oder Reinigungskraft, verloren haben, oder aber Inflation und Energiepreise das knappe Budget sprengen, dann geht das an den Kindern nicht spurlos vorüber. "Sie trauen sich nicht, nach einem neuen Füller zu fragen, oder ob sie an einem Ausflug teilnehmen können", sagt Hofmeir und betont: "Es wirkt sich auch auf die Lernfähigkeit aus. Das muss man durch intensive, frühzeitige Förderung ausgleichen, sonst kommen sie nicht durch die Schule." Die Kinder müssen lernen, zuzuhören und sich aus Texten das Wesentliche zu erschließen.

Einen Treffpunkt zum "Chillen" bietet das Jugendhaus auch. (Foto: Florian Peljak)
Ein Fenster im Jugendhaus entstand nach dem Bild "Gratwanderer" von Ilse Erl. Die Künstlerin hat mit einer großzügigen Spende den Bau des Hauses ermöglicht. (Foto: Florian Peljak)

Wird die Ganztagsschule oft dafür gepriesen, dass sie auch die Chancengleichheit herstelle, so weisen die Erfahrungen von Lichtblick Hasenbergl in eine andere Richtung. "Es gibt immer mehr Ganztags-Realschulen", sagt Dörthe Friess. "Da bekommen wir die Kinder nur noch abends. Sie zeigen einen massiven Abfall in ihren Leistungen, da die intensive Begleitung fehlt. Wir können sie nicht mehr dort halten, das ist schmerzhaft." Einen Personalschlüssel wie bei Lichtblick, wo sich eine pädagogische Fachkraft um sechs Kinder kümmert, biete die Ganztagsschule nicht. "Der jetzige Ganztag kann ein Elternhaus, das den schulischen Anforderungen nicht nachkommen kann, nicht ersetzen", sagt Hofmeir. "Der Versuch, auf diese Weise Bildungsgerechtigkeit herzustellen, bringt unsere Kinder um die Chance auf den Schulabschluss."

Auch für Lichtblick Hasenbergl ist die Finanzierung des umfassenden Angebots nicht einfach, "obwohl uns die Stadt und der Freistaat alles geben an Förderung, was gesetzlich möglich ist". Rund 40 Prozent des Budgets müssen daher über Spenden und Drittmittel aufgebracht werden, etwa eine Million Euro pro Jahr. Für die nächsten Jahre hat sich Hofmeir deshalb vorgenommen, "ein Finanzierungskonzept zu erstellen, das unser hohes Niveau an Qualität in der Pädagogik sichern hilft". Sicherstellen will sie aber auch, dass die Gründungsidee "in Stein gemeißelt wird", eine Lücke im sozialen Netz zu schließen und sich immer wieder am Bedarf zu orientieren: "Wir machen das, was gebraucht wird." Schlicht ein Erfolgsrezept.

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