Interview:"Ich bin ein Grenzgänger"

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Vorwärts in die Vergangenheit: Karsten Kaie in seinem neuen Programm. (Foto: Siegfried Kerpf)

Der in Augsburg aufgewachsene Schauspieler und Comedian Karsten Kaie über sein neues Programm "Vergiss es!"

Von Oliver Hochkeppel, München

Vermutlich hat nicht einmal der Ur-"Caveman" Kristian Bader das Stück so oft gespielt wie der 1968 in Augsburg geborene Karsten Kaie. Seit 2001 ist er mit Rob Beckers Comedy-Erfolgsstück unterwegs. Parallel dazu steht Kaie seit 2005 ("Lügen, aber ehrlich") auch in eigenen Stücken auf der Bühne. Jetzt hat in der Drehleier sein neues, drittes Werk "Vergiss es!" Premiere gefeiert. Eine schwere Geburt, wie er berichtet.

SZ: Sie blicken im neuen Programm als Hundertjähriger auf Ihr Leben zurück. Wie kamen Sie auf die Idee?

Karsten Kaie: Da kam Verschiedenes zusammen. Einmal die Zäsur durch die Pandemie, als ich dachte, es wird vielleicht schwierig, an mein bisheriges Kabarett anzuknüpfen. Im Herbst 2020 formte sich die Idee heraus, Bilanz zu ziehen: Was hab' ich alles gemacht, wer bin ich, was bin ich. Warum erzähle ich nicht mein Leben?

Es ist also zunächst wirklich autobiografisch, von den Tanzstunden in Augsburg bis zum Kulturschock in Berlin?

Gerade da, wo man es vielleicht gar nicht glaubt, ist vieles tatsächlich exakt so passiert. Anderes ist dann doch nicht genau so, zum Beispiel die hier auf 2019 gelegte "Lügen-Late-Night-Show" im Fernsehen. Die war wirklich geplant, hat aber noch nicht stattgefunden.

Danach schaffen Sie sich Freiraum durch den Trick, vom Jahr 2068 aus zurückzublicken. Wie spinnt man die Zukunft aus?

Ich habe mir vorgestellt, was ich gerne erreichen würde, was aber unrealistisch ist. Daraus kann man Humor schöpfen. Ich bin nicht so vermessen zu denken, dass ich mal den Oscar kriege. Aber ich habe mir immer vorgestellt, wie lustig es wäre, diese Rede zu halten. Oder der Blick auf die Bundeskanzler von Willy Brandt bis zu Johannes Friedrich Kretschmann. Das glaubt ja keiner, aber diesen Sohn vom Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann gibt es wirklich, und er hat auch in irgendeinem Mini-Wahlkreis für den Bundestag kandidiert. Ist aber kläglich am CDU-Kandidaten gescheitert. Doch wer weiß - der hat zehn Jahre in Berlin studiert, ist jetzt um die 40 und ein late starter. Bei mir wird er 2038 Bundeskanzler, da wäre er immer noch jünger als sein Vater heute.

Solche Spekulationen reizen Sie besonders?

Mir hat es immer wahnsinnig Spaß gemacht, zu spielen, was auch meine politisch-moralische Haltung ausdrückt. Und wenn ich in eine Person schlüpfen muss, die das zelebrieren kann. Das neue Programm ist auch genau so gebaut, dass zeitlose Nummern mit aktuell Austauschbarem verbunden sind.

"Vergiss es!" ist Ihr drittes eigenes, selbst geschriebenes Programm. Wie war der Weg vom Schauspieler zum Autor?

Ich habe Theaterwissenschaft in Berlin und Schauspiel in New York studiert. Abgründig, tiefsinnig, intellektuell - ich habe alles von Sartre bis Camus gespielt. Dann komme ich zurück und bekomme die Chance mit "Caveman". Ich war 30, nicht mehr ganz jung und brauchte das Geld. Ich dachte, das geht drei Monate und gut. Dann hat es mir erschreckenderweise riesigen Spaß gemacht und wurde ein Bombenerfolg, der ja immer noch anhält. Irgendwann willst du aber auch wieder was anderes machen. Also habe ich "Lügen, aber ehrlich" geschrieben. In völliger Verzweiflung und unter Tränen, ich war ja kein Autor und wusste gar nicht, wie das geht. Ich wollte alles drin haben, da haben die Leute dann gesagt: Das ist ja sehr intelligent, aber Caveman war lustiger. Das hat mich natürlich sehr genervt, also habe ich aufs Publikum schielend "Ne Million ist so schnell weg" geschrieben. Da hieß es auf einmal: Aber "Lügen, aber ehrlich" war schon anspruchsvoller. Jetzt hab ich mir gesagt, ich mache mal nur, was ich will: einen Gemischtwarenladen aus meinem Leben. Und auf einmal hab ich eine Riesenfreude, und es gefällt vielen, weil jeder etwas darin für sich finden kann.

Also Comedy genau wie Parodie, Kabarett oder Theater?

Ja, ich bin ja ein Grenzgänger. Ein ernsthafter Schauspieler. Aber auch ein alberner Volkskomödiant, der Heinz Erhardt liebt. Und einer, für den mit Kabarett alles angefangen hat. Für meine Facharbeit habe ich als Schüler Gerhard Polt und Sigi Zimmerschied interviewt. Das waren meine Heroen. Ihre Mischung aus Ein-Mann-Theater und kabarettistischen Elementen ist immer noch unerreicht. Das war immer mein Traum, und dem komme ich mit "Vergiss es" jetzt so nahe wie noch nie. Ich bin von der Premiere mit dem Gefühl heimgefahren: Ich fange jetzt da an, wo ich als 18-Jähriger hin wollte.

Umso mehr braucht es Regie. Wie sind Sie auf Heinz Kreidl gekommen?

Heinz ist ja ein sehr erfolgreicher klassischer Theaterregisseur. Ich habe ihn als Intendant bei den Burgfestspielen Jagsthausen kennengelernt. Wir blieben in Kontakt, und er war der Erste, dem ich von "Vergiss es!" erzählt habe. Er sagte: "Das musst du machen!" Und ich: "Nur wenn du mir hilfst."

Sie haben all Ihre Programme in München in der Drehleier gespielt. Es gibt also eine besondere Beziehung zum Haus?

Das kann man sagen. Früher habe ich im "Schloss" gespielt. Als das nicht mehr ging, hat mir eine Mitarbeiterin vom Tollwood die Drehleier empfohlen. Ich bin dann einfach mal hin, damals noch zum Werner Winkler, und war sofort begeistert. Vom Haus, das außen so ein hässliches Entlein und innen dann so toll ist, und seiner Geschichte mit all den großen Namen. Aber auch von dem bunten Programm, das wie ich nicht ganz verortbar ist und perfekt zu mir passt. Da ist sehr viel Liebe und altes Kleinkunst-Ethos dabei, auch bei der neuen Chefin Manuela Hoffmann.

Sie erwähnten das Tollwood-Festival, damit sind Sie ja wohl auch eng verbunden?

Das war für mich tatsächlich eine zweite Heimat. Auch wegen der grandiosen anderen Künstler, die man dort getroffen hat. Von 2003 bis 2019 habe ich dort durchgehend gespielt, Sommer- wie Winterfestival. Zwei Wochen am Stück und oft drei Monate vorher ausverkauft. Den Caveman, mein Stück und auch sogar mal als Regisseur bei "Triple Espresso". Ich habe der Rita Rottenwallner und dem Team wahnsinnig viel zu verdanken.

Karsten Kaie: "Vergiss es!", Fr. und Sa., 13. und 14. Mai, 20 Uhr, dann wieder im Herbst, Theater in der Drehleier , Rosenheimer Str. 123, Tel. 48 27 42

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