Karsten Kaie übers Lügen:"Caveman": Wer lügt, erfährt die Wahrheit

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Er will seinem Publikum das Lügen beibringen: Ein ernsthaftes Gespräch mit dem Komiker Karsten Kaie ("Caveman") über seine Suche nach der Wahrheit und seine Definition von Lüge.

Kathrin Haimerl

Karsten Kaie ist gerade auf dem Weg zum Bahnhof. Er ist in Eile, denn er ist spät dran. Seine Antworten fallen deshalb etwas kurzatmig aus. Während er erzählt, schreien sich plötzlich im Hintergrund zwei Passanten an, es fallen Schimpfwörter. "Sie sagen sich wahrscheinlich gerade die Wahrheit", kommentiert Kaie das Geschehen.

Der Kritiker: In seinem Soloprogramm "Lügen, aber ehrlich" arbeitet Komiker Karsten Kaie auf der Bühne mit Licht und Schatten, um seine Mimik zu unterstreichen. (Foto: Karsten Kaie/www.karstenkaie.de)

Kaie muss es ja wissen. Schließlich hat er für sein Programm "Lügen, aber ehrlich!" ausgiebig recherchiert. Der Kabarettist, der als "Caveman" auf dem Münchner Tollwood-Festival bekannt geworden ist, mimt in seinem Soloprogramm einen Lügenmotivator, der seinem Publikum beibringen will, professionell zu lügen. An diesem Donnerstag und am Freitag ist er damit zu Gast in München, jeweils um 20 Uhr im Theaterzelt am Olympiapark. Gleich zu Beginn des Programms verrät er, was die häufigste Lüge im Alltag ist: Die Antwort auf die Frage "Wie geht es Ihnen?"

sueddeutsche.de: Herr Kaie, wie geht es Ihnen?

Karsten Kaie: Sehr gut, danke.

sueddeutsche.de: Und wie geht's Ihnen wirklich?

Kaie: (lacht) Tatsächlich sehr gut. Ich müsste noch mit dem Rauchen aufhören und etwas weniger essen, dann wäre mein Glück vollständig.

sueddeutsche.de: In Ihrem Programm "Lügen, aber ehrlich", bringen Sie dem Publikum bei, professionell zu lügen. Wollen Sie uns alle zu pathologischen Lügnern machen?

Kaie: Nein, es ist eher andersherum. Ich will den Leuten klarmachen, dass sie alle lügen. Ich bin derjenige, der das entlarvt. Und wenn schon alle lügen, dann kann man ihnen auch beibringen, dass sie lernen, positiv zu lügen. Also geschickt lügen.

sueddeutsche.de: Wie funktioniert eine positive Lüge?

Kaie: Wenn der Arzt einer Patientin, die Angst vor einer Krankheit hat, ein bisschen was verschweigt. Dann kann sie mit ihrem positiven Willen und der vermeintlich falschen Diagnose vielleicht eher wieder gesund werden, als wenn sie mit der Wahrheit konfrontiert wird. Wenn jeder permanent die Wahrheit sagen würde, dann kann das auch sehr verletzend sein.

sueddeutsche.de: Wie sind Sie auf das Thema Lüge gekommen?

Kaie: Das war in New York auf der Schauspielschule. Da musste ich einen Auszug aus einer Komödie von Anton Tschechow darstellen. Tschechow hat sich in seinen Werken ja auch mit der Frage nach Lüge und Wahrheit beschäftigt. Ich sollte also diesen Auszug auf verschiedene Weise darstellen, einmal mehr als Tragödie, einmal mehr als Komödie. Und immer war mein Schauspiellehrer unzufrieden. Ich dachte: Was will der eigentlich? Ist doch immer derselbe Text! Und da entstand die Idee für mein Programm. Es geht um Schein und Sein. Und darum, dass die Definition von Wahrheit und Lüge sehr verschwommen ist.

sueddeutsche.de: Wo wird am meisten gelogen?

Kaie: Das zieht sich durch alle Lebensbereiche. In der Politik nicht mehr als im Privatleben, als im normalen beruflichen Leben. Ich bin kein Freund der Lüge, ich bin auch kein Freund der Wahrheit. Aber ich bin ein Feind von Leuten, die glauben, die Wahrhaftigkeit für sich gepachtet zu haben. Denn das Leben ist sehr komplex und individuell.

sueddeutsche.de: Lügen Sie selber sehr viel?

Kaie: Ich habe im Alter zwischen 15 und 25 Jahren sehr viel gelogen. Die Schule war für mich uninteressant, ich hatte andere Visionen. Diese entsprachen aber nicht den Erwartungen der Gesellschaft. Ich habe mir viele Parallelwelten aufgebaut. Ich fühlte mich nicht cool, ich fühlte mich immer fremd. Erst, als ich nach New York auf die Schauspielschule ging, änderte sich das langsam. Schlussendlich habe ich die Schauspielerei für mich entdeckt. Und jetzt fühle ich mich mit mir im Reinen. Ich würde mich nun als sehr wahrheitsliebenden Menschen beschreiben.

sueddeutsche.de: Sie lieben die Wahrheit und wollen die Leute trotzdem zum Lügen motivieren?

Kaie: Nein. Mit meinem Programm will ich gleichzeitig unterhalten und verwirren. Ich will die Leute dazu bewegen, ihre konventionellen Denkstrukturen auf den Kopf zu stellen. Wir merken gar nicht mehr, dass wir selber Opfer unserer Unfähigkeit sind, Dinge zu überdenken.

sueddeutsche.de: Sie halten es also mit Nietzsche - Wahrheit ist eine Form der Täuschung?

Kaie: "Über Wahrheit und Lüge im außermoralischen Sinne" finde ich einen wunderschönen Aufsatz. Unsere Definition von Wahrheit ist trügerisch. Das fängt bei so banalen Dingen an wie der Feststellung "Die Sonne geht jetzt unter." Das stimmt so nicht. Die Sonne ist schon acht Minuten vorher weg, das Licht braucht nur so lange, bis es zu uns kommt.

Der Denker: Karsten Kaie will mit seiner Show unterhalten. Einerseits. Andererseits will er sein Publikum auch verwirren. (Foto: Karsten Kaie/www.karstenkaie.de)

sueddeutsche.de: Aber hat das Lügen in jeder Kultur dieselbe Bedeutung?

Kaie: Nein. Unsere Gesellschaft verbindet Lüge häufig mit dem katholischen Schuldbewusstsein, das sich hinter dem Gebot "Du sollst nicht lügen" versteckt. Ganz anders ist das in China bei den sogenannten Strategemen, die das Anwenden von Täuschung und List sogar empfehlen. Das sind meist hochangesehene Leute, die in der Lage sind, Dinge nach ihrem Gustus zu formen, weil sie nicht diesen katholischen Überbau haben.

sueddeutsche.de: Erkennen Sie geschickte Lügner?

Kaie: Das würde ich mir nie anmaßen. Es gibt sehr viele Mechanismen, die darauf hindeuten, dass jemand gerade die Unwahrheit sagt. Zum Beispiel die Mikrobewegungen im Gesicht. Oder wenn sich jemand ständig an die Nase fasst und einem beim Reden nicht ins Gesicht schaut. Oder sich lange und ausführlich erklärt. Das ist eine Mischung aus Körpersprache und Sprachduktus. Doch geschickte Lügner sind meist auch sehr intelligent. Sie machen sich dann genau diese Phänomene zu eigen. Damit sind ganz professionelle Lügner sehr schwer zu entlarven.

sueddeutsche.de: Gehen Sie auf Menschen misstrauisch zu?

Kaie: Nein. Vielmehr haben mich Menschen schon immer fasziniert. Ich will wissen, wie sie funktionieren. Das ist ja mein einziges Thema auf der Bühne. Am liebsten würde ich auf meine Visitenkarten schreiben, ich bin Beobachter. Ich bin neugierig und gehe auf Menschen offen zu. Das spüren die Leute. Ich glaube, dass dies auch das Geheimnis meines Erfolgs ist. Denn ich bin nicht zynisch gegenüber meinen Zuschauern.

sueddeutsche.de: Was ist heute die Norm: Lüge oder Wahrheit?

Kaie: Die Norm war schon immer, viel zu lügen. Lügen sind das Schmiermittel der Gesellschaft.

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