Zwischen Welten:Der weite Weg nach Hause

Lesezeit: 2 min

Emiliia Dieniezhna (Foto: Bernd Schifferdecker)

Unsere Kolumnistin hat ein Konzert der ukrainischen Gewinner-Band des Eurovision Song Contests 2022 und des Rappers Skofka im Backstage besucht. Das Heimweh war Teil des Bühnenprogramms.

Von Emiliia Dieniezhna

Am vergangenen Wochenende habe ich Karten für ein Konzert des ukrainischen Kalush Orchestra und des Rappers Skofka im Backstage in München ergattert. Das Kalush Orchestra wollte ich schon seit einem Jahr einmal live sehen, seitdem die Band den Eurovision Song Contest (ESC) gewonnen hat. Damals, im Mai 2022, war ich vom russischen Angriff auf meine Heimat und der darauf folgenden unfreiwilligen Flucht nach Deutschland total erschöpft, das Finale des ESC habe ich ehrlich gesagt verschlafen. Gut erinnere ich mich aber an die große Überraschung am nächsten Morgen, als ich vom Erfolg der ukrainischen Band erfahren habe.

Der Krieg hat die Welt verändert. Mir war von Beginn an klar, dass Frieden für mein Volk nur dann wieder möglich ist, wenn unsere Armee das Leben vieler Soldaten opfert und uns unsere politischen Partner unterstützen. Und wenn wir zusätzlich noch auf ein Wunder hoffen. Im realen Leben gibt es leider keine Wunder, aber der Sieg des Kalush Orchestra beim ESC hatte mir wenigstens die Illusion vermittelt, dass vielleicht doch alles möglich ist.

Jetzt, gut ein Jahr danach, ist mir klar, dass der musikalische Erfolg den Weg zum Frieden nicht ebnen konnte. Und dennoch ist das Gefühl geblieben, dass das Kalush Orchestra ein Symbol des Sieges ist. Deswegen war ich sehr froh, die Band in München live hören zu können. Zum Konzert bin ich in meiner Vyshyvanka gegangen, das ist die ukrainische National-Tracht. Sie gibt mir auch weit weg von zu Hause das Gefühl der Verbundenheit mit meinem Volk.

Das rosafarbene Käppi ist Erkennungszeichen von Kalush-Sänger Oleg Psyuk. Seit dem Überfall Russlands auf die Ukraine ist das Lied "Stefania", mit dem die Band den ESC 2022 gewonnen hatte, zu einer Hymne an das vom Krieg verwüstete Mutterland geworden. (Foto: Antonio Calanni/dpa)

Es gab ganz viele Menschen im Publikum, die Vyshyvanka trugen oder die ukrainische Flagge dabei hatten. Oft konnte ich auch rosa Mützen sehen, ein Symbol des Kalush Orchestra. Ich glaube, die Träger suchten dasselbe Gefühl der Zugehörigkeit wie ich. Das Backstage war übrigens voll, die Schlange am Eingang war ganz lang, so viele Menschen wollten die Band sehen. Ein bisschen schade fand ich allerdings, dass nur wenige Münchner das Konzert besucht haben. Ich hätte gerne mehr Deutsche dort getroffen, die mit uns die moderne ukrainische Kultur erleben wollten - Musik und Kultur bilden schließlich immer auch ein Land und seine Themen ab. Genauso war es mit diesem Konzert.

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Das Kalush Orchestra ist mit dem ukrainischen Rapper Skofka aufgetreten. Die Motive des Krieges und des Verlusts waren während der Show zu jeder Zeit zu spüren. Gleich zu Beginn sagte Skofka, dass er ohne seinen Back-Vokalisten singen müsse, weil dieser die Ukraine an der Front verteidige. Skofka hat noch weitere Erlebnisse mit dem Publikum geteilt, die auch seine Musik beeinflusst haben.

Ich war von einem Song Skofkas mit dem Titel "Der schlimme russische Soldat" besonders berührt. Darin fordert der Rapper den russischen Soldaten auf, zurück nach Russland zu kehren. Die Meta-Ebene dieses Songs war so zu verstehen, dass es für russische Soldaten keinen Grund gibt, in die Ukraine zu kommen, um dort friedliche Bürger und sogar Kinder zu töten. Kein neuer Gedanke zwar, aber viele Konzertbesucher haben bei diesem Song geweint.

Das Lied "Nach Hause", gemeinsam vom Kalush Orchestra und Skofka vorgetragen, hat ebenfalls einen Nerv getroffen. Es geht im Text darum, dass man sein Zuhause nicht vergisst, egal wo man ist. Und dass man den Weg nach Hause immer wieder findet. Das ist genau das, was Tausende von uns Ukrainern jetzt fühlen, wir suchen unseren Weg nach Hause. Und wir werden ihn finden, dessen bin ich ganz sicher.

Emiliia Dieniezhna, 34, flüchtete mit ihrer damals vierjährigen Tochter Ewa aus Kiew nach Pullach bei München. Sie arbeitet ehrenamtlich für die Nicht-Regierungs-Organisation NAKO, deren Ziel es ist, Korruption in der Ukraine zu bekämpfen. Außerdem unterrichtet sie ukrainische Flüchtlingskinder in Deutsch. Für die SZ schreibt sie einmal wöchentlich eine Kolumne über ihren Blick von München aus auf die Ereignisse in ihrer Heimat.

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