Aufregender könnte das neue Jahr kaum beginnen im Filmmuseum, die Werkschau der britischen Filmemacherin Joanna Hogg ist ein Coup. Sie war lange ein Geheimtipp, inzwischen gehört sie zu den wichtigsten Leuten des Weltkinos. Hogg wurde 1960 geboren, aber erst seit 2007 macht sie Filme fürs Kino, sechs sind es bislang. Es sind Filme voll Unruhe und Zerrissenheit, emotionale Geschichten, kühl und professionell inszeniert.
Ihre Filme "The Souvenir" und "The Souvenir Part II" wurden 2019 und 2021 von der Kinozeitschrift Sight & Sound an die Spitze der besten 50 Filme des Jahres gewählt - vor Tarantino, Almodóvar oder "Parasite". Der erste erzählt eine herzzerreißende Liebesgeschichte, der zweite ist einer der klügsten und dichtesten Filme über das Filmemachen. Ihr neuester Film "The Eternal Daughter" lief voriges Jahr im Wettbewerb in Venedig. Er wurde von Martin Scorsese produziert.
Begonnen hat alles für Joanna Hogg in einem Café in Soho, Anfang der Achtziger, mit einer Begegnung mit Derek Jarman, dem wilden (homosexuellen) Filmemacher. Hogg wollte an Jarmans Film "Caravaggio" mitmachen, der gab ihr stattdessen eine Super-16-Kamera - sie sollte selber Filme machen. Hogg ging an die National Film and Television School, in ihrem Abschlussfilm "Caprice" 1986 ging es um eine Frau, gespielt von ihrer Jugendfreundin Matilda, die sich euphorisch in die knallbunte Welt der Glamourmagazine verliert, die natürlich von den Männern dirigiert wird. Matilda war, anders als Joanna, bei "Caravaggio" dabei, sie wurde eine von Jarmans treusten Mitarbeiterinnen und ein Weltstar, als Tilda Swinton. Hogg machte nach dem Studium erst mal Musikvideos und drehte Folgen von TV-Serien. In den drei Filmen "Souvenir", "Souvenir Part II" und "The Eternal Daughter" spielt dann Tilda Swinton wieder mit.
Die Reihe beginnt diesen Sonntag mit Hoggs erstem Kinofilm "Unrelated" (2007) - und wird im Februar fortgeführt. Eine englische Familie macht Ferien in einem Haus in der Toskana, Anna kommt dazu, eine junge Frau, die Probleme hat mit ihrer Ehe. Eine flirrende Leere, Drinks am Pool, es gibt Spannungen zwischen den erwachsenen Kindern und den Eltern, ein schmerzlich genaues Porträt der britischen upper middle class. Anna (Kathryn Worth) fühlt sich hingezogen zum Sohn Oakley, gespielt vom engelhaft lockigen Tom Hiddleston.
Der ist auch im nächsten Hogg-Film "Archipelago" dabei, als Edward, der mit Mutter und Schwester Ferien macht auf Tresco, einer entlegenen Insel der Scillys, die man am besten mit dem Hubschrauber erreicht. Wieder Wanderungen und Plaudereien, die Mutter versucht sich am Malen, angeleitet von einem Freund. Edward wird bald aufbrechen, für ein Jahr nach Afrika. Diese Filme, sagt Martin Scorsese, sind ein Reinigungsbad der kreativen Impulse - er hat in Vanity Fair ein langes Interview mit Hogg geführt. Er mochte die englische Landschaft, wie aus dieser Erde die Menschen erwachsen - das sei wie bei Michael Powell und Emeric Pressburger (die englischen Filmemacher gehören zu Scorseses ganz großen Meistern) oder, fügt er schüchtern hinzu, womöglich wie bei Proust.
Vor Jahren konnte man im Filmmuseum schon mal Hoggs "Exhibition" sehen, in einer Filmreihe zur Architektur. Zwei Künstler - Viv Albertine und Liam Gillick - leben und arbeiten in einem einzigartigen Haus in Kensington, einem schwarzen Würfel, der ihre Kreativität schützend umgibt. Sie kommunizieren über eine interne Sprechanlage, wie in einem Raumschiff, eine Wendeltreppe verbindet die Stockwerke, wenn man sie rauf- oder runtereilt, ist das wie ein kreativer Schub.
"The Eternal Daughter", ihr neues Werk, ist ein echter Genrespukfilm
In den "The Souvenir"-Filmen gibt es dann viele autobiografische Momente, Hogg hat ihre Heldin, die Filmstudentin Julie mit eigenen frühen Fotoarbeiten und Super-8-Schnipseln ausgestattet, und hat ihr damaliges Apartment in Knightsbridge im Studio nachbauen lassen, ein verstörend verspiegeltes Labyrinth. Julie verliebt sich in Anthony (Tom Burke), einen Jungen mit einer mysteriösen Unnahbarkeit, nur langsam merkt sie, er ist ein Junkie. Einmal gehen die zwei in die Wallace Collection und betrachten dort Fragonards Bild "Le Souvenir", ein Mädchen ritzt den Anfangsbuchstaben ihres Geliebten in einen Baum. "You're lost and you will always be lost", sagt Anthony zu Julie, du bist verloren und wirst es immer sein.
Hogg fand ihre Julie erst ganz kurz vor Drehbeginn, Honor Swinton Byrne, ein Mädchen mit herber fragiler Schönheit. Sie ist die Tochter von Tilda, die in den "Souvenir"-Filmen dann Julies Mutter spielt, ganz ohne Exzentrik, mit grauen Strähnen im gewellten Haar, sie töpfert. Im zweiten "Souvenir"-Film versucht Julie Anthonys Tod (filmisch) zu verarbeiten. Natürlich gibt es viel Gerede über Filmästhetik von Dozenten und Studenten, über Hitchcock (oder Scorsese) - aber auch einen traumhaften Rausch des Begehrens im Stil von Powell und Pressburger, die Hogg ganz wie Scorsese verehrt.
Die Reihe im Filmmuseum ist rudimentär, der neueste Film ist nicht im Programm, er soll separat gezeigt werden, und es gibt keine Beispiele für Hoggs TV-Arbeit. Die Frage, mit der Julie konfrontiert wird: "Did you avoid the temptation to be obvious?" Das Naheliegende, Vorhersehbare, Offensichtliche, das ist das Geheimnis von Hoggs Kino, kann man nicht zeigen, aber es ist immer präsent. Ein phantomhaftes Kino - nur konsequent, dass ihr neuester Film, "The Eternal Daughter", ein echter Genrespukfilm ist. Tilda Swinton ist wieder dabei, in einer Doppelrolle, als Mutter und als Tochter.
Retrospektive Joanna Hogg - Art Is Life, ab So., 8. Jan., Filmmuseum München, St.-Jakobs-Pl. 1, www.muenchner-stadtmuseum.de/film