Für unglaubliche Geschichten ist das Theater immer gut. Das gilt auch, wenn es um bauliche Zustände geht. Eine Geschichte aus Ingolstadt geht beispielsweise so: Wenn ein Schauspieler zur Toilette geht, klettert er dorthin durchs Fenster. Gut, "kletterte" muss man jetzt sagen. Seit einem halben Jahr, erzählt Intendant Knut Weber, ist das nicht mehr so. Seitdem hat auch das Kleine Haus gegenüber dem alten Turm Baur für so etwas eine andere Lösung. Aber die Probleme reißen am Stadttheater nicht ab. Eigentlich sollte eine Ausweichspielstätte bald Abhilfe schaffen. Aber gerade ist alles zurück auf null gesetzt.
Am vergangenen Donnerstag hat der Ingolstädter Kulturausschuss wieder da angefangen, wo er schon einmal stand. Kulturreferent Gabriel Engert und Stadtbaurätin Ulrike Wittmann-Brand stellten 15 Möglichkeiten vor, wo eine Ausweichspielstätte entstehen könnte. Dabei brachten sie auch die Lösungen ein, die längst vom Tisch sind. Der Vollständigkeit halber, erklärt der Kulturreferent.
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Während die Ingolstädter Suche wieder losgeht, reibt sich die Theaterwelt immer noch ungläubig die Augen: Im Sommer hatte ein Bürgerentscheid das Vorhaben gekippt, in direkter Nähe zum Stadttheater auf einer Grünfläche an der Donau einen Ausweichspielort für rund 45 Millionen Euro zu bauen. 400 Zuschauerplätze waren dort geplant für die Zeit, in der das marode, 1966 eröffnete Stadttheater saniert wird. Danach wäre die neue Spielstätte mit 250 Sitzplätzen als Kammerspiele erhalten geblieben. Am Bürgerentscheid beteiligten sich nur 25,6 Prozent der Berechtigten. Zuvor war massiv gegen den Neubau als ein so dargestelltes Projekt für eine Elite polemisiert worden.
Seit dem Bürgerentscheid ist etwas Zeit verstrichen. Spricht man mit Kulturreferent Engert, so ist die Energie zu spüren, mit der er das Projekt verfolgt. Trotz des Rückschlags. "Wenn wir nicht positiv motiviert sind, geht nichts vorwärts", sagt Engert. Und er sagt auch: "Es wird einen Standort geben." Der 65-Jährige ist seit Juli 1994 im Amt, kürzlich hat er seinen Vertrag noch bis Juni 2024 verlängern lassen. Die Diskussion um die Theatersanierung und neue Kammerspiele kann man dabei als ein Langzeitprojekt betrachten. Dass eine unaufschiebbare Sanierung anstehe, wurde bereits vor zehn Jahren festgestellt.
"Die Probleme warten ja nicht"
Das muss zermürbend sein. Intendant Weber, 69, seit 2011 am Haus, wirkt jedenfalls nicht so "positiv motiviert" wie der Kulturreferent. Desillusioniert schon eher. Und das am Theater. "Die Probleme warten ja nicht", sagt er. Und: "Der Sanierungsstau ist teuflisch." Aber er schwärmt auch, sagt: "Unser Ingolstädter Publikum liebt unser Ensemble." Er spricht von einem "gesunden Haus", wenn er die 200 Mitarbeiter meint und den Publikumszuspruch, 5500 Abonnenten, die Angebote für das junge Publikum liefen hervorragend, hier zählt Weber 50 000 Zuschauer pro Spielzeit.
Ein paar Tage nach der Kulturausschusssitzung führt Weber, der noch bis August 2024 Intendant ist, durch das Stadttheater, zeigt die neuralgischen Punkte: Es gibt keine Lagerflächen. Malerei, Montage, Tapeziererei, Schlosserei, Schreinerei teilen sich eine zu kleine Fläche. Die Kabel hat man zwar hinter Metall versteckt, wo die hinführen, wisse aber keiner, sagt Weber. Klimaanlage, Heizung machen ebenfalls Probleme.
Wo nun also hin mit dem Betrieb, wenn saniert wird? Die Stadtbaurätin benannte Standorte in der Altstadt, im Norden und am Bahnhof, viele davon unattraktiv, weil in Privatbesitz, nicht verfügbar, schwierig zu bebauen oder umstritten. Es gibt auch Überlegungen, bestehende Bauten umzufunktionieren. Etwa den Turm Baur, der allerdings auch erst einmal saniert werden müsste.
Diesen Ort halten Engert und Weber nicht für uninteressant, da das Theater benachbarte Bereiche schon nutzt oder nutzen soll. Engert hofft, dass sich die Fraktionen auf drei bis vier Standorte zur näheren Prüfung einigen können, möglichst in der Stadtratssitzung am 25. Oktober oder Anfang Dezember. Immerhin: Trotz der verfahrenen Situation haben sich 31 Interessenten auf die ausgeschriebene Intendantenstelle beworben.
Neben all den Diskussionen läuft der Theaterbetrieb weiter. So hat Weber gerade die Deutsche Erstaufführung von "Requiem" des israelischen Autors Hanoch Levin im Kleinen Haus eingerichtet. Darin versuchen die Figuren mit Tod, Verlust, Gleichgültigkeit, der Abwesenheit von Liebe klarzukommen. Der Titel ist Programm, das Stück ein Abgesang. Weber mischt Pathos mit Überzeichnung, lässt der Trauer Raum. Die Inszenierung ist nicht dem Zeitgeist unterworfen, sondern verhandelt Allgemeinmenschliches. Später, nach der Vorstellung, wünscht man sich, dass es in Ingolstadt bald einen Ort gibt, der solchen Auseinandersetzungen einen zugewandteren Ort bietet. Keinen, an dem man kürzlich noch durchs Fenster kletterte.