Gesundheit:So will München gegen Impflücken vorgehen

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Ein kleiner Stich, das war's: Impfungen sind eine der größten Errungenschaften der Medizin. Dennoch misstrauen viele Menschen dem Verfahren immer noch. (Foto: dpa)
  • Das Gesundheitsreferat in München meldet einen Anstieg der Masern-Fälle.
  • Mit besseren Informationen und mehr Aufklärung will die Stadt dafür sorgen, dass sich mehr Menschen impfen lassen.
  • An der Schwanthalerhöhe soll ein Impfkompetenzzentrum geschaffen werden, das im kommenden Jahr eröffnet.

Von Inga Rahmsdorf

In München gibt es zu viele Impflücken. Davor warnt das städtische Referat für Gesundheit und Umwelt (RGU) immer wieder. Im Juni 2018 wurden in der Stadt 15 Fälle von Masern gemeldet. Im Juli waren es sechs Personen, die sich infiziert hatten. Das ist ein deutlicher Anstieg zu den beiden Vorjahren. Im Jahr 2017 wurden insgesamt elf Fälle gemeldet, 2016 waren es nur sechs. Die Krankheit ist hochansteckend, wenn man nicht geimpft ist. Und sie kann tödlich verlaufen.

Die Stadt will nun mit einer neuen Strategie dafür sorgen, dass sich mehr Menschen in München impfen lassen. Die Bevölkerung solle besser informiert und aufgeklärt werden, das hat der Stadtrat am Donnerstag beschlossen. Das Gesundheitsreferat will künftig auch die Gruppen stärker erreichen, die bisher die Impfangebote von Hausärzten nicht genutzt haben. Beispielsweise Menschen, die nicht krankenversichert sind und kein Geld haben, die Impfungen selbst zu zahlen. Für sie soll ein niedrigschwelliges Impfkompetenzzentrum geschaffen werden. Die Einrichtung ist an der Schwanthalerstraße 69 geplant und wird im kommenden Jahr eröffnet.

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Zudem etabliert das Gesundheitsreferat eine Münchner Arbeitsgemeinschaft Impfen (MAGI). Vertreter von Ärzte- und Krankenkassenverbänden, Wissenschaftler sowie städtische Mitarbeiter sollen darin gemeinsam weitere Strategien entwickeln, um den Impfschutz zu erhöhen. Für Ärzte sind Fachveranstaltungen geplant, die sich auch mit Impfkritik und -ängsten auseinandersetzen.

Die Räume des künftigen Impfzentrums an der Schwanthalerstraße 69 wurden bisher auch vom Gesundheitsreferat genutzt. Vier Ärzte sowie zwei nichtärztliche Mitarbeiter waren dort zuständig für die Beratung und Impfung von Asylbewerbern. Da die Zahl der ankommenden Flüchtlinge stark gesunken ist, soll das Angebot nun für andere Bevölkerungsgruppen ausgeweitet werden.

Es gehe allerdings nicht darum, Impfungen in Hausarztpraxen zu ersetzen. Das Gesundheitsreferat versteht das neue Zentrum lediglich als zusätzliches, unterstützendes Angebot. "Mit unserem Impfkompetenzzentrum wollen wir die bestehenden Impflücken in München schließen", sagt Gesundheitsreferentin Stephanie Jacobs. "Wer sich impft, schützt nicht nur sich selbst, sondern auch andere." Nicht nur bei Kindern, sondern auch bei Jugendlichen und Erwachsenen gebe es Bedarf. Der finanzielle Aufwand, den die Stadt dafür betreiben muss, hält sich in Grenzen. Für den Ankauf der Impfstoffe veranschlagt das Gesundheitsreferat jährlich 10 000 Euro, 20 000 Euro fallen für Öffentlichkeitsarbeit und Infomaterial an.

Dass die Zahl der an Masern erkrankten Menschen steigt, ist kein münchenspezifisches Problem. Laut Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat sich die Zahl der Masernfälle 2017 in Europa im Vergleich zum Vorjahr vervierfacht. Damit liegt Deutschland mit 927 Fällen an fünfter Stelle der Infektionszahlen. Das Robert-Koch-Institut geht davon aus, dass die Zahl der tatsächlichen Erkrankungen noch deutlich höher ist, da ein Teil der Erkrankten vermutlich nicht zum Arzt gehe und auch nicht jede Maserninfektion gemeldet werde. Auch bei Keuchhusten und Windpocken ist in München 2017 ein Anstieg zu verzeichnen. Im vergangenen Jahr wurden bei beiden Krankheiten 667 Fälle gemeldet. 2016 waren es noch 464 gewesen.

Die Stadt orientiert sich bei dem neuen Impfkonzept an der Bayerischen Impfstrategie zur Erhöhung der Impfraten. Im Alter von 24 Monaten sollen Kinder zweimal gegen Masern geimpft sein. Das rät die ständige Impfkommission (STIKO), die in Deutschland Empfehlungen ausspricht. In München waren 6,5 Prozent der Erstklässler im Schuljahr 2015/2016 nicht geimpft. Und auch bei älteren Schülern sieht es nicht besser aus. Bei einer Kontrolle der Impfpässe vor zwei Jahren stellte sich heraus, dass weniger als 95 Prozent der Kinder gegen Keuchhusten, Kinderlähmung, Hepatitis B, Masern, Mumps und Röteln geimpft waren.

Aufklärung im neuen Impfkompetenzzentrum

Ob Eltern ihre Kinder impfen lassen, entscheiden sie selbst. In Deutschland gibt es keine Impfpflicht. Befürworter einer solchen Pflicht betonen, dass Impfungen nicht nur den Einzelnen betreffen, sondern eine gesamtgesellschaftliche Relevanz haben. So ist beispielsweise Keuchhusten für junge Säuglinge, die noch nicht geimpft werden können, gefährlich. Gegner warnen vor gesundheitlichen Nebenwirkungen. Mögliche Risiken einer Impfung würden nicht ausreichend untersucht oder kommuniziert.

Das neue Impfkompetenzzentrum der Stadt München soll künftig allen Menschen offenstehen. Bisher können sich Menschen, die nicht krankenversichert sind, nur bei Organisationen wie "Ärzte der Welt" oder "Malteser Migranten Medizin" behandeln lassen - im vergangenen Jahr waren das in München weit mehr als 1000 Personen, darunter auch viele Kinder. Betroffen sind nicht nur Menschen ohne Aufenthaltspapiere, sondern vor allem Menschen aus dem EU-Ausland und auch deutsche Staatsbürger, denen ihre private Krankenversicherung gekündigt hat oder die bei der gesetzlichen Krankenversicherung hohe Schulden angehäuft haben. Kinder werden in diesen kostenlosen Sprechstunden bisher auch geimpft. Allerdings keine Erwachsenen.

Dafür würden die logistischen, administrativen und personellen Kapazitäten fehlen, sagt Carolin Bader, Fachberaterin von Ärzte der Welt. Nur bei dringendem Bedarf, wie bei Wundverletzungen und bei Schwangerschaft, können auch Erwachsene ausnahmsweise geimpft werden. Dabei gehen die medizinischen Mitarbeiter von Ärzte der Welt aufgrund einer Befragung davon aus, dass nahezu bei allen Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen, die in die Anlaufstelle kommen, nur ein unzureichender Impfschutz vorhanden ist.

Die Organisation fordert schon seit Langem, eine zentrale Impfstelle einzurichten. Die medizinische Versorgung sei keine Aufgabe von Vereinen und Ehrenamtlichen, sondern schließlich Aufgabe der öffentlichen Hand. "Diese Aufgabe sollte durch die Gesundheitsbehörden, die die Expertise, Kapazitäten und den Auftrag des Infektionsschutzes und der öffentlichen Gesundheit besitzen, umgesetzt werden", sagt Bader. Daher sei zu begrüßen, dass die Stadt nun ein Impfkompetenzzentrum einrichtet.

© SZ vom 22.10.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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