Hochschulen:Wer zu München forscht

Historiker, Architekten, Verkehrstechniker oder Ethnologen - viele Studenten und Professoren beschäftigen sich mit den unterschiedlichen Aspekten des Stadtlebens. Sechs Beispiele.

Von Franziska Gerlach und Christina Hertel

Angehalten

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(Foto: Imago)

Heather Twaddle vom Lehrstuhl für Verkehrstechnik an der TU München ist eine Expertin, wenn es um Münchner Fahrradfahrer geht. Schon vor zwei Jahren hat die gebürtige Kanadierin im Zuge ihrer Dissertation an vier Kreuzungen der Stadt untersucht, wie sich Radler in bestimmten Situationen verhalten. Eines der Ergebnisse: 80,8 Prozent von ihnen halten an einer roten Ampel an, 7,2 Prozent ignorieren das Signal dagegen, wenn sich die Gelegenheit dazu bietet, zwölf Prozent nutzen die Fußgängerampel zum Wechsel der Straßenseite. In diesem Juni befassen sich Twaddle und drei Verkehrstechnikstudenten gemeinsam mit dem Kreisverwaltungsreferat (KVR) nun an drei Tagen mit der sogenannten "grünen Welle", die Mitte Mai an der Schellingstraße installiert wurde. Die Messungen sollen ergeben, ob diese Ampelschaltung eine Verbesserung für den Fahrradverkehr darstellt, und wie sich die Neuerung auf die anderen Verkehrsteilnehmer, also etwa Autos oder Busse, auswirkt. Was dagegen München als Fahrradstadt auszeichnet, das lässt sich nicht so leicht beantworten. Das sei sehr von der jeweiligen Verkehrssituation abhängig, sagt Twaddle. Da nun aber auch Erhebungen in Freiburg und Berlin geplant sind, wird die Verkehrsexpertin schon bald Vergleiche ziehen können.

Eingespart

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(Foto: Florian Peljak)

Wie viel Energie, wie viel Kohlenstoffdioxid verbraucht ein Gebäude von der Fertigstellung bis zum Abriss? Wie lässt sich Energie sparen? Die Umwelt schonen? Architektin Patricia Schneider von der TU München hat all das für ein genossenschaftliches Wohngebäude, das auf der ehemaligen Kaserne des Domagkparks in Nordschwabing steht, berechnet. In ihrer Arbeit hat sie zum Beispiel analysiert, wie sich die Ökobilanz verändert, wenn das Tragwerk aus Holz statt aus Stahlbeton ist. Die Zahlen für diese Berechnungen entnahm Schneider speziellen Datenbanken. Das Ergebnis hat die Architektin selbst überrascht: 22 Prozent Kohlendioxid könnten durch ein Tragwerk aus Holz gespart werden. Das liegt daran, dass viel Energie aufgebracht werden muss, um den Beton herzustellen, aber auch um ihn zu recyceln. Ähnlich viel komme zusammen, würde man auf den Bau einer Tiefgarage verzichten. "Ich habe das zweimal nachgerechnet, weil ich es selbst nicht glauben konnte", sagt Schneider. Nur ist Parken an der Oberfläche in einer Stadt wie München keine Lösung. Und Parkplätze einfach weglassen, geht auch nicht: Bei Wohnhäusern ist immer eine gewisse Anzahl vorgeschrieben. Der Stellplatzschlüssel lasse sich, so Schneider, nur verringern, wenn sich die Bauträger alternative Konzepte überlegten - etwa Carsharing. Das Gebäude, das Schneider unter die Lupe genommen hat, heißt "Wagnis Art", besteht aus 138 Wohnungen und ist kein normales Bauprojekt. Es hat einen hohen ökologischen und energetischen Standard, zum Beispiel wurden die fünf einzelnen Wohngebäude als Passivhäuser errichtet, haben also keine klassische Heizung. Finanziert wurde das Gebäude von 180 Genossen, die alle in den Entstehungsprozess eingebunden waren. Bei einem Passivhaus sei das unbedingt notwendig, sagt Schneider. Denn ein Passivhaus lohne sich aus energetischer Sicht zwar immer, jedoch müssten sich die Bewohner ausreichend informieren. Es gelten strenge Regeln, etwa für das Heizen und Lüften. Nicht alle Ergebnisse von Schneiders Forschung konnten auf das Gebäude in Schwabing angewendet werden. Zu weit vorangeschritten waren die Planungen, als sie mit ihrer Studie begann. Und mal schnell aus einem Tragwerk aus Stahlbeton eines aus Holz machen, ist nicht so einfach. "Die Ergebnisse sollen aber in zukünftige Bauprojekte einfließen", sagt Schneider. Was sie herausgefunden habe, sei leicht auf andere Wohngebäude übertragbar.

Umgeplant

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(Foto: Stephan Rumpf)

9 000 Quadratmeter mitten in München, beste Lage - nur zehn Minuten Fußweg bis zum Hauptbahnhof. Und im Sommer steht die Fläche fast komplett leer. Kaum zu glauben, eigentlich. Die Rede ist vom Winterquartier des Circus Krone. In der kalten Jahreszeit leben die Artisten hier in ihren Wohnwagen, im Sommer ziehen sie von Stadt zu Stadt. Architekturstudenten der Hochschule München überplanen das Areal gerade in einem Seminar. Ihr Fokus: Inklusion. Doch die Studenten meinen damit nicht nur Wohnraum für Behinderte - sie wollen einen Ort für alle Menschen schaffen: für Rollstuhlfahrer, Flüchtlinge, Obdachlose, Familien. Luzie Söhner und Fabian Zeidler arbeiten zusammen an einen Entwurf. Bis zur Abgabe sind es noch einige Wochen, aber sie stecken schon in den letzten Zügen, nur die Feinarbeit fehlt noch. Ein wichtiger Aspekt in allen Arbeiten: Das Winterquartier soll für den Zirkus erhalten bleiben. Luzie Söhner und Fabian Zeidler haben sich deshalb überlegt, auf dem Gelände ein Café zu errichten - mit Rampe, so dass die Wagen auf dem Dach stehen könnten. Außerdem soll es auf dem Grundstück ein Hostel geben. "Die Artisten könnten dort überwintern. Und im Sommer wäre es für Touristen geöffnet", sagt Luzie Söhner. Auch die Werkstatt des Zirkus soll bleiben. Nur anders genutzt werden: Luzie Söhner und Fabian Zeidler stellen sich eine Art Repair-Café vor, wo sich weniger Talentierte von handwerklich Begabten etwas abschauen könnten. Auch in dem Café sollen die Gäste nicht nur Latte Macchiato schlürfen, sondern etwas lernen: und zwar kochen - Gerichte aus der ganzen Welt. "Vielleicht von Flüchtlingen", sagt Söhner. Denn für die soll es auf dem Grundstück außerdem eine Sprachschule geben. Und was in München natürlich auch nicht fehlen darf: bezahlbarer Wohnraum.

Vorgesorgt

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(Foto: Catherina Hess)

Verarmt und vereinsamt oder aktiv und selbständig bis ins hohe Alter: Geht es um Rentnerinnen, haben sich diese beiden Bilder in den Köpfen verfestigt. Die Realität aber liegt irgendwo zwischen diesen Extremen. Zu diesem Ergebnis kommt das von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) geförderte Forschungsprojekt "Prekärer Ruhestand. Arbeit und Lebensführung im Alter" am Institut für Europäische Ethnologie der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU). Das Alter sei schließlich weder eine Phase der tatenlosen Depression noch des permanenten Aktivismus, der Rentner von Ehrenamt zu Ehrenamt treibe, sagt Irene Götz. Sie ist Professorin und leitet das auf drei Jahre angesetzte Forschungsprojekt. Götz und ihre Kollegen untersuchen die Lebensverhältnisse von 40 Rentnerinnen aus München. Im Zuge eines Semesterprojekts befragten Studenten in mehrstündigen Interviews zehn Münchnerinnen dazu, wie sie als alleinstehende Frauen zurechtkommen in der Stadt. Anschließend erstellten sie sogenannte Fallbiografien, an denen sich die Ursachen mangelnder finanzieller Absicherung im Alter ablesen lassen: Die befragten Frauen hatten etwa als Krankenschwestern, Therapeutinnen oder auch Putzhilfe gearbeitet - ein Querschnitt durch die Gesellschaft. Eine der Damen steht mit ihrer Monatsrente von 1600 Euro recht gut da, andere haben nur 600 Euro zur Verfügung. Viele müssten dazu verdienen, doch die Möglichkeiten für Rentner seien leider begrenzt. Neben dem "Altersheim als Schreckensgespenst", wie Irene Götz das formuliert, treibe viele die Angst vor der Zukunft um. Wie wird es sein, wenn die Gesundheit nicht mehr mitmacht? Wenn sie - eine für München ganz spezifische Sorge - ihre Wohnung verlieren. Dabei wollten die Frauen auf keinen Fall ihren Kindern zur Last fallen. Die Wissenschaftlerin erklärt das damit, dass viele der Frauen der Nachkriegsgeneration ihre eigenen Mütter oder Schwiegermütter hätten pflegen müssen und das ihren eigenen Töchtern wohl nicht zumuten wollten. Man sei aber erstaunt gewesen, wie gut die Damen in ihren Situationen zurechtkämen - und welche Strategien sie entwickelten. Manche Frauen sparen, wo es nur geht, züchten Tomaten oder leisten sich keine Zahnarztbehandlungen mehr. Andere praktizierten in Tauschringen das Prinzip des Gebens und Nehmens. Überhaupt sei ein gut funktionierendes Netzwerk überaus wichtig für das Leben im Alter, auch "kulturelles Kapital" lohne sich beizeiten zu bilden. Denn wer gebildet sei, der könne sich später leichter beschäftigen.

Ausgeliefert

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(Foto: Rolf Vennenbernd/dpa)

Container stehen ja nicht gerade im Ruf, die Gegend aufzuhübschen. Insofern ist dieses Studienprojekt schon eine Herausforderung: Im Zuge des Forschungsprojektes "City2Share" lässt der Paketzusteller UPS gerade neue Container für München entwickeln, und diese sollen nicht nur die Zustellung umweltfreundlicher, sondern auch die Stadt schöner machen. Damit das gelingt, hat man zwölf Studenten an der Akademie Mode und Design (AMD) in München zur Zusammenarbeit gebeten. Einer von ihnen ist Ali Al-Khakani, 21 Jahre alt. In seinem zweiten Semester erarbeitet der Student des Bachelorstudiengangs Design und Innovation Management nun also gerade eine Optik für die mobilen Container, die UPS im Glockenbachviertel, in der Nähe des Schlachthofes und in Sendling aufstellen will. Sinn und Zweck des Ganzen ist es, den Verkehr in der Stadt zu reduzieren. Statt die Adressaten mit dem Transporter zu beliefern, werden die allmorgendlich aufgestellten Container - insgesamt drei an der Zahl - den Tag über Anlaufstelle sein für die UPS-Boten, die dort auszuliefernde Päckchen und Pakete zu Fuß oder mit dem Fahrrad abholen. "Das Design der Container soll sich ins Umfeld einfügen", erläutert Studiendekan Michael Beck. Die Studenten befragten die Münchner und machten Fotos von den Standorten. Denn einfach draufloszeichnen, das würde kaum funktionieren. Der Weg zum Entwurf erfordert ein Konzept: Zu Beginn bekamen die Studenten daher vier Begriffe - München, Bayern, Nachhaltigkeit und Mobilität - an die Hand, aus denen sie ein Thema ableiteten. Ali Al-Khakani näherte sich seinem Entwurf über den Begriff "Motivation". "Das ist aber nur eine Richtlinie, man ist nicht an das Wort gebunden im Design", sagt der Student. Vorgegeben ist dagegen, dass auch das Logo von UPS eingebaut werden muss sowie der Braunton. Als Einschnitt in die künstlerische Freiheit sieht Al-Khakani das nicht, ein Designer arbeite eben für eine bestimmte Zielgruppe. Im Juli wird eine Jury entscheiden, welcher Entwurf tatsächlich umgesetzt wird. Die Farbe Grün, hatte ein Münchner Al-Khakani auf die Frage geantwortet, was ihn denn motiviere. Wie das Ergebnis aussieht, will der Student nicht verraten. Es werde bunt, sagt er nur.

Dageblieben

1945, nach Kriegsende, verschlägt es Tausende Juden nach München. Von hier aus wollen sie emigrieren - in die USA oder nach Israel. Sie überlebten Konzentrationslager, flüchteten aus Osteuropa, erfuhren unermessliches Leid. Trotzdem machte sich eine kleine Minderheit, etwa 3000 Menschen, nie auf den Weg in eine neue Heimat. Sie blieben in München. Warum? Das war eine der zentralen Fragen, die sich Geschichtsstudenten der LMU stellten. Sie interviewten zehn Männer und Frauen, die in den Fünfziger- und Sechzigerjahren in München aufwuchsen und immer noch hier leben. Die Gespräche wurden gefilmt, aus den prägnantesten Ausschnitten, persönlichen Gegenständen und Fotos entstand eine Ausstellung, die noch bis zum 31. Juli im Jüdischen Museum zu sehen ist. "Oft gab es keine richtige Antwort", sagt Michael Brenner, der den Lehrstuhl für Jüdische Geschichte leitet und das Projekt gemeinsam mit Andreas Heusler vom Stadtarchiv München betreute. "Viele waren physisch oder psychisch nicht in der Lage." Eine Wahl hatten die Kinder damals nicht - es waren ihre Eltern, die sich für ein Leben in München entschieden. Die Kinder spürten, sagt Brenner, dass Vorurteile von früher immer noch bestanden. "Aber es kippte auch in das andere Extrem. Die Leute wussten: Antisemitismus ist tabu. Und waren dann zu den jüdischen Kindern extra nett." Manche Eltern entschieden sich zwar selbst für ein Leben in München, wollten aber nicht, dass ihre Kinder im "Land der Täter" aufwuchsen. Sie schickten sie auf Internate im Ausland. "Die Schicksale", sagt Brenner, "waren ganz unterschiedlich." Die meisten aber hätten im Laufe der Zeit ein Heimatgefühl entwickelt, nicht unbedingt zu Deutschland, aber zu Bayern und München. In keiner anderen deutschen Stadt lebten nach dem Krieg so viele Juden aus Osteuropa wie in München. Etwa 10 000 hielten sich zumindest kurzfristig hier auf. Der Grund: In den westalliierten Besatzungszonen wurden viele sogenannte Displaced-Persons-Lager eingerichtet - etwa für befreite KZ-Häftlinge. Jüdische DPs konnten von dort ihre Emigration nach Israel oder Nordamerika vorbereiten. Und Überlebende aus Osteuropa kamen nach Bayern, weil es von den Amerikanern besetzt war. Sie hofften, von dort aus leichter auswandern zu können. München sei deshalb speziell und nicht vergleichbar mit Berlin oder Düsseldorf, wo nach 1945 mehr deutsche Juden lebten.

© SZ vom 07.06.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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