Jetzt hat sie ihren ersten Winter in München fast geschafft. Tage ohne Sonnenschein. Vereiste Straßen. Schneestürme. Aus dem Süden Spaniens, wo sie aufgewachsen ist, kennt Celia Martinez-Jimenez solche Wetterwidrigkeiten nicht. Da wachsen Orangen und Zitronen und man schützt sich vor der Hitze. Wie unangenehm sich beißende Winterkälte im Alltag anfühlen kann, hatte Martinez-Jimenez vorher selten erlebt. Sie lacht, als sie die Eingangstür ihres Institutes öffnet und ihr der Wind Schnee ins Gesicht bläst. Was macht das schon. Sie wird auch hier, am nördlichen Stadtrand von München, viele Stunden im Labor verbringen. Da ist es eigentlich egal, wie niedrig oder hoch draußen die Temperaturen sind. Sie ist schließlich hierher gekommen, um mit ihrer Forschung weiterzukommen.
Anfang des Jahres hatte man sie um einen Vortrag gebeten, darin sollte sie erklären, warum sie München zur neuen Heimat gewählt hat. Oberbürgermeister Dieter Reiter hatte mehr als 200 Wissenschaftler aus dem Ausland zu einem Empfang ins Alte Rathaus geladen. Er selbst war an diesem Januarabend dann doch nicht dabei. Ein Vertreter der Stadt begrüßte die akademischen Gäste, bevor Hans van Ess, Sinologie-Professor der Ludwig-Maximilans-Universität (LMU), den Wissenschaftsstandort München rühmte und betonte, dass man an der Isar ohne die internationale Verstärkung bei weitem nicht so positiv dastehen würde. Zuletzt trat an jenem Abend Celia Martinez-Jimenez vor das Mikrofon. Wippender Zopf, ein buntes Tuch um den Hals, die großen Augen mit wachem Blick ins Publikum gerichtet. Sie hatte eine Powerpoint-Präsentation mit vielen Bildern vorbereitet, um zu veranschaulichen, weshalb sie hier sei und an was sie forsche.
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Klick für Klick wollte sie die Umrisse einer Europakarte mit den Ländern und Städten füllen, in denen sie bisher studiert und gearbeitet hat. Lilafarbene Felder mit gelben Punkten: Spanien und die Universität von Valencia, die Schweiz und das Biozentrum der Universität Basel, Griechenland und das Alexander-Fleming-Institut, in England das Krebsforschungscenter und das Wellcome Trust Sanger Institut in Cambridge. Und dann München mit dem Helmholtz Pioneer Campus (HPC) in Neuherberg, wo sie seit Ende des Sommers 2018 ein Forschungsteam aufbaut. Doch die Technik in dem holzgetäfelten Rathaussaal funktionierte nicht so, wie Martinez-Jimenez geplant hatte. Sie lächelte die Enttäuschung weg und hielt sich an ihr Redemanuskript.
"Meiner Meinung nach", begann sie auf Englisch, "ist wissenschaftliche Forschung geprägt von Wissensaustausch und internationaler Zusammenarbeit." Bei diesem Satz dürften die Kollegen ihres neuen Instituts dahin geschmolzen sein wie ein Löffel Eiscreme im Mund. Denn genau darum geht es im HPC: Spitzenwissenschaftler aus der ganzen Welt zusammenzubringen. "Wir suchen nach Ausnahmetalenten, denen wir den Freiraum geben, ihre Ideen schnell und zielgerichtet umzusetzen", sagt Thomas Schwarz-Romond, Molekularbiologe und Operativer Direktor des Campus.
Ziel sei es, ihre neuen Erkenntnisse in die medizinisch-technische Anwendung zu bringen und für die Gesellschaft nutzbar zu machen. Die Forscher haben keine Lehrverpflichtungen und müssen keine Drittmittel einwerben. Für dieses ambitionierte Projekt stellt das Münchner Helmholtz-Zentrum das Geld zur Verfügung. Die Initiative gibt es erst seit 2017, im Herbst soll der Grundstein für ein neues Gebäude auf dem Gelände in Neuherberg gelegt werden. Die 50,8 Millionen Euro dafür haben der Bund und der Freistaat Bayern für das europaweit einzigartige Projekt bereits zugesagt.
2022 soll alles fertig sein für maximal 20 Forschergruppen. Derzeit gibt es sechs, die ihre Labore und Arbeitsräume in existierenden Instituten entsprechend ihrer technologischen Anforderungen einrichten können. Celia Martinez-Jimenez leitet eine dieser Gruppen. Woran Martinez-Jimenez forscht, interessiert die wissenschaftliche Welt, macht aber auch den Laien hellhörig, was im Alten-Rathaus-Saal ziemlich deutlich wird. Die geladenen Wissenschaftler hören der Spanierin aufmerksam zu.
Vereinfacht ausgedrückt: Sie forscht daran, wie Zellen altern. Sie hat herausgefunden, dass nicht alle Zellen gleichmäßig altern und dass das kein zufälliger Prozess ist. Vier Jahre lang arbeitete sie in Cambridge intensiv an diesem Thema. Bei einem Gespräch im Büro auf dem Helmholtz-Campus schwärmt sie von den Bedingungen dort. "Wir hatten dort alle Technologien zur Verfügung, die derzeit verfügbar sind", sagt sie. In Griechenland hingegen waren die technischen Mittel zwar schlechter, aber sie habe gelernt, auf eine besondere Art als Wissenschaftlerin zu denken. Sie habe oft Out-of-the-box gearbeitet. Soll heißen, schnell auf eine Situation reagiert und entsprechend umgesetzt.
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Von München erwartet sie ähnlich gute Bedingungen wie in England. Von ihr wiederum wird erwartet, dass sie ohne Umschweife weiter in ihrem Feld forscht. In ihrer Doktorarbeit hat sie sich mit der Leber und möglichen Krankheiten auseinander gesetzt. "Ein wunderschönes Organ", sagt Martinez-Jimenez mit einem breiten Grinsen, weil sie wohl weiß, dass höchstens Kollegen bei dieser Aussage zustimmen. Was ist an einer Leber schön? Dass sie sich regenerieren kann, aber nur bis zu einem bestimmten Stadium der Erkrankung. Hier eben setzen die Überlegungen der Wissenschaftlerin an. Es geht ihr nicht allein darum, dass der Mensch und seine Organe nicht altern, sondern dass er möglichst gesund alt wird, um seine Lebensqualität zu verbessern. Dazu schaut sie sich einzelne Körperzellen an, die ihren Erkenntnissen nach, unterschiedlich schnell ihre Funktion verlieren - alters- oder krankheitsbedingt. Sie wolle die Verbindung zwischen Alterungsprozessen und der Häufigkeit von chronischen Krankheiten wie etwa Diabetes verstehen, erklärt sie, damit schlussendlich neue Therapien oder Medikamente möglich sind.
Sie sei eine Optimistin, sagt Celia Martinez-Jimenez, 41. So hat sie etwa nie ihren Kinderwunsch aufgegeben, und ist vor Kurzem erst Mutter geworden. Ein früherer Zeitpunkt wäre wohl besser gewesen, sagt sie, aber es hat sie nicht davon abgehalten, nach München umzuziehen und die neue Stelle anzunehmen. Während sie ihr Labor nach ihren Wünschen einrichtet, kümmern sich ihr Mann und die Schwiegermutter um das Kind. Ab sechs Monaten kann die Familie die Krippe auf dem Campus nutzen. Wer Wissenschaftler aus dem Ausland gewinnen möchte - egal ob Frauen oder Männer - muss Kinderbetreuung anbieten. Das ist der Helmholtz-Gemeinschaft, die größte Forschungsorganisation Deutschlands, sehr wohl bewusst.
Das allein aber erklärt noch nicht, warum Celia Martinez-Jimenez München ausgewählt hat. Ausgestattet mit zahlreichen Stipendien aus Spanien und England hätte sie womöglich auch anderswo forschen können. Sie aber hat den fünf Jahresvertrag unterschrieben, weil sie die Stadt als künftiges "Zentrum der europäischen Wissenschaft und Industrie" sieht. Mehr als 60 Krankenhäuser und Kliniken, große Universitäten, berühmte Wissenschaftszentren wie die Max-Planck-Institute, eben Helmholtz und international agierende Firmen wie BMW und Siemens. Sie kommt ins Schwärmen, als sie die lange Liste aufzählt. Noch sei alles sehr neu für sie, so wie die Sprache. Sie stöhnt. Klar, hier sprechen alle Englisch. Aber sobald es wärmer wird, will sie auch raus aus dem Labor und vielleicht einen Wein auf Deutsch bestellen. Auch das: eine Herausforderung.