Hauptstadt der Selbstgefälligkeit:Warum München die Zukunft hinter sich hat

Flughafen, S-Bahn, Konzertsaal? Mit uns nicht, sagen die Münchner. Natürlich, die Stadt ist schön, sicher und erfolgreich. Und obendrein gemütlich. Nur: Eine Puppenstube ist zwar behaglich für die Bewohner, doch sie bietet keinen Lebensraum für die Zukunft.

Christian Mayer

Der vergangene Sonntag, an dem die Münchner über die dritte Startbahn abstimmten, lässt vermuten, dass sich die Stadt selbst genug ist. Es war ein glitzernder Sommertag, am Fluss feierte das Volk ein ausgelassenes Fest. An Tagen wie diesen rasen zuerst die Mountainbiker frühmorgens Richtung Wolfratshausen, anschließend kommen die Jogger, Skater und Surfer, später steigt dann eine Grillparty, die weite Teile der Stadt in Rauchschwaden hüllt. Man sieht: Den Münchnern geht es gut, sie wohnen am schönsten Großstadt-Fluss Europas, man kann hier seit der kürzlich in Angriff genommenen Renaturierung bedenkenlos baden.

An diesem Sommertag entschieden die Münchner, dass alles am besten so bleibt, wie es ist. Es soll, so das Ergebnis des Bürgerentscheids, keine dritte Startbahn geben, keine Flughafen-Erweiterung, mit der München im Wettbewerb der europäischen Airports aufholen könnte. Nun darf sich die Stadt München daran nicht beteiligen - damit ist das 1,2-Milliarden-Projekt auf Jahre hinaus blockiert, denn die Flughafen-Gesellschaft, an der auch der Bund und der Freistaat Bayern Anteile halten, kann nur einstimmig handeln.

Für viele war die Niederlage der Startbahn-Allianz Grund zum Jubel: Auf ihrer Schotterpiste an der Isar haben die Grillmeister in der heranbrechenden Dunkelheit auf ihre Smartphones geguckt und auf den Sieg angestoßen, dann ging es weiter zum Public Viewing im Biergarten. Deutschland gegen Dänemark, auch ein wichtiger Kampf.

Ja, München ist schön, nicht nur an lauen Sommerabenden, und es gibt viele Gelegenheiten, sich in dem Glauben zu wiegen, in der sichersten, attraktivsten, wirtschaftlich erfolgreichsten Stadt Deutschlands zu leben. Schließlich hat die Stadt zwei Exzellenz-Universitäten und einen Fußballverein, der im heimischen Stadion um ein Haar das Champions-League-Finale gewonnen hätte.

Auch ohne dritte Startbahn, gegen die man gute Gründe ins Feld führen kann, bleibt München eine lebenswerte, liebenswerte Stadt. Auf bemerkenswerte Weise haben die Münchner monatelang über die Flughafen-Erweiterung gestritten, sie haben sich am Ende mit gut 54 Prozent dagegen entschieden - das ist zu respektieren.

Trotzdem ist es jetzt an der Zeit, ein paar selbstkritische Fragen zu stellen. Vor allem diese: Ist München so wohlhabend, dass es kein Wachstum, keinen neuen Antrieb, keine großen Projekte mehr braucht? Ist die Stadt zu saturiert und selbstgefällig, um zu merken, dass etwas auf dem Spiel steht?

Allgemeine Abwehrhaltung

Es geht um die allgemeine Abwehrhaltung, die in München immer mehr um sich greift und sogar das konservative Bürgertum erfasst hat, das sich in den wohlhabenden Vierteln, in Bogenhausen, Harlaching und Gern, zunehmend abschottet. Schon bei der Bewerbung um die Olympischen Winterspiele 2018 war die Lustlosigkeit greifbar. Nach der Entscheidung des Internationalen Olympischen Komitees, die Spiele nicht an München zu vergeben, waren sehr viele Leute froh: Sollen sich doch die Südkoreaner mit der teuren Vorbereitung und den Apparatschiks vom IOC herumärgern.

Ärger haben die Münchner ja schon genug. Selbst beim wichtigsten verkehrspolitischen Projekt, dem Bau einer zweiten Stammstrecke für die völlig überlastete S-Bahn, ging zuletzt politisch nichts voran - sehr zur Freude der Projektgegner entlang der geplanten Röhre. Könnte ja sein, dass in Haidhausen, einem putzigen Viertel für kreative Besserverdiener, irgendwann ein paar Löcher gegraben werden müssen. So ein Einbruch in die Puppenstube wäre wirklich furchtbar, vor allem für die Immobilienbesitzer, die viel Geld in ihre makellos hergerichteten Altbauwohnungen investiert haben.

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