Handel:Warum Vorwerk-Vertreter nicht mehr an jeder Tür klingeln

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Die Vertreterin inspiziert den alten Staubsauger einer ihrer Kundinnen, reinigen wird sie ihn, wie praktisch, mit dem neuen Modell. (Foto: Alessandra Schellnegger)
  • Die Staubsaugervertreter von Vorwerk gehen heute nicht mehr von Tür zu Tür, denn das lohnt sich nicht mehr.
  • Trotz Onlineshops und Geschäften in den Innenstädten schaffen den meisten Umsatz mit den Staubsaugern noch immer die Vertreter ran.
  • Wohl kaum ein anderes Unternehmen steht so für den typischen deutschen Haushalt wie die Firma aus Wuppertal, damit aber auch für Spießbürgertum und Schrankwände - deshalb versucht man sich zu modernisieren.

Von Pia Ratzesberger

Die Frau kniet auf dem Teppich, zerlegt den Staubsauger so vorsichtig, als wäre das Ding vor ihr eine wertvolle Skulptur. Aber war ja auch teuer, schon damals, vor zehn Jahren. Sie pustet zwischen die Ritzen, fährt über die Bürsten, schiebt den Sauger über den Boden. Der lasse sich aber ziemlich schwer bedienen, sagt sie, schauen Sie doch mal hier, das neue Hightech-Teil, vor einem Monat erst erschienen, ganz in weiß. Der fühlt sich leicht an, so leicht, probieren Sie doch mal.

Der alte Herr beäugt ihn, na gut, dann probiert er eben mal. Er zieht die Hände aus den Taschen seiner Bermudashorts, tappt mit dem Staubsauger durch das Wohnzimmer, so zaghaft, als könnte der Griff in seinen Händen auseinanderbrechen. Kaufen wird er nicht, dabei war die Gegend doch vielversprechend.

Ein Nachmittag im Norden von München, die Vorgärten tragen marmorierte Tonkugeln, die Terrakottakübel speien Geranien, die dritte Station an diesem Tag für die Vertreterin von Vorwerk. "Maria Scheitzeneder" steht auf ihren Kugelschreibern, glänzend rot. Ein kleines Präsent, damit die Kunden sie nicht vergessen, wenn sie ihre Rollkoffer wieder ins Auto wuchtet. Wie jetzt, nach dem Termin bei dem betagten Kunden, an dem sie keinen Cent verdient hat, der Check der alten Geräte nämlich ist kostenlos.

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Auf ihrem linken Arm ranken sich Blumen gen Schulter; zweimal fünf Stunden saß sie dafür beim Tätowierer, 500 Euro hat der verlangt. Während der 15 Jahre hinter der Fleischtheke hätte sie sich das wahrscheinlich nicht geleistet, jetzt aber, als Vertreterin, da geht das schon. Gibt ja auch andere Kunden, die innerhalb einer Stunde Unsummen ausgeben, für neue Motorenschutzfilter, neue Radiatorbürsten, Saugwischer und Softdüsen. All das bringt Scheitzeneder Geld ein, sie verdient auf Provisionsbasis, mal seien es 1500 Euro im Monat, mal 3500 Euro. Wohlgemerkt noch ohne Abzug ihrer Ausgaben, ohne das Benzin zum Beispiel. Mit Null aber gehe man nie raus, sagt sie und setzt den Blinker, zumindest nicht, wenn man fünf Tage die Woche durch die Straßen kurvt.

Besser als die Jahre an der Theke, mit den pöbelnden Kunden und den gehetzten Massen sei das hier doch alle mal, sie entscheidet selbst, wie viel sie arbeitet und wann. Sie weiß allerdings auch nie, was sie erwartet in den Wohnzimmern ihrer Kunden, aber Scheitzeneder, 36, ist da pragmatisch: Meistens seien die ja hygienisch völlig in Ordnung.

Da hinten etwa sei sie schon einmal in der Wohnung gestanden, hübsch, viel Glas, nicht so wie die andere, wo Tauben durch die Luft flogen und überall der weiße Dreck klebte. Dort vorne, da habe sie ein ganzes Set verkauft, für fast 1000 Euro, an eine junge Familie. Die Ampel schaltet auf rot, Scheitzeneder beugt sich über das Lenkrad, sie gluckst, das sei schon irre. Dass diese ganzen aufstrebenden Leute in den Einfamilienhäusern es sauber haben wollen, aber putzen, ne, das wollen die meistens nicht mehr. Sie schüttelt den Kopf, fährt an, noch 15 Minuten bis zum nächsten Termin. Sie hat nur noch Termine, zu oft wäre sonst niemand Zuhause, gerade in den Wohnungen der alleinstehenden Städter.

Staubsauger zu verkaufen bedeutete früher von Haus zu Haus zu tingeln, mit immer wieder den gleichen Monologen. Grüß Gott, mein Name ist so und so, hätten Sie denn einen Moment Zeit? Schon in den Dreißigerjahren entsendete Vorwerk seine ersten Boten, sie priesen den Kobold an, einen Handstaubsauger mit Motor, vormals noch in Grammofonen verbaut. Kaum ein anderes Unternehmen im Land steht so für den typisch deutschen Haushalt wie Vorwerk, wie seine Staubsauger in beige und grün. Doch genau deshalb verbanden manche den Namen auch mit bürgerlichem Mief, mit Schrankwänden und Häkeldeckchen.

Der Vertreter stahl Frau Hoppenstedt in Loriots Sketchen ihre Zeit, und seit so viele im Internet bestellen, öffnen die Leute ohnehin lieber dem Paketboten. Vorwerk versucht mitzuhalten, hat die Farbe seiner Staubsauger geändert, die glänzen nun weiß, hat einen Online-Shop eröffnet, vereinzelt Geschäfte in Innenstädten, wie am Rindermarkt 17. Noch immer aber schaffen 80 Prozent des Umsatzes mit Staubsaugern die Vertreter ran.

Scheitzeneder jagt den Berg hoch, blickt nach links, hier muss es sein, 30 Zentimeter vor der Garagentür bremst sie den Wagen ab. Vorwerk komme eben direkt zu den Leuten ins Wohnzimmer, kichert sie, hievt den Rollkoffer aus dem Golf und klemmt sich das Tablet unter den Arm. Da drin sind alle ihre Kundenkontakte gespeichert, mehr als 6000 Adressen aus ihrem Gebiet, für das allein sie zuständig ist. Niemand anderes darf hier wildern. Sie drückt auf die Klingel dieser Villa am Hang, flötet "Vorwerk ist da", die Frau des Hauses öffnet die Türe. Sie hat den Kobold-Staubsauger schon im Gang positioniert, neben dem Bauernschrank.

Das wichtigste Utensil für die Vertreterin: das Tablet, auf dem sie mehr als 6000 Adressen abrufen kann. (Foto: Alessandra Schellnegger)

Er lasse sich nicht mehr so leicht führen, ob die Vertreterin nachschauen könne. Aber natürlich kann sie das, sie kniet sich auf den Boden, ruckelt den Staubsauger nach vorne, nach hinten. Wer solch ein Gerät ersteht, der kauft die alljährlichen Besuche mit, mindestens einmal im Jahr ruft die Vertreterin durch, bietet an, das Gerät zu prüfen - und ganz nebenbei vorzuführen, was es so Neues gibt.

Scheitzeneder baut das neue Hightech-Teil zusammen, schauen Sie, der hört jetzt von alleine auf zu saugen, der erkennt automatisch die Böden, ob Holz oder Teppich. Fährt sich ganz leicht, so leicht, probieren Sie doch mal. Die Frau des Hauses aber lächelt nur, sie weiß schon, wohin das führen soll. Der alte Sauger tauge doch noch, einen Packen Filter aber würde sie mitnehmen, wenigstens das. Scheitzeneder versucht nicht zu überreden, vielleicht hat sich auch das geändert, seit Loriot seine Sketche schrieb: Denn wenn zu viele Kunden die Sachen wieder zurückgeben, weil sie das schlechte Gewissen plagt, sobald Vertreter weg sind, hakt Vorwerk nach.

Sie rollt die Koffer also zum Auto, wieder nichts verkauft, aber egal, am Abend wird sie noch zu einem Herren fahren, der hat schon zugesagt, für um die 1000 Euro zu bestellen. Sie setzt sich ins Auto, dreht das Radio an, in einer halben Stunde wird sie beim nächsten Kunden sein müssen, bis dahin aber: Kein Chef, keine Kunden. Nur sie und Eye of the Tiger. Besser als die Theke allemal.

© SZ vom 27.08.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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