Erinnerungen an das Unwetter vor 35 Jahren:Gründlich verhagelt

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1984 richtete ein Hagelsturm große Schäden an - aber insgesamt leben die Menschen in München vergleichsweise sicher. (Foto: dpa)

Am 12. Juli 1984 sucht ein zerstörerischer Sturm München und die östlichen Vororte heim. Jahrzehnte später wissen Leserinnen und Leser noch genau, wie es damals war.

Von SZ-Lesern

Das Münchner Hagelunwetter vom 12. Juli 1984 ist bei all denen, die es miterlebt haben, tief im Gedächtnis verankert. Im Münchner Osten gingen Hagelschloßen nieder, die so gewaltig groß waren, dass mancher noch Jahre später mindestens tennisballgroße Eiskugeln in der Tiefkühlung als Beweisstück aufbewahrte. Autos trugen ein ganz spezielles "München-Design" davon. SZ-Leserinnen und -Leser schildern ihre Erinnerungen:

Rettender Stammtisch

Es war ein heißer Tag und wir beschlossen, mit Freunden und dem Motorrad in den Augustiner-Biergarten an der Zielstattstraße zu fahren. Der Biergarten war bereits voll. Eine Bedienung erlaubte uns jedoch mit den Worten "da kummt heid eh koana mehr", am Stammtisch Platz zu nehmen. Super, ein runder, massiver Tisch für uns sechs war gerade das Richtige. Wir holten Bier und Brotzeit, grad schön war es. Als sich unser Freund Rupert nach einer halben Stunde einmal umdrehte, meinte er: "Auweh, da kummt heit no a Weda, es is scho ganz gelb." Keine fünf Minuten später krachte schon die erste Hagelschloße auf unseren Tisch und es ging los: Wir tauchten unter den Stammtisch und hörten über uns die Bierkrüge zersplittern. Wie gut, dass wir den Stammtisch hatten! Rings um uns herum versuchten die Menschen mehr schlecht als recht, unter den Biertischen Schutz zu finden. Nach wenigen Minuten bekamen wir nasse Füße. Ein Bach, angefüllt mit allem, was sonst auf Biertischen stand, bahnte sich seinen Weg durch den Biergarten. Viele Menschen rannten schreiend und blutend an uns vorbei in Richtung Wirtschaft, um sich zu retten. Es war Chaos! Als sich das Gewitter gelegt hatte, sind wir klatschnass zu unserem Motorrad gegangen und haben die nasse Kleidung aus- und die Regenkombis angezogen. Dem Motorrad war nichts passiert. Auf der Fahrt nach Haus fuhren wir, dank hochgelegtem Auspuff, problemlos durch mehrere überflutete Unterführungen und sahen die enormen Zerstörungen: durchschlagene Jalousien, zerbrochene Fenster, verbeulte Autos, zerstörte Fassadenverkleidungen! Auf dem Weg zu unserer Wohnung im Münchner Norden verfolgte uns die Angst, dass es bei uns genauso aussehen wird. Aber dann war ungefähr ab dem Siegestor Schluss mit den schlimmen Hagelschäden. Natürlich lagen noch Äste und Laub auf den Straßen. Zuhause konnten wir aufatmen: Alle Scheiben heil! Wir hatten Glück. Klaus Polz, Puchheim

Eis im Cabrio

Oh ja, an den zitierten Leserbrief (Bericht "Schweinigel und Eissteine" vom 6. Juli und Leserbrief "Da schlug der Herrgott zu" vom 20. Juli 1984) erinnere ich mich noch. Die Veröffentlichung hielt ich für eine kluge politische Entscheidung. Die einen dachten sich wohl, ja genau, sehr anständig, dass die SZ das abdruckt, und die anderen lachten sich kaputt. Ich bin längst wieder ganz... Damals war ich mit dem Auto zu Freunden nach Giesing unterwegs und habe den letzten halben Unterstellplatz unter einer Überführung erwischt. Der Krach war ohrenbetäubend und dauerte unendlich lang, 20 Minuten oder so. Die Weiterfahrt ging über einen durchgehenden grünen Blätterteppich, die Bäume boten guten Durchblick. Ein geparktes Cabrio war voller Eis im - geschlossenen! - Textilverdeck. Dann hieß es: Fensterscherben vom Teppichboden aufklauben statt Biergarten. Zum Glück hatte der Hausmeister genügend Plastikfolie. Und für die Heimfahrt habe ich meine gesamten Ortskenntnisse gebraucht, um die inzwischen vollgelaufenen Unterführungen zu umfahren. In Pasing hatte es nur geregnet. Adelheid Kaspar, München

Gutes altes Blech

Nachmittag, 12. Juli 1984. Es ist drückend heiß, schwül, in der Dachauer Straße 26 in unserer Altbauwohnung, 5.Stock, Dachgeschoss, ohne Aufzug. Endlich konnten wir das alte Klavier verkaufen und vier Bekannte haben sich angemeldet, es eben heute abzuholen. Irgendwann ist das Klavier unten auf der Straße, herzliche Verabschiedung unter schwefelgelbem Himmel, der Wind frischt auf. Am Straßenrand steht unser Käfer, Baujahr 1976, leuchtend orange-rot - ja das war mal modern - mit weißen Streifen. Kaum wieder in der Wohnung, bricht das Unwetter los, auf die Dachfenster prasselt der Hagel mit Wucht, der Lärm verhindert jedes Gespräch. Und so bewundern wir stumm den leeren Platz, wo einst das Klavier stand. Später bewundern wir unseren Käfer. Er ist das einzige Auto in der weiteren Umgebung der Dachauer Straße, das nicht eine Delle hat. Gutes altes Blech eben... Dr. Eva Bangerter-Schmid, Rupert Schmid, Bönnigheim

Ein komisches gelbes Licht

Was war das plötzlich für ein komisches Licht? Gelb, schwefelig, eigenartig. Und eine ganz seltsame Stimmung. Ich schau aus unserem Fenster auf den Baldeplatz und sehe flüchtende Radler in rauen Mengen, die alle vom Flaucher kommen. Und schon geht's los. Die ersten großen Tropfen klatschen auf den heißen Asphalt. Dann kam der Hagel. Ich bin allein zu Hause und rufe meine Mutter an. Nur leider versteh ich kein Wort, der Hagel trommelt auf das Blech unserer Dachfenster. Weltuntergangsstimmung und der Lärm, ich hab richtig Angst. Ich schau auf den Baldeplatz und sehe verbeulte Autos, kaputte Scheiben und Zweige und Blätter gemischt mit den großen Hagelkörnern. Auf dem Dach hat's ein paar Dachpfannen zerdeppert, die mussten schleunigst ersetzt werden, sonst haben wir in der Dachwohnung im wahrsten Sinn fließendes Wasser. Bis auf etliche Beulen in unserem Auto ist also alles gut für uns ausgegangen. Aber die Erinnerung an den Schrecken bleibt, besonders an das komische Licht, die Stille vor dem Hagel und die eigenartige Stimmung. Da stellt's mir immer noch die Haare auf. Martha Bengsch, München

Donnerstabil

Ich wohnte damals in der Maxvorstadt und hatte einen steinalten und schon sehr gebrechlichen Toyota Corolla, der im Freien abgestellt war und auch etwas vom Hagel abbekommen hatte. Eigentlich wollte ich die Sache auf sich beruhen lassen, wurde aber von Bekannten bedrängt, mir doch die Schadenssumme nicht entgehen zu lassen. Also fuhr ich zur Allianz in der Amalienstraße. Ein Sachbearbeiter kam in den Hof und schaute versonnen auf das Fahrzeug. Dann sagte er: "Ja, ganz klar, des kriagn S' von uns ersetzt. Aber oans wundert mi, nämlich dass er" - er deutete mit großer Geste auf den Wagen - "ned scho beim erstn Donner zammgfoin is." Ich bekam 400 Mark, ein Vielfaches des Zeitwerts. Hermann Unterstöger, Altötting (SZ-Autor)

Eine Mass und viel Glück

An diesem Tag traf ich mich mit einem Freund im Hirschgarten. Als der Himmel plötzlich sehr dunkel wurde und der Wind sich verstärkte, kauften wir uns noch eine Mass und setzten uns in seinen VW-Bus auf dem Parkplatz, weil wir dachten, das wird nur ein kräftiger Regen. Plötzlich trommelten die ersten Hagelkörner auf das Autodach, immer stärker. Wir fuhren sofort los, weil wir einen geschützten Platz suchen wollten. Gleich um die Ecke in der De-la-Paz-Straße fanden wir bei einem kleinen Mehrfamilienhaus eine überdachte Tiefgaragen-Einfahrt, bei der wir uns mit dem Bus unterstellten. Auf der Straße geparkte Fahrzeuge wurden von riesigen Hagelkörnern getroffen, zum Teil wurden Windschutzscheiben zertrümmert, von den Bäumen wurde viele Äste abgerissen. Durch unseren geschützten Unterstand haben wir diesen Hagelsturm sehr gut und sogar mit einer guten Mass Augustiner überstanden. Otto E. Fuss, Tann/Niederbayern

Das Design des Himmels

Genau kann ich das Himmelsszenario heute nicht mehr beschreiben, aber würde ich es malen, nähme ich Lichtblau links, dann mittig Giftgelb für den Rand, der in ein wuchtiges Schwarz-Violett der von Westen her treibenden Wolkenwand an ihrer Front nach Osten hinein verläuft und rechts außen gleißendes Licht der Abendsonne, die Szenerie unterströmend. Die Bedrohlichkeit nahmen wir ehemalige Leichtathleten in der Hitze unseres Fußballspiels auf dem Rasen innerhalb der Wettkampfbahn der TS Jahn an der Weltenburgerstraße nicht so wahr, aber das Schauspiel am Himmel beeindruckte uns mehr und mehr bei jeder Spielunterbrechung durch Einwürfe, Fouls oder Ecken. An Tore kann ich mich auch nicht erinnern. Dann plötzlich prasseln schwere Tropfen. Auf dem Weg unter die Duschen genießen wir noch diese Frische bei der drückenden Schwüle.

Plötzlich: Krieg! Die Splitter der Lichtkuppeln fetzen in die Kacheln der Duschen. Es ist ein Pfeifen, Sirren und Jaulen von Querschlägern, denen wir gerade noch einigermaßen unverletzt entkommen, während wir zwischen den Tennisbällen aus Eisbrocken vom Himmel in die Umkleide flüchten. Oje, unsre Autos denken wir zunächst - zu Recht, als wir später das Design des Himmels darauf entdecken. Und unsere Lieben zuhause? Ohne Handys ist das nicht so einfach, vor 35 Jahren, wenn viele in die Telefonzelle wollen. Die Lichtkuppeln in unserem Haus im Olympiadorf? Die Kinder? Und was antwortet meine Frau trocken auf meine besorgten Fragen? "Sag einmal, hast Du was getrunken? Was ist denn los?" Ja so war's. Nichts haben die Menschen im Norden und Westen mitbekommen. Nur wir in Denning und der Münchner Osten. Denn über der aufgeheizten City hatte sich eine Thermik viele Tausend Meter bis in kalte Höhen geschraubt. Die Hagelkörner legten, je länger sie dann fielen, an Umfang und Gewicht zu. Westwind trieb die Fracht in einem breiten, schaurigen Schlauch zum Ostrand der Stadt, wo er krachend niederstürzte. Noch jahrelang, bis zu einem Stromausfall, lag ein faustgroßer Klumpen als stiller Zeitzeuge bei uns im Gefrierschrank. Prof. Dr. Tilman Steiner, München

Besondere Obhut

Ein paar recht unerwartete Seiteneffekte gab es bei diesem Hagelereignis: Ich war an diesem Hagelunwettertag allein zu Hause in Kirchtrudering, weil: meine Frau hatte damals drei Tage vor dem Hagel unsere Tochter entbunden und lag im Krankenhaus Rechts der Isar. In diesem Krankenhaus wurden damals viele Mütter samt ihrer Neugeborenen deutlich länger drin behalten, als dies geplant und medizinisch notwendig war (auch meine Familie), weil viele davon im Münchner Osten wohnten und schlicht kein bewohnbares Zuhause mehr hatten, in das man sie hätte entlassen können. Der größte Hagelball, den ich damals in der Wohnung hatte, hatte einen Durchmesser von circa zehn Zentimetern - ich hab ihn damals (auch für Versicherungszwecke) eingefroren.....inzwischen ist er allerdings den Weg alles Irdischen gegangen. Herbert Schulz, Obersöchering

Falsch spekuliert

Mit Schmunzeln las ich den abgedruckten Leserbrief ("Da schlug der Herrgott zu" vom 20. Juli 1984) und erinnerte mich sofort an ihn - und natürlich an das damalige Unwetter. Ich wohnte seinerzeit in Untergiesing, als kurz vor 20 Uhr die schwarze Wand mit diesem merkwürdigen Gelbstich kam. Es hatte wochenlang nicht geregnet, und etliche Garagenbesitzer fuhren ihre Autos heraus in Erwartung einer kostenlosen Wäsche...

Mit einem Nachbarn war ich auf dem Weg nach Obergiesing zu einem beliebten griechischen Lokal, welches von drei Brüdern geführt wurde. Fassungslos musste einer von ihnen zuschauen, wie sein gebrauchter, eben erworbener und noch nicht versicherter Ferrari vor der Tür des Lokals zertrümmert wurde.

Wir fuhren nach dem Hagelsturm mit unserem verbeulten, aber noch intakten Mobil den Giesinger Berg am Sechziger-Stadion hinunter: Es war mehr ein Schwimmen in den sturzbachartigen Fluten, die sich anschließend über das Viertel ergossen. Zuhause natürlich alle Fenster kaputt und der Keller etwa einen halben Meter voll mit eisigem Wasser. Die tennisballgroßen Hagelkörner und das abgeschlagene Laubwerk verstopften stundenlang die Gullys; um Mitternacht kam der nächste Guss, und der Keller, gerade mühsam leergeschaufelt, lief abermals voll.

Die Versicherung zahlte diese Schäden nicht, und die Fensterscheiben auch nur, weil Sturmstärke 8 gemessen wurde. Am nächsten Morgen ein Bild wie nach einem Bombenangriff, leider auch viele getötete Tiere. Und die Straßen schauten aus wie Tennisplätze, weil die Autos die abgeschlagenen roten Dachziegel breitfuhren.

Insgesamt ein verheerendes Unwetter; der Hagel, den ich jetzt am Pfingstmontag in Obermenzing erlebte, ein Klacks dagegen. Olaf Dreßler, München

Gefragte Glaser

Der Hagel hatte unsere Anwaltskanzlei im Erdgeschoss in der Eduard-Schmid-Straße am östlichen Isarufer schwer getroffen. Meine Kollegin Renate Schimcke war schon ganz früh vor Ort und meldete mir am Telefon 24 kaputte Scheiben. Die Kanzlei war effektiv für jedermann von der Straße zugänglich, und Glaser waren an diesem Tag in München wohl kaum mehr zu bekommen. Für mich als leidenschaftlichen Heimwerker war es an sich kein Problem, eine Glasscheibe in den damals üblichen Fenstern zu ersetzen. In Gröbenzell, wo ich wohne, klärte ich beim Glaser, dass er mir 24 Scheiben zuschneiden kann. Dann musste meine Kollegin die exakten Maße aller betroffenen Scheiben nach meinen Vorgaben ausmessen. Gegen Mittag fuhr ich mit den Glasscheiben, Fensterkitt und allen notwendigen Utensilien in die Kanzlei. Dort begannen mein Kollege Willi Querfurt und ich mit der Arbeit, alle anderen kümmerten sich um das Chaos aus Überschwemmung, Scherben und Blättern in den Räumen.

Die einzigen Mandanten, denen wir nicht hatten absagen können, waren zwei blutjunge, ideenreiche und sehr erfolgreiche Unternehmer. Sie trafen also ihre Rechtsanwälte als Handwerker im großen Rondell des Hauses bei der Arbeit an. Sofort boten sie ihre Hilfe an. Und nach kurzer Anleitung packten die beiden tatkräftig mit an. Gegen Abend waren alle Scheiben ersetzt und wir setzten uns stolz und ziemlich kaputt mit unseren Mandanten noch zu einem Kaffee zusammen.

Einige Zeit später benötigten die beiden pfiffigen Jungunternehmer erneut meine anwaltliche Hilfe. Es gab mächtig Probleme auf den verschiedensten rechtlichen Ebenen: Einen Tag nach dem Schnellkurs im Glasern bei ihrem Rechtsanwalt hatten nämlich die beiden jungen Männer massenweise Hauswurfsendungen verteilt und sich als Glaserei-Schnelldienst angeboten, in den folgenden Tagen und Wochen unzählige Fenster repariert und dabei nicht schlecht verdient! Wolfgang Putz, Gröbenzell

Besonderer Polterabend

Im Juli 2019 jährt sich nicht nur der Hagelsturm über München, sondern auch unser Hochzeitstag zum 35. Mal. Am Freitag, 13. Juli, sollte die standesamtliche Trauung, Samstag 14. Juli, die kirchliche Trauung stattfinden. Am Abend des 12. Juli spazierten mein angehender Bräutigam und ich bei schönstem Wetter zum Gasthof "Zum Hirschen" am Sollner Bahnhof. Die letzten Einzelheiten fürs Hochzeitsmahl am 14. Juli wollten noch besprochen werden. Im Laufe unseres Gespräches mit dem Wirt verdunkelte sich der Himmel, ein Unwetter brach über Solln herein. Es stürmte, blitzte, Donner krachten und riesige Hagelkörner prasselten hernieder. Durchs Fenster sahen wir mit Schrecken das Toben der Elemente. Im Umsehen war die Straße mit Hagel übersät, Bäume bogen sich im Sturm. Glücklich, wer, wie wir, ein festes Dach über dem Kopf hatte. Natürlich warteten wir mit unserer Heimkehr, bis der Spuk vorüber war.

Als wir den Gasthof verließen, bot sich uns ein Bild der Verwüstung: Überflutete Straßen, abgebrochene Äste, Zweige und Laub auf Straßen und Wegen, zerbeulte Autos; und überall diese riesige Hagelkörner.

Leute, die mit der S-Bahn aus der Stadt gekommen waren, wateten mit hochgekrempelten Hosen durch die überflutete Bahnhofsunterführung. Die Sonne schien bereits wieder, aber es hatte sich deutlich abgekühlt. Noch waren uns die Folgen dieses Hagelsturms nicht bewusst. Auf dem Nachhauseweg witzelten wir, dass Petrus uns wohl einen besonderen Polterabend bescheren wollte. Wir selbst hatten nämlich keinen veranstaltet. Carolin Homeier, München

Der "Munich Look"

Meine damalige Ehefrau und ich saßen an besagtem Nachmittag nach der Arbeit gerade für ein paar Minuten im "Tannengarten", einem schattigen Biergarten in Sendling, den es meines Wissens auch heute noch gibt. Wir hatten gerade die erste Mass halbleer getrunken, als sich von Westen her kommend eine dunkelgraue Wolkenwand mit bedrohlichem Silberton relativ schnell auf uns zubewegte. Da Gewitter und Unwetter im Juli in München durchaus normal sind, haben wir uns keine großen Sorgen gemacht und blieben im Biergarten unter den Kastanienbäumen sitzen. Der Wind wurde immer stärker, der Himmel immer dunkler und der Biergarten immer leerer. Schließlich waren wir die einzigen Gäste im Biergarten, als die ersten Tropfen fielen. Wir tranken unsere Mass noch aus, legten einen Zehn-Mark-Schein - der reichte damals noch für zwei Mass Bier - unter den Masskrug und brachen zu Fuß nach Hause auf. Wir wohnten damals in der Maronstraße in Sendling, keine vier Gehminuten vom Tannengarten entfernt. Kaum waren wir aufgebrochen, kamen schon die ersten Hagelgeschosse vom Himmel.

Ich war überrascht von der Größe der Eiskugeln und der Heftigkeit des Aufpralls auf dem menschlichen Körper. Blitzartig wurde uns klar, dass es sich hier um kein gewöhnliches Gewitter und Hagelunwetter handelt, sondern um etwas sehr bedrohliches und gefährliches. Wir waren nur noch circa 100 bis 200 Meter von unserer Wohnung entfernt und haben uns spontan entschlossen, im Laufschritt von Baum zu Baum, von Hauseingang zu Hauseingang Schutz suchend, quasi im Zickzack rennend, zu unserer Wohnungseingangstüre zu eilen. Leider haben wir in den wenigen Sekunden einige tennisballgroße Treffer auf dem Oberkörper und an den Beinen abbekommen.

Glücklicherweise ist uns physisch kein größerer Schaden entstanden, bis auf ein paar blaue Flecken, die uns noch einige Zeit an diesen aufregenden Nachmittag erinnerten. Wir sind schließlich patschnass und sehr aufgeregt in unserer Wohnung angekommen, haben alle Fenster geschlossen und das Spektakel durch die geschlossene Fensterscheibe verfolgt. Wir hatten noch Glück im Unglück, da jetzt die Hagelgeschosse noch größer wurden und binnen ein, zwei Minuten die gesamte Maronstraße verwüstet wurde. Alle Autos waren zerschossen, Glasscheiben gingen reihenweise zu Bruch und die Bäume wurden rasch entlaubt.

Das ganze Spektakel verabschiedete sich so schnell, wie es gekommen war. Da es noch kein Internet und neue Medien gab, haben wir erst in den Abendnachrichten das ganze Ausmaß des Unwetters in München erfahren.

Abschließend möchte ich nicht unerwähnt lassen, dass uns dieses Hagelunwetter auch nach Jahren noch verfolgt hat. Zwei der 200 000 verbeulten Autos in München gehörten uns. Da beide Fahrzeuge keine Kaskoversicherung hatten und daher nicht gegen Hagelschäden versichert waren, sind wir noch viele Jahre mit den extrem verbeulten Fahrzeugen in Europa unterwegs gewesen. Der Wiedererkennungswert dieser Hagelbeulen war phänomenal. Selbst vier, fünf Jahre nach dem historischen Hagel in München haben Menschen überall in Europa bei einem Blick auf unser verbeultes Auto sofort erkannt, dass wir aus München stammen mussten. Auf einem Campingplatz im Baskenland hat - viele Jahre später - ein Engländer den Begriff "Munich Look" für dieses spezielle Autodesign geprägt. Dr. Stefan Daiser, Gelnhausen

So ein Chalazi

Der 12. Juli 1984 ist mir unvergesslich, da an diesem Tag nicht nur der große Hagel, sondern auch mein 18. Geburtstag war. Wir feierten mit Familie und Freunden im Biergarten am Seehaus. Es war drückend schwül, der Himmel hatte sich im Laufe des Nachmittags grünlich-gelb gefärbt. Meine wetterfühlige Oma hatte schon mehrfach zum Aufbruch gedrängt. Als es mit einem Mal ganz dunkel wurde und heftige Windstöße über den Kleinhesseloher See fegten, sprangen wir ins Auto und kamen noch bis kurz vor den Effnerplatz. Ich weiß noch, dass ich dachte, "das kann doch gar nicht sein", als das Prasseln des Hagels immer ohrenbetäubender, der Aufprall der Eisgeschosse immer heftiger wurde. Dann krachte schon die Rückscheibe in Scherben ins Auto, Sekunden später brach auch die Vorderscheibe. So schnell, wie er gekommen war, war der Spuk auch wieder vorbei. Winzige Glassplitter fanden wir später überall, in unserer Kleidung, in den Haaren, aber verletzt war zum Glück niemand.

Wir fuhren scheibenlos ganz langsam durch das allgemeine Chaos nach Hause. Auch unsere Straße stand unter Wasser; den Boden bedeckte ein Teppich aus herabgerissenen Zweigen und Blättern. Fahrzeugbesitzer standen fassungslos neben ihren Autos, die ähnlich aussahen wie unseres; einige studierten schon das Kleingedruckte in ihren Versicherungsverträgen.

Die Scheiben unseres Autos wurden repariert, die golfballgroßen Beulen im Blech blieben. Wenige Wochen später erregten wir damit in Griechenland großes Aufsehen. Wenn wir irgendwo anhielten, sammelten sich meist schnell ein paar Leute, die staunend unseren Wagen betrachteten. Seitdem weiß ich, was Hagel auf Griechisch heißt: Chalazi. Stefanie Fischer, München

Wie es wirklich war

Amüsiert habe ich Ihren Artikel zum Münchner Hagelsturm von 1984 gelesen. Allerdings muss ich die von Ihnen angedeutete These, Auslöser für das Wetterereignis wären Bilder nackter Personen in der Presse gewesen, als Zeitzeuge entschieden ablehnen. Jeder wusste damals - und das wurde meines Wissens auch in den Medien ausführlich behandelt - die Kausalität der Ereignisse zweifelsfrei zuzuordnen: Der katastrophale Hagelsturm mit seinen tennisballgroßen Eisbrocken, deren Einschlagkrater man noch viele Jahre später auf den Straßen fahren sehen konnte, war natürlich eindeutig Gottes Antwort auf den Katholikentag. Ob diese Reaktion nun angemessen, übertrieben oder gar noch zu gering war, dazu verkneife ich mir jegliche Spekulation. Hoffe, das nun abschließend geklärt zu haben, und sehe einer Richtigstellung der Angelegenheit im Münchner Teil der SZ mit Freude und Genugtuung (und einem, was die Redaktion des Münchner Teils der SZ betrifft, fröhlichen "bitte weiter so!") entgegen. Ronald Metzger, München

© SZ vom 12.07.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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Hagelunwetter 1984
:"Das Dach hat ausgeschaut wie ein Nudelsieb"

Erst türmten sich gelbschwarze Wolken am Himmel, dann brach ein heftiges Gewitter los: Beim Hagelschlag vom 12. Juli 1984 wurden 70.000 Gebäude beschädigt, 400 Münchner mussten ins Krankenhaus und drei starben - vor Aufregung.

Von Wolfgang Görl

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