Ballett:Nicht nur die Götter sind gerührt

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Eurydike im Doppel: Luiza Braz Batista (Tanz) und Naroa Intxausti (Sopran) in Pina Bauschs Interpretation von Glucks Oper, die vor 47 Jahren Premiere feierte. (Foto: Krystyna Jalowa/Gluck Festspiele)

Sensation zur Eröffnung der Gluck Festspiele in Fürth: Pina Bauschs zeitlose Tanzoper "Orpheus und Eurydike" kehrt auf die Bühne zurück.

Von Sabine Leucht, Fürth

Es war Pina Bauschs letzte Arbeit mit Korsett. Bereits gelockert zwar, aber die bekannte Story und die Musik von Christoph Willibald Gluck stecken den Rahmen ab, in dem die Tänzer sich bewegen. Und der Gesang. Denn "Orpheus und Eurydike", von Bausch 1974 auf die Bühne gebracht, ist eine Tanzoper. Im Stadttheater Fürth, wo die erst im April im der Wuppertaler Wirkungsstätte der 2009 gestorbenen Choreografin zur Premiere gekommene Neueinstudierung die Gluck Festspiele eröffnete, kann man sehen, was es damit auf sich hat. Die Rollen des Orpheus, dessen Stimme selbst den Hades zum Himmel macht, die seiner geliebten Eurydike, die er aus dem Reich der Toten zurückholen will, und die des Liebesgottes Amor sind doppelt vorhanden: Einmal tanzend und einmal singend. Das führt allein im atemberaubenden Finale zu derart komplexen Intensitäts-und Blickachsen-Verschränkungen, dass man noch zwei oder gar drei weitere Theaterbesuche bräuchte, um alle Feinheiten zu würdigen. Fest steht: Orpheus dreht sich entgegen der strengen Weisung nach seiner enttäuschten Eurydike um. Und weil Bausch offenbar Glucks Glauben an die verwandelnde Kraft der Musik und der Liebe nicht teilt, liegen am Ende vier Körper kreuzweise übereinander. Und der ganze Saal steht - und spendet Ovationen.

Das Wagnis von Neu-Intendant Michael Hofstetter geht auf

Selbstverständlich war das keineswegs. Denn für die koproduzierenden Gluck Festspiele ist es ein Wagnis, derart revolutionären Tanz zu zeigen. Und sei die Revolution auch schon 47 Jahre alt. Das Wagnis ist dem frischgebackenen Intendanten, der auch selbst am Dirigentenpult steht, gelungen. Michael Hofstetter lässt die ohrwurmreiche Partitur so langsam spielen, wie es in den Siebzigern üblich war, aber mit historischen Instrumenten. Für Barockmusik-Gourmets ist diese Kombination womöglich gewöhnungsbedürftig. Doch das Händel Festspielorchester Halle und der stimmlich hochpräsente Chor stehlen fast den teils zu leisen Gesangs-Solisten die Show. Nicht allerdings dem Countertenor Valer Sabadus, der die männliche Titelrolle singt (alternierend mit der Mezzosopranistin Vero Miller) - und auch nicht den gut zwei Dutzend Tänzern. Bauschs langjährige Assistentin Josephine Ann Endicott hat die Choreografie, die nach 2005 nur im Repertoire der Pariser Oper zu sehen war, an eine junge Tänzer-Generation übergeben: diese wogenden Arme und abbrechenden Bewegungen, die mit dem Wogen und den Brüchen in den Seelen korrespondieren.

Kein Happy End im Schattenreich: Aber hat der Tod wirklich über die Liebe von Orpheus und Eurydike triumphiert? (Foto: Krystyna Jalowa/Gluck Festspiele)

Abweichend von der Dreiakt-Struktur Glucks hat Bausch vier Bilder kreiert, überschrieben mit Ansagen in Versalien: TRAUER, GEWALT, FRIEDEN und STERBEN. Je ein emotionaler Zustand gibt diesem enorm gut gealterten Gesamtkunstwerk Kontur, in dem schon viele Bausch-Ingredienzien enthalten sind: Diese Bannkreise ziehenden nackten Arme und über den eigenen Körper streichenden Hände, die langen Röcke, in denen es genügt, ein Bein zu heben, um Rolf Borziks schaurig schöne Bühnen-Tableaus figurativ zu erweitern. Ein dürrer, entwurzelter Baum reicht ihm für die "Trauer". Die "Gewalt" üben vor einem Gefängnis-Wald aus überhohen Holzstühlen drei Tänzer in Metzgerschürzen aus, die mit jumpy-martialischem Bewegungsvokabular den Höllenhund Zerberus verkörpern. Toll auch die überlebensgroße Braut, die anfangs starr in der Ecke steht. Mit schwarzer Gaze transparent verhüllt sind die Körper der Furien, während die tanzende Hälfte des Orpheus, Pau Aran Gimeno, zweieinhalb Stunden lang nur Unterhose trägt: eine jesus-like ausgezehrte Leidensfigur! Was das alles 1975 bedeutete, kann man nur indirekt ermessen: Etwa darüber, wie zeitgemäß das alles noch immer wirkt. Und diese somnambul fließenden, schlackernden, sich statuesk versteifenden und dann wieder spannungslos in sich zusammensackenden Körper kommen frecherweise ganz ohne das Formkorsett des Balletts aus und entwickeln eine immense Raumwirkung.

Obwohl gerade erst frisch aufgelegt, wird die aufwendige Produktion in der nächsten Spielzeit vermutlich selbst am Tanztheater Wuppertal Pina Bausch nicht weiter zu sehen sein. Ein Grund mehr, um zu rufen: Auf nach Fürth!

"Orpheus und Eurydike", nur noch am 2. Mai, 19.30 Uhr, zum Restprogramm: www.gluck-festspiele.de

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