Glockenbachviertel:"Die Münchner müssen laut werden, damit die Subkultur nicht völlig verschwindet"

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Dem Glockenbachviertel gehen die kleinen Läden und Ateliers verloren: Nach drei Jahren an der Westermühlstraße ist schon wieder Schluss mit der "Farbenpracht". Die Betreiber ziehen jetzt ins Nachbarviertel - in einen Hinterhof. (Foto: privat)

Mehrere kleine Läden mussten binnen eines Jahres im Glockenbachviertel schließen. Die Betreiber vermissen politische Unterstützung.

Von Birgit Lotze, Ludwigsvorstadt/Isarvorstadt

Das Ladensterben im Glockenbachviertel geht weiter. Das Goldschmiedeatelier "Schmelztiegel", das Kosmetikstudio am Holzplatz, ebenso der szenige Friseur aus der Holzstraße 19 und das Traditionsgeschäft "Schreibwaren Weber" haben das Glockenbachviertel im vergangenen Jahr verlassen müssen. Auch der Getränkemarkt an der Westermühlstraße ist geschlossen. Ende der Woche muss das Tattoo- und Designatelier "Farbenpracht" an der Westermühlstraße 26 seine Räume verlassen.

Vor drei Monaten kam die Kündigung - völlig unerwartet. Für die Betreiber der Farbenpracht, Miriam Frank und Andrik Schmidt-Koste, begann von dem Moment an eine harte Zeit, zunächst im Kampf gegen die Uhr. "Unsere Existenz stand auf dem Spiel", sagt Miriam Frank. Dabei hatten sie noch Glück im Unglück, denn sie haben bereits eine neue Bleibe. Als die Kündigung kam, war Miriam Frank im Urlaub - allerdings zu Hause. Sie habe sich sofort aufs Fahrrad gesetzt und sei losgefahren, sagt sie. In der Dreimühlenstraße habe sie einen freien Laden gefunden, eine Werkstatt im Hinterhof. Im Glockenbachviertel gab es nichts.

Anders als in den anderen Fällen, die im vergangenen Jahr die Anwohner des Glockenbachviertels aufschreckten, ist das Haus an der Westermühlstraße 26 nicht an Spekulanten verkauft worden, es gibt keinen Investor, der mit Modernisierung und Mieterhöhung droht und dadurch die "Farbenpracht" verdrängt. Der Eigentümer des Ladens ist nicht einmal der Eigentümer des Hauses, er braucht die Räume aber für sich selbst, will mit seinem eigenen Gewerbe einziehen.

Tattoo-Künstler Andrik Schmidt-Koste. (Foto: privat)

Dennoch nehmen der Tattoo-Künstler und die Illustrations-Designerin ihren Fall zum Anlass, Menschen aufzurütteln: "Wir glauben, dass die Münchner endlich laut werden müssen, damit die Subkultur nicht völlig verschwindet." Es gebe kaum Ateliers mehr, zu wenige Bandräume. Wie wohl kaum anderswo in der Stadt müssten Werkstätten und kleine Läden im Glockenbachviertel um ihre Existenz bangen. "Hier macht so viel zu. Wenn man sich nicht kümmert, stirbt das Viertel aus."

Bekämen Künstler keine Unterstützung, müssten sie notgedrungen dorthin gehen, wo die Räume bezahlbar seien, letztlich weg aus München, sagt Miriam Frank. Politiker könnten schon etwas tun, meint sie nach ihren jüngsten Erfahrungen - auch über eine Erhaltungssatzung für das Gewerbe hinaus, eine jüngst mehrfach gestellte Forderung von Bürgern und des Bezirksausschusses. Sie wollen den Milieuschutz, der für Wohnungsmieter bereits gilt, auch auf das Kleingewerbe ausgedehnt sehen. Schon ein dreimonatiger Kündigungsschutz für Gewerbe sei schlichtweg zu wenig in einer Stadt wie München mit großem Raummangel. Und man müsse auch Einfluss auf die Vertragsbedingungen nehmen. Sie beide hätten beispielsweise eine Kaution über 10 000 Euro für die Miete der neuen Werkstatt hinterlegen müssen, sonst hätten sie die Räume nicht bekommen. "Wenn wir nichts gespart hätten, hätten wir uns das niemals leisten können." So ein Kraftakt sei für die meisten Künstler nicht zu bewältigen. Schließlich müsse man zugleich auch noch den Umzug stemmen.

Illustrations-Designerin Miriam Frank. (Foto: privat)

Zweieinhalb Jahre hatten Frank und Schmidt-Koste bereits ein Atelier gesucht, als sie vor drei Jahren an der Westermühlstraße einzogen. Die alte Werkstatt an der Heßstraße war zu klein geworden. Die meisten potenziellen Vermieter schreckte schon der Begriff "Tattoo-Studio" ab. "Wir sind kein Hells-Angels-Laden, es kommen auch keine zwielichtigen Leute zu uns." Ihre Kontakte sahen da in den drei Jahren in der Westermühlstraße ganz anders aus: ein reger Austausch mit dem druckgrafischen Atelier für Radierungen nebenan, auch mit der nahen Papierschöpfer-Werkstatt - "schön, dass man sich so ergänzt im Viertel", sagt Miriam Frank. Sie haben Ausstellungen organisiert, sich an Stadtviertel-Projekten beteiligt, und natürlich auch Tattoo-Vorhaben bewältigt, Künstler eingeladen, selbst tätowiert.

Von denen, die in den vergangenen Monaten am Glockenbach schließen mussten, konnte keiner im Viertel bleiben: Schreibwaren Weber, der auch die Postfiliale im Viertel führte, wechselte in die Maxvorstadt. Die Schmelztiegel-Betreiber fanden keine bezahlbaren Räume, die Goldschmiede arbeiten jetzt zu Hause - ohne Geschäft. Miriam Frank und Andrik Schmidt-Koste haben es da noch vergleichsweise gut getroffen mit einem Umzug ins benachbarte Dreimühlenviertel.

© SZ vom 27.09.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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