Experten in staatlichen und städtischen Behörden sind sich einig: Einen solch dreisten Fall von "Denkmalentsorgung", wie er vergangene Woche in Giesing passiert ist, hat es in München noch nicht gegeben.
Obwohl es die Stadt untersagt hatte, das Handwerkerhäuschen in der Oberen Grasstraße 1 abzureißen, hinterließ der Bagger von dem Gebäude, dessen Ursprung bis auf das Jahr 1840 zurückgeht, nach einer hastigen Aktion nur noch einen Trümmerhaufen.
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Die Zerstörung eines denkmalgeschützten Hauses ist ein besonders schäbiger Akt - aber nur einer von vielen in München. Empörung alleine reicht nicht, um gegen so etwas vorzugehen.
Nun fordert Bayerns oberster Denkmalschützer, Generalkonservator Mathias Pfeil vom Landesamt für Denkmalpflege (BLfD), harte Konsequenzen: Ein möglicher Neubau muss sich exakt an den Dimensionen des zerstörten Vorgängerbaus orientieren, "um so das äußere Erscheinungsbild innerhalb des Ensembles wiederherzustellen".
Das Haus ist also nach den historischen Plänen wieder aufzubauen. Damit kann sich der Bauherr keinen Illusionen mehr hingeben, mit einer Maximalbebauung auch ein Maximum an Geld aus dem Grundstück herauszuholen. Pfeil will ein klares Signal setzen: "Es darf nicht sein, dass die mutwillige Zerstörung von historischem Baubestand auch noch ökonomischen Gewinn nach sich zieht."
Gerade in einer Stadt wie München mit dem immens hohen Bau- und Verwertungsdruck durch enorme Investitionen und teure Grundstücke bekommt der spezielle Fall in einer kleinen Nebenstraße Giesings besondere Bedeutung. Das Haus ist nicht nur als Einzeldenkmal in die Bayerische Denkmalliste eingetragen. Das Landesamt betont auch, dass es ein wichtiger Bestandteil des Ensembles "Feldmüllersiedlung" sei.
Dieses Gebiet - eine in den Jahren zwischen 1840 und 1845 planmäßig gebaute Kleinhaussiedlung - sei ein Bereich von großer städtebaulicher und sozialgeschichtlicher Bedeutung. Die kleinen Handwerkerhäuser gilt es also besonders zu schützen, ganz gleich, wie im Fall der Oberen Grasstraße 1 die Nachbarbebauung aussieht.
In erster Linie geht es um Abschreckung. Nach dem Denkmalschutzgesetz wird die vorsätzliche Zerstörung oder Beschädigung von Baudenkmälern mit Bußgeldern geahndet. Die Höchstsumme liegt bei 250 000 Euro. Außerdem verlangt das Gesetz eine Wiedergutmachung des angerichteten Schadens. Ob das allein davon abhalten kann, ein Baudenkmal zu beseitigen, ist fraglich. Die Strafe fließt in die Baukosten ein und der Neubau ist trotzdem noch rentabel. Deswegen drängt der Generalkonservator zusätzlich auf den Wiederaufbau des Hauses nach den historischen Vorgaben.
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Zwischennutzungen für Kreative sind in der Stadt so rar wie bezahlbare Altbauwohnungen am Isarufer. Und auch die Toleranz der Anwohner nehme immer mehr ab, sagt Veranstalterin Zehra Spindler.
Der Vollzug des Denkmalschutzgesetzes liegt bei der Stadt, genauer bei der Unteren Denkmalschutzbehörde. Das Landesamt und die Stadt sind sich einig, dass alle rechtlichen Möglichkeiten maximal ausgeschöpft werden müssen. Unterstützung gibt es dazu von höchster Stelle in der Stadt. Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) zeigte sich über die Vorgänge in Giesing "schockiert". Diese seien ein Skandal, ein Stück altes Giesing sei für immer zerstört: "Wir werden mit aller Härte gegen die Verantwortlichen vorgehen."
Genauso sehen das auch Vertreter der Rathausfraktionen. CSU-Fraktionschef Manuel Pretzl etwa forderte, die "dubiose Baufirma" müsse die Konsequenzen für "ihr dreistes Vorgehen deutlich zu spüren bekommen". Alle im Rathaus wissen nämlich, dass Nachgiebigkeit sehr schnell die Schleusen öffnen kann: Weitere Baudenkmäler drohen beseitigt zu werden. Doch nicht zuletzt ist es auch einer verstärkten Sensibilität in der Bevölkerung für den Erhalt alter Bauten zu verdanken, dass der Giesinger Fall große öffentliche Aufmerksamkeit erzeugt hat.
Wie hat es dann sein können, dass ein Bauunternehmen trotz Denkmalschutzes ein Haus einfach abreißen konnte und Nachbarn, Behörden und Polizei letztendlich hilflos waren? Generalkonservator Mathias Pfeil sieht kein Versagen der Behörden. Es sei eine zwischen dem Landesamt und der Stadt bis ins Detail abgestimmte Genehmigung zur Instandsetzung des Hauses in der Oberen Grasstraße vorgelegen - nicht jedoch für einen Abbruch oder sogar einen Neubau auf diesem Grundstück: "Von etwas anderem als einer Instandsetzung des Denkmals war daher gar nicht auszugehen."
Die Genehmigung für die Instandsetzung war auch erteilt worden. Wie es dann dazu gekommen ist, dass der Abrissbagger an der Oberen Grasstraße auffuhr und ihn weder Bürger noch Polizei und Behörden stoppen konnten, ist bislang nicht zu erklären. Was weg ist, ist weg - retten kann man das Haus nun nicht mehr. "Sicher ist, dass Bau- und Denkmalschutzgesetze verletzt worden sind", sagt Thomas Rehn, der Vizechef der Lokalbaukommission, der Münchner Bauaufsichtsbehörde. Das Verfahren gegen den Bauherrn laufe nun an.
Der muss zunächst eine Stellungnahme abgeben. Dann geht es um die Höhe des Bußgeldes. Da auch die Bauordnung tangiert sei, könne man von 500 000 Euro ausgehen, sagt Rehn. Zur Forderung des Generalkonservators, dass das Haus in seinen ursprünglichen Dimensionen wieder entstehen müsse, bezieht Rehn keine eindeutige Position. Das ist für ihn ein "interessanter Vorschlag", der aber noch auf seine rechtliche Durchsetzbarkeit geprüft werden müsse.
Entscheidend ist auch für Rehn: "Wer Baurecht verletzt, darf keinen Profit daraus ziehen." Die Frage muss seiner Meinung nach diskutiert werden, ob ein kleines Haus an der Stelle sinnvoll ist, oder ob nicht doch ein Gebäude mit mehreren Wohnungen akzeptiert werden kann - der Mehrwert müsse dann allerdings abgeführt werden. Noch liegt kein Bauantrag für das Grundstück vor. Zu erwarten sind juristische Auseinandersetzungen. Der Generalkonservator will, dass die Stadtgestaltungskommission mit dem Fall befasst wird. Über all dem steht ein zentraler Satz, sagt Thomas Rehn: "Nachahmer-Täter dürfen keinesfalls ermutigt werden."