Gesundheit:Keine Versicherung, keine Chemo

Kapinga Mbyi (Mutter) und Christian Kapuku (Sohn)

Kapinga Mbyi reist für die Hochzeit ihres Sohnes nach München. Dann bekommt sie Kopfschmerzen. Ärzte finden einen Tumor in ihrem Kopf. Eine teure Operation rettet ihr zwar das Leben, doch jetzt braucht sie dringend eine Therapie.

(Foto: Florian Peljak)

Kapinga Mbyi reist für die Hochzeit ihres Sohnes nach München. Dann bekommt sie Kopfschmerzen, Ärzte finden einen Tumor. Die Kosten für die Therapie will aber niemand zahlen.

Von Anna Hoben

Es war im Sommer vor zwei Jahren. Kapinga Mbyi flog nach München, um ihren Sohn zu besuchen. Er wollte heiraten, und sie wollte helfen, die Hochzeit zu organisieren. Auf seinem Handy zeigt Christian Kapuku Fotos: die Ankunft in München, seine Verlobte, seine Mutter und er, freudestrahlende Gesichter. Ein paar Wochen darauf fanden Ärzte einen Tumor im Kopf seiner Mutter. Sie wurde sofort operiert. Der Eingriff rettete ihr das Leben, einerseits. Andererseits fingen damit die Probleme erst richtig an.

Kapinga Mbyi, 60, sitzt auf einem anthrazitfarbenen Sofa im kleinen Wohnzimmer ihres 36-jährigen Sohnes. Eine freundliche Frau, die ein bisschen abwesend wirkt. Sie trägt ein buntes Kleid mit aufgedruckten Schriftzügen, "Jésus Solution", steht darauf, Jesus ist die Lösung. Ihr Glaube gibt ihr Kraft. Christian Kapuku sagt, das Gedächtnis seiner Mutter weise seit der Operation Lücken auf; ihre Geschichte erzählt deshalb zum großen Teil er.

Damals, nach ihrer Ankunft in München, bekam Kapinga Mbyi plötzlich starke Kopfschmerzen. "Ich dachte, sie ist einfach erschöpft", sagt Christian Kapuku. Weite Reisen war seine Mutter nicht gewohnt, die letzte ging von der Demokratischen Republik Kongo nach Kamerun. Trotzdem ging er mit ihr zum Hausarzt. Der maß einen Blutdruck von 190 und überwies sie an ein Krankenhaus. Es sei dringend, mahnte er. Als die Schmerzen tags darauf unerträglich wurden und Kapinga Mbyi Lähmungserscheinungen im rechten Arm hatte, suchten sie die Notaufnahme im Pasinger Krankenhaus auf. Die neurologische Untersuchung ergab, dass in der linken Gehirnhälfte ein Tumor saß.

Ihr Sohn konnte, wollte das nicht glauben. Er verlangte eine zweite Untersuchung, die er privat bezahlte. Sie bestätigte die Diagnose. Kapinga Mbyi wurde ins Klinikum rechts der Isar überwiesen und noch in der gleichen Woche operiert. Kapuku war gerade bei der Arbeit, als er einen Anruf bekam. Bei dem Eingriff hatte es Komplikationen gegeben, seine Mutter lag nun auf der Intensivstation. Künstliches Koma. Nach drei Wochen machte sie schließlich die Augen wieder auf.

Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen

Zu Hause im Kongo hatte Kapinga Mbyi eine Reisekrankenversicherung abgeschlossen. Doch die weigerte sich nun, für die Kosten aufzukommen, mit der Begründung, dass die Krankheit schon vor der Reise bekannt gewesen sei. Denn, so hatte es der Arzt in München gesagt, der Tumor hätte schon vier Jahre zuvor entdeckt werden können, als Mbyi sich wegen eines Schlaganfalls hatte behandeln lassen. Unterdessen lief das Touristenvisum ab, sie hatte ja nur einen Monat bei ihrem Sohn bleiben wollen. Mittlerweile hat Kapinga Mbyi eine Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen; das Visum gilt bis 2019.

Ihre Lebensumstände sind allerdings alles andere als human. Auf dem Sofa im Wohnzimmer am Harras streicht Christian Kapuku seiner Mutter sachte über den Kopf, dort, wo die Narbe verläuft. Als die Ärzte sie aus dem Krankenhaus entließen, hatten sich die Kosten auf 96 000 Euro summiert. Die Rechnung ist offen, es ist unklar, wer dafür aufkommt. Nach dem Klinikaufenthalt hätte Kapinga Mbyi eine Reha gebraucht, auch die wollte die Versicherung nicht bezahlen. Dringend nötig wären auch eine Chemotherapie, um mögliche Reste des Tumors zu entfernen, und überhaupt eine umfassende medizinische Behandlung. Was blieb Christian Kapuku anderes übrig, als seine Mutter zu sich nach Hause zu holen? Er stellte sich darauf ein, sie zu pflegen. Weil seine Wohnung zu klein für drei Erwachsene ist, zog seine Verlobte vorübergehend aus und nahm sich ein Zimmer in einer WG.

Was bleibt dem Sohn übrig, als weiterzukämpfen?

In der Demokratischen Republik Kongo hat Kapuku Jura studiert und als Journalist regierungskritische Artikel geschrieben, bis die Situation für ihn zu gefährlich wurde. So kam er vor sieben Jahren nach Deutschland, machte eine Ausbildung bei der Deutschen Post und arbeitet heute im DHL-Paketzentrum in Aschheim, oft übernimmt er Nachtschichten. Über das Internet eignete er sich Kenntnisse der Physiotherapie an. Seine Mutter ist zu schwach, um aus dem Haus zu gehen, aber sie muss bewegt werden, damit ihre Muskeln nicht verkümmern.

Dem Sohn fiel es schwer, seine Mutter stundenlang allein zu lassen. Wenn er zurückkam, fand er sie häufig krampfend vor. Irgendwann erfuhr er von der Organisation Ärzte der Welt und trat mit ihr in Kontakt. Die auf Spenden angewiesene gemeinnützige Organisation engagiert sich neben der Arbeit in weltweiten Projekten auch in Deutschland, um Menschen ohne Krankenversicherung oder mit eingeschränktem Zugang zum Gesundheitssystem eine medizinische Betreuung zu ermöglichen. Im Jahr 2016 konnten in der Open-Med-Praxis in München 922 Patienten behandelt werden.

Einmal im Monat kommt nun eine Ärztin in die Wohnung und schaut nach Kapinga Mbyi. Sie bekommt Medikamente, unter anderem gegen die Krampfanfälle. Gegen sieben Uhr morgens kommt Christian Kapuku von der Nachtschicht nach Hause, er duscht seine Mutter und bereitet das Frühstück vor, bringt sie zur Toilette und gibt ihr ihre Medikamente. Dann gönnt er sich ein paar Stunden Schlaf. Durch die Vermittlung von Ärzte der Welt bekommt Kapuku nun zumindest bei der Pflege Unterstützung von der Caritas. Er hat außerdem eine Physiotherapeutin engagiert, die 76 Euro pro Stunde bezahlt er von seinem Gehalt.

Er hat versucht, eine private Krankenversicherung für seine Mutter abzuschließen, doch das war nicht möglich. Auch das Sozialamt will nicht für die Reha aufkommen. Gegen den Bescheid klagt Kapuku nun, er hat eine Rechtsanwältin für Sozialrecht hinzugezogen. Mbyis Ehemann sei doch ein wohlhabender Mann, heißt es von Seiten der Ämter, schließlich sei er Universitätsprofessor im Kongo.

Das stimmt. Zur Wahrheit gehört aber auch, so erzählt es Christian Kapuku, dass sein Vater monatlich etwa 940 Euro verdiene und dass er davon sechs Verwandte ernähren müsse. Natürlich habe er längst zu seiner Frau nach Deutschland reisen wollen. "Aber wenn er nicht arbeitet, kommt zu Hause kein Essen auf den Tisch", sagt Kapuku. So einfach ist das. Dazu kam, dass das für die Visavergabe zuständige Schengen-Haus in Kinshasa geschlossen wurde. Um ein Visum zu beantragen, müsste er nach Kenia oder Äthiopien reisen.

Wäre Kapinga Mbyi nicht nach Deutschland gekommen, würde sie heute womöglich nicht mehr leben. Sie lebt, und ihr Sohn sagt: "Es ist ein Wunder." Nach allem, was sie durchgemacht hat, ohne Behandlung nach der Operation. Was bleibt dem Sohn übrig, als weiterzukämpfen? Mit den Behörden, mit dem Papierkram, mit seinen Ängsten, der gelegentlichen Verzweiflung. Eigentlich ist er ein positiver Mensch. Er bereut es nicht, als studierter Jurist bei der Post zu arbeiten; er mag die Arbeit. Wichtiger als Geld und Prestige ist es ihm, gesund und glücklich zu sein.

Momente des Glücks, natürlich gibt es die mitunter auch, trotz des Leidens seiner Mutter und all der Schwierigkeiten. Zum Schluss zeigt Christian Kapuku noch einmal Fotos. Da sitzt seine Mutter, auf dem anthrazitfarbenen Sofa, schwach sieht sie aus. Sie hält ein Baby im Arm, ganz vorsichtig. Die geplante Hochzeit, wegen der sie vor zwei Jahren nach München gekommen war, haben ihr Sohn und seine Verlobte verschoben. Dafür ist Kapinga Mbyi Großmutter geworden. Auf dem Foto lächelt sie.

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