Lesung:Tschechow im Lockdown

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Die Seuche aussitzen: Satiriker Gary Shteyngart versammelt in seinem aktuellen Roman illustre Gestalten in einer Villa. Es ist Frühjahr 2020, sie werden länger bleiben, als gedacht. (Foto: Brigitte Lacombe/Randomhouse)

US-Bestsellerautor Gary Shteyngart liest im Literaturhaus München aus seinem elegant-ironischen Gesellschaftsroman "Landpartie".

Von Anna Steinbauer

Es gibt wohl kaum einen besseren Plan, als die Pandemie in guter Gesellschaft auszusitzen. So ist zumindest das Vorhaben des russischstämmigen Schriftstellers Sasha Senderovsky im neuen Roman "Landpartie" des US-Bestsellerautors Gary Shteyngart: In seiner idyllischen Villa außerhalb von New York versammelt er im März 2020 eine Gruppe illustrer Gestalten. Dazu gehören neben seiner Ehefrau Masha, einer Psychiaterin, und der genderfluiden Tochter Natasha seine alten Highschoolfreunde Karen, eine Dating-App-Entwicklerin und der krebskranke Hochschulprofessor Vinod. Außerdem eingeladen sind Senderovskys Freund Ed, ein weitgereister "Gentleman", wie er eingeführt wird, eine ehemalige Studentin des Schriftstellers und ein berühmter Schauspieler, mit dessen Auftauchen niemand rechnet.

"Zusammengeführt von den Anfängen einer sich verschärfenden Tragödie", wie Steyngart schreibt, suchen sie Zuflucht vor dem Virus und schicken sich an, mit gutem Essen, reichlich Alkohol und geistreichen Gesprächen der Pandemie zu trotzen. Keiner der Beteiligten ahnt, dass diese Landpartie in einer sechsmonatigen Isolation ausartet, bei der sämtliche Hüllen fallen, und sich die Gäste in emotionale und erotische Verwicklungen verstricken. Und das mit Ansage: "Jetzt werden sich die Protagonisten demaskieren. Jetzt werden bei Lachen und Liebe die Hemmungen fallen. Jetzt werden die Hauptfiguren flirten und grausam abblitzen, und die Ungeliebten werden in ihre Gläser seufzen und sich zu erinnern versuchen, wie es war, begehrt zu werden", heißt es im Buch.

Wo geht es hin mit dem liberalen Amerika?

Shteyngart, der 1972 als Sohn jüdischer Eltern im heutigen St. Petersburg geboren wurde und im Alter von sieben Jahren in die USA kam, weiß wie kein anderer, anspielungsreich und pointiert eben jenes Leben und Lieben der intellektuellen Immigranten in den USA aufs Korn zu nehmen, die in nostalgischen Erinnerungen schwelgen, sich verlieben und verbrüdern, streiten und über den Kulturbetrieb und die politische Lage in Trump-USA herziehen. Der Autor der Erfolgsromane "Absurdistan" und "Super Sad True Love Story" hat mit "Landpartie" einen schillernden Gesellschaftsroman geschaffen, der einem Tschechow-Stück im Lockdown mit dem Setting aus Boccaccios "Decamerone" gleicht.

Shteyngart liest sich leicht, ironisch-witzig mit tragikomischen Pointen. Die slapstickhaften Figuren werden grandios in ihren Marotten getroffen, glänzen aber dennoch durch Menschlichkeit und spiegeln den Seelenzustand im ersten Pandemie-Jahr. Das liberale Amerika, zumindest bei Shteyngart, leibt und lebt es.

Ein Abend mit Gary Shteyngart, Di., 21. Juni, 20 Uhr, Literaturhaus München, Saal & Stream, Moderation: Knut Cordsen, Lesung: Benito Bause, www.literaturhaus-muenchen.de

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