Kunst-Debatte:Kuss der Kriegsgegner

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Das Graffito auf einer der Fassaden am Alois-Harbeck-Platz sorgt für hitzige Diskussionen. (Foto: Carmen Voxbrunner)

Ein Graffito aus einem kleinen bayerischen Ort löst große Diskussionen in den sozialen Medien aus. Darauf küssen sich eine ukrainische und eine russische Soldatin. Künstler Discop zum Vorwurf, das sei russische Propaganda.

Interview: Florian J. Haamann, Puchheim

Es kommt nicht oft vor, dass ein Kunstwerk im Landkreis hitzige Debatten in den sozialen Netzwerken auslöst. Genau das aber ist nun einem Graffito gelungen, das die drei Künstler Discop, Lando und Scout an die Fassade eines Gebäudes auf dem Puchheimer Alois-Habeck-Platz gesprayt haben. Unter anderem wird es als verletzend für die aus der Ukraine geflüchteten Menschen oder gar als russische Propaganda bezeichnet. Es zeigt eine ukrainische und eine russische Soldatin, die sich küssen, darunter sind die Flaggen beider Länder zu sehen und der Schriftzug "Schwestern und Brüder". Die russische Flagge ist mittlerweile von Unbekannten mit den Worten "Mörder", "Terroristen" und "Kriegsverbrecher" beschrieben worden.

SZ: Zwei Soldatinnen, die sich in den Armen liegen und sich küssen, eine mit ukrainischer Flagge auf der Uniform, eine mit der russischen. Welche Botschaft soll das Graffiti senden?

Discop: Da steckt mehr Idee dahinter, als man auf den ersten Blick glaubt. Das Motiv ist eine Hommage an den "sozialistischen Bruderkuss", welcher bereits auf der Berliner Mauer parodiert worden ist. Statt Brüder haben wir aber zwei Frauen, um uns zum einen klar von dem eigentlichen Bruderkuss und dem Sozialismus zu distanzieren. Zum anderen ist die Pose eine Anspielung auf eine Dolce-und-Gabbana-Werbung aus Russland, welche viel Kritik geerntet hat und sogar in der Diskussion war, verboten zu werden, da sie homosexuelle Handlungen darstellt. Die Kritik steckt in unserem Kunstwerk im Detail.

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In den sozialen Netzwerken wird kritisiert, dass das Graffito die Gefühle der Geflüchteten verletzen könne. Was halten Sie von dieser Kritik?

Es ist Kritik, die man vielleicht als Künstler auf den ersten Blick nicht versteht oder verstehen möchte. Natürlich waren da noble Absichten dahinter, da wir mit dem Motiv auch Spenden für die Ukraine gesammelt haben. Aber gut gemeint ist nicht gut gemacht am Ende. Vielleicht hätte dem Motiv etwas mehr "Mainstream" gutgetan. Es gibt deutschlandweit ähnliche Motive zum Krieg in der Ukraine, ob ebenfalls mit zwei Frauen, wie in Freiburg, oder als russischer und ukrainischer Panzer, die gemeinsam ein Peace-Zeichen bilden - es bleibt abzuwarten wie das Feedback aussieht. Am Ende ist jedes einzelne Werk ein Appell an Menschlichkeit und Frieden.

Welche Gedanken haben Sie sich bei der Auseinandersetzung mit den Kommentaren in den sozialen Medien gemacht?

Persönlich finde ich es sehr beklemmend, wie man versucht, jeden einzelnen Russen als Feind abzustempeln, und ich muss sagen, dass viele Kommentare in den sozialen Medien mir da große Sorgen bereitet haben. Es gibt viele, viele Videos von Ukrainern und Russen selbst, welche junge russische Gefangene zeigen zwischen 18 und 21 Jahre alt. Junge Soldaten, die weinen und mehrfach erzählen, dass sie nicht wussten, was überhaupt passiert und dass man ihre Befehle geheim gehalten hat. Russen, die ihre eigenen Fahrzeuge sabotieren, einfach weglaufen oder eben auf die Straße gehen und in Moskau gegen diesen Krieg protestieren, und das, obwohl sie Verhaftung oder Schlimmeres dabei zu befürchten haben. Das zeigt uns eigentlich, dass es viele Menschen gibt, die diesen Krieg nicht möchten und dass das alleine Putins Krieg ist.

Welches Feedback haben Sie sonst für das Kunstwerk bekommen?

Grundsätzlich war das Feedback auf den ersten Blick sehr positiv. Ob nun vom Bürgermeister Norbert Seidl, dem Kulturverein Puchheim oder einzelnen Leuten über Instagram, Twitter, Freunde und Verwandte. Da waren auch Menschen mit einem direkten Bezug zur Ukraine, die nicht mehr gesehen haben, als zwei Menschen, die den Frieden wollten - aber eben unter "der falschen Flagge" geboren worden sind.

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Mittlerweile ist das Graffito teilweise beschmiert worden. Ist das eine legitime Form des Dialogs?

Das ist meiner Meinung nach legitim, wenn wir über Graffiti reden. Die Botschaften, die auf dem Werk aufgetaucht sind, sind eine Form von Kritik, quasi als die ungefilterte Stimme der Straße. Ich finde den Kontrast sehr schön zwischen Leuten, die Fotos machen und sich daran erfreuen und den erhitzten Gemütern, welche sich an der russischen Symbolik auslassen. Das gehört dazu, das ist Street-Art. Wenn wir es mit dem Werk nicht geschafft haben, ein Spiegelbild des aktuellen Klimas zu erzeugen, dann eben diese Botschaften. Ich persönlich würde mich sogar über noch mehr Botschaften freuen.

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