Gewalt gegen Frauen:Zu oft herrscht zu Hause die Angst

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Fast jede dritte Frau hat in ihrem Leben schon mal Gewalt erfahren. Die Szene in diesem Symbolbild ist gestellt. (Foto: Maurizio Gambarini/dpa)

Seit mehr als hundert Jahren gibt es den Internationalen Frauentag. Doch noch immer ist das weibliche Geschlecht männlicher Gewalt ausgesetzt - auch Zahlen aus dem Landkreis zeigen das.

Von Peter Bierl und Ingrid Hügenell, Fürstenfeldbruck

Wenn der Freund oder Ehemann Sex fordert oder erzwingt, obwohl die Frau nicht einverstanden ist, ist das gesetzlich verboten. Auch in einer Partnerschaft oder Ehe. Vielen Frauen sei das aber gar nicht bewusst, sagt Anna Lehrmann vom Verein "Frauen helfen Frauen". Seit 1911 wird der Internationale Frauentag begangen, seit 1917 am 8. März. Noch immer, mehr als hundert Jahre später, halten viele Frauen es für normal, dass Männer sich nehmen, was sie wollen. "Das Bewusstsein fehlt im System ganz grundsätzlich", sagt Lehrmann - das Bewusstsein dafür, dass Nein nicht nur Nein heißt, sondern alles, was kein ausdrückliches Ja ist.

Auch wenn die Frau zu eingeschüchtert, schockiert oder verängstigt sei oder aus einem anderen Grund nicht Nein sagen könne, bedeute das keine Zustimmung, erklärt die Sozialpädagogin. Sie fordert, dass das schon früh im Leben Mädchen und auch Jungen beigebracht wird. "Wir haben Frauen in der Beratung, die erst in der vierten oder fünften Sitzung realisieren, dass das, was sie erlebt haben, Vergewaltigung in der Ehe war", berichtet sie. "Es ist gut, dass Gesetze verschärft wurden. Aber das reicht für die Frauen nicht aus." Denn Gewalt gegen Frauen ist systemimmanent.

Probleme in der Pandemie

In den zwei Jahren der Corona-Pandemie war es Lehrmann zufolge für Frauen noch schwieriger als sonst, sich aus gewalttätigen Beziehungen zu lösen. Denn tatsächlich erfahren Frauen Gewalt meist im direkten Umfeld. Viele Abläufe hätten länger gedauert als üblich, sagt Lehrmann. Wenn die richterliche Anordnung, dass der gewalttätige Mann die gemeinsame Wohnung nach dem Gewaltschutzgesetz verlassen müsse, nicht nach 24, sondern erst nach 48 Stunden komme, sei das ein Problem. "Viele Frauen mussten länger in der akut gewalttätigen Situation bleiben." Glücklicherweise sei keine der Frauen, die vom Verein beraten wurde, getötet worden. Doch das Dunkelfeld sei groß. Man habe versucht, mit den Frauen "lückenlose Sicherheitskonzepte" zu entwickeln. "Wir haben detailliert durchgesprochen, wie man sich am besten erhält." Dazu gehört laut Lehrmann, die Wohnung, wenn möglich, zu verlassen, aber auch, sich nicht zu scheuen, die Polizei zu rufen, wenn man Angst hat.

Die Statistik der Polizei verweist auf eine Zunahme der Gewalt gegen Frauen. Allerdings sind die Daten mit Vorsicht zu interpretieren, weil sich Gesetze geändert haben und die Bevölkerung des Landkreises zu klein ist, um statistisch signifikante Entwicklungen abzubilden. Zudem kann nur in die Statistik eingehen, was die Polizei mitbekommt. Die Bereitschaft, Delikte anzuzeigen, hängt auch davon ab, welche Taten in der Gesellschaft als nicht erlaubt angesehen und daher bekämpft werden und welche tabuisiert sind. Das gilt besonders für Gewalt in Partnerschaften und Familie, die jahrzehntelang tabu oder gar ausdrücklich erlaubt war, wie die Vergewaltigung in der Ehe. Schon die Bezeichnung "häusliche Gewalt" verdeckt den Umstand, dass die Täter in aller Regel männlich sind.

Femizide und Totschlag sind in der Landkreis-Statistik zum Glück seltene Ereignisse. Die Zahl der registrierten Vergewaltigungen schwankt sehr stark, zwischen 17 (2011), 14 (2019) und 32 (2020). Dabei gilt es auch zu berücksichtigen, dass der Paragraf 177, der sexuelle Übergriffe, Nötigungen und Vergewaltigungen umfasst, 2016 geändert wurde.

Die Zahl der Körperverletzungen nimmt zu

Für 2021 liegen noch keine Daten vor, die Polizeisprecherin kann lediglich Trends angeben. Die Fälle sexueller Belästigung sind von sechs (2019) auf elf (2020) gestiegen, 2021 dürften es nochmal mehr gewesen sein. Einen deutlichen Anstieg gibt es bei der gefährlichen und schweren Körperverletzung von 53 (2011) über 62 (2019) auf 78 Fälle (2020). Die einfache Körperverletzung nahm von 260 (2011) auf 332 (2019) zu und verharrte im Pandemiejahr 2020 auf diesem hohen Niveau (331). Die Fälle von registriertem Stalking schwankten zwischen 20 (2011), 18 (2019) und 27 (2020).

Der Paragraf 241 wurde 2021 wesentlich erweitert. Bis dahin war nur die Bedrohung mit einem Verbrechen, etwa Mord, strafbar. Seitdem gilt das für jede Art der Bedrohung, auch gegen die sexuelle Selbstbestimmung, wie mit Vergewaltigung oder Nötigung, körperliche Unversehrtheit und persönliche Freiheit. Vor dieser Reform lag dieses Delikt ziemlich konstant auf einem Niveau von durchschnittlich mehr als 60 Fällen im Jahr (2011: 67; 2019: 60; 2020: 69). Die Polizeisprecherin geht von einer steigenden Tendenz im Vorjahr aus.

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