In diesem Moment ist Bálint Jákli der Herrscher über das Wetter. Er bestimmt die Wellenlängen des Sonnenlichts: Erst lässt er die Gerste und die Tomatenstauden in sattem Grün erleuchten, dann in Rot, schließlich in tiefem Violett. Auch über die Temperatur und die Bestandteile der Luft kann er mit wenigen Handgriffen verfügen. Wenn er will, zieht ein Wolkenfeld auf, wird es Sommer oder Winter, Tag oder Nacht.
Zumindest für den kleinen, mit Metall ausgekleideten Raum, in dem einige Töpfe mit Pflanzen stehen, kann Bálint Jákli verschiedenste Wetterparameter kontrollieren - und zwar über eine digitale Schaltfläche an der Wand. Er ist wissenschaftlicher Leiter von TUM -Mesa, kurz für "Model Ecosystem Analyser". Die Forschungseinrichtung der TU München in Weihenstephan besteht aus acht Klimakammern. Darin werden die Auswirkungen unterschiedlicher Klimaszenarien auf Pflanzen erforscht.
Forschende der TUM können für ihre Experimente die Temperatur einstellen, den Anteil von Ozon und CO₂ in der Luft verändern und mit LED-Lampen das Sonnenlicht nachahmen. Das alles geschieht in einem alten Rinderstall nicht weit vom Campus: Die Hülle des Gebäudes blieb unangetastet, innen erinnert die Einrichtung an eine Industriehalle. "Wir können hier im Prinzip den Klimawandel simulieren", erklärt Johannes Kollmann, der technische Direktor der Einrichtung. "Und das für fast jede Region der Erde", fügt Bálint Jákli hinzu. Die beiden Wissenschaftler betreuen die Forschungsprojekte in TUM-Mesa.
Bálint Jákli stellt das Licht in der Kammer wieder auf ein gewöhnliches Weiß und schließt die schwere Metalltür. Dann beginnen er und Johannes Kollmann den Rundgang durch die anderen Klimakammern. Man spürt, dass die beiden Experten für ihr Fachgebiet brennen: Während sie die Experimente ihrer Kollegen erläutern, befühlen sie die Blätter der Tomatenstauden, inspizieren die Ähren der Gerste und die Erde in den Pflanzentöpfen.
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Christian Wiese, Doktorand am Lehrstuhl für Biotechnologie der Naturstoffe unter Professorin Farhah Assaad, nimmt sich ebenfalls kurz Zeit, um das Projekt seiner Arbeitsgruppe vorzustellen: Topf an Topf reihen sich Exemplare eines unscheinbaren Gewächses mit kleinen weißen Blüten. In der Klimakammer ist es ein leicht bewölkter, sonniger Sommertag bei einer Temperatur von glühenden 34 Grad. Eine Kollegin ist gerade dabei, die Pflanzen zu begutachten. Was aussieht wie Unkraut, ist für die Wissenschaft hoch interessant: Denn die DNS der Ackerschmalwand wurde bereits komplett entschlüsselt und dient als Modellorganismus für die Genforschung.
In vorherigen Versuchen haben die Forschenden des Lehrstuhls eine wichtige Entdeckung gemacht, erläutert Christian Wiese: Sie fanden Gene, die beeinflussen, wie gut sich die Ackerschmalwand als Keimling an Klimastress anpassen kann . Nun haben er und seine Kollegen diese DNS-Abschnitte bei einigen Pflanzen verändert. Die Forschungsfrage: Wie gut können die Mutanten Hitze verkraften? Zum Vergleich wurden einige Exemplare in einer Kammer nebenan bei angenehmen 23 Grad angepflanzt. Zudem wird ein Teil der Pflanzen nur sehr gering bewässert. Damit möchten die Wissenschaftler herausfinden, wie die Mutanten mit Trockenheit umgehen. Die Erkenntnisse könnten künftig auf Nutzpflanzen wie etwa Mais übertragen werden.
Hitze, Trockenheit, eingewanderte Schädlinge: Vor diese und noch viel mehr Herausforderungen werde uns der Klimawandel stellen, erklärt Kollmann. Darum sei die Forschung in TUM-Mesa so wichtig: "Hier können wir im Labormaßstab verstehen, was all das bedeutet, bevor die Auswirkungen draußen eintreten." Dabei seien die Klimakammern eine Schnittstelle zwischen den kontrollierten, aber künstlichen Verhältnissen im Labor und den unberechenbaren Bedingungen bei Feldexperimenten, so Bálint Jákli. Das Besondere im Vergleich zu anderen Klimakammern: Es lassen sich dynamische Wettereignisse nachahmen. Je nach Forschungsprojekt könnte beispielsweise die Temperatur im Laufe des Tages steigen, während die Luftfeuchtigkeit sinkt und sich der "Himmel" immer wieder verdunkelt, um das Aufziehen von Wolken zu simulieren.
Wie die Auswirkungen des Klimawandels konkret erforscht werden, zeigt sich auch in der nächsten Klimakammer: Aus einem Topf mit dunkler, lockerer Erde wächst der kräftige Stiel einer Pflanze, aus der einmal eine prächtige Sonnenblume werden könnte. Daneben kauert inmitten eines dichten, tonigen Bodens ein kümmerliches Gewächs, das es kaum mit seiner Artgenossin aufnehmen kann. Noch sind die Pflanzen gut mit Wasser versorgt, erklärt Bálint Jákli. Bald werde man die Böden jedoch austrocknen. Die Folge: Die Erde wird zusammenschrumpfen und den Kontakt zu den Wurzeln verlieren. Dadurch kann das wenige Wasser, das noch vorhanden ist, die Wurzeln schlechter erreichen. Mit dem Projekt möchte die Professur für "Root-Soil Interaction" von Mutez Ahmed erforschen, wie Pflanzen in unterschiedlichen Böden mit diesem Stressfaktor umgehen.
Sogar die Wurzeln können fotografiert werden
Um die Auswirkungen des Klimawandels zu verstehen, können die Pflanzen bis ins letzte Blatt analysiert werden: Spezielle Kameras registrieren das Licht, das von einer Pflanze reflektiert wird - selbst wenn dieses für das menschliche Auge nicht sichtbar ist wie Infrarot. Dies verrät einiges über die Fotosynthese und den Gesundheitszustand der Pflanzen. Sogar was sich im Boden abspielt, kann man sichtbar machen: Dafür führen die Wissenschaftler eine Plexiglasröhre mit einer Kamera in die Erde ein. Irgendwann beginnen die Wurzeln, sich um die Röhre zu schlingen und können schließlich fotografiert werden.
Auch wie Insekten und Pilze mit den Pflanzen interagieren, wird untersucht. "Wir können relativ komplexe kleine Ökosysteme schaffen", so Bálint Jákli. Sogar kleine Wälder seien hier schon aufgezogen worden. Beispielsweise habe ein früheres Experiment untersucht, wie stark Pestizide Bienen beim Bestäuben beeinträchtigen - und ob extreme Hitze diese negativen Auswirkungen verstärkt.
Indoor-Farmen könnten eine Lösung im Kampf gegen Klimawandel-Folgen sein
Dass der Klimawandel auch das Leben der Menschen verändern wird, zeigt sich bei der letzten Station des Rundgangs: In der Kammer breitet sich ein Weizenfeld aus - allerdings wachsen die Halme nicht in der Erde, sondern auf einem Tisch in flachen Schalen mit Nährstoffsubstrat. Außerdem wurde der Weizen auf niedrige Höhe gezüchtet - sodass er in Indoor-Farmen in vielen Schichten übereinander angebaut werden kann. Der für das Projekt zuständige Lehrstuhl für Digital Agriculture von Professor Senthold Asseng forscht dazu, unter welchen klimatischen Verhältnissen Indoor-Weizen am besten wächst.
Getreide in Lagerhallen anpflanzen, "das hört sich erst mal ein bisschen irre an", gibt Johannes Kollmann zu. Durch den Klimawandel könnten solche Lösungen aber notwendig werden. Mit dem Indoor-Farming erhoffe man sich höhere Erträge. Außerdem gebe es bei dieser Art des Anbaus keine Schädlinge. "Das ist sehr zukunftsträchtig", betont Kollmann. Schließlich wolle man hier bei TUM-Mesa die Auswirkungen des globalen Wandels nicht nur verstehen - "sondern auch Rezepte entwickeln, wie man sie mildern kann."