Hochschulen in Freising:Abenteuerland für junge Tüftler

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Mit ihrem Team arbeiten Florian Kuhn und Elias Hasel (rechts) an einem Verfahren für das chemische Recycling von Plastikmüll. Im Venture Lab Fab der TU München können sie experimentieren - und erhalten auch Tipps für die Finanzierung ihres Start-ups. (Foto: Marco Einfeldt)

Im Venture Lab der TU München können Studierende und Wissenschaftler in Experimentierküchen und Laboren ihre Ideen weiterentwickeln und Prototypen bauen - außerdem lernen sie, wie sie ihre Produkte verkaufen.

Von Anna-Lena Schachtner, Freising

Auf den ersten Blick erinnert die Maschinenhalle auf dem Campus in Weihenstephan an eine gewöhnliche Industrieanlage . Komplizierte Gerätschaften stehen herum, große metallene Gefäße und eine Konstruktion, die aussieht, als komme sie aus einer Brauerei. Ein leichter Geruch nach Fisch durchzieht die Halle.

Hier könnte bald das nächste große Start-up entstehen: Die Einrichtung ist Teil des Venture Lab Fab der TU München (TUM) in Weihenstephan, in dem Studierende und Wissenschaftler an ihren Ideen tüfteln - um daraus ein Geschäftsmodell zu machen. Roman Werner, Managing Director des Gründerzentrums, stellt begeistert die aktuell laufenden Projekte vor. Der Geruch komme von veganem Fischersatz, erklärt er. Das Start-up "Koralo" experimentiere weiter an einem Produkt, das es mittlerweile auf dem südkoreanischen Markt eingeführt habe.

Im Venture Lab Fab werden vor allem Produkte aus dem Bereich Lebensmittel- und Agrartechnologie entwickelt. Die Abkürzung Fab steht für Food, Agro und Biotech. Um künftig auch pharmazeutische Versuche möglich zu machen, wird zurzeit ein neues Labor eingerichtet. 15 Start-ups sind derzeit untergebracht, insgesamt 90 werden vom Venture Lab betreut.

Roman Werner leitet das Gründerzentrum und unterstützt die jungen Entwickler und Entwicklerinnen. (Foto: Marco Einfeldt)
Mit ihrer Erfindung wollen (von links) Felix Beck, Johannes von Wittke und Benedikt Keßler Kartoffelbauern helfen, damit sie Zeit und Geld sparen. (Foto: Marco Einfeldt)
Ein Blick in den Werkstatt-Bereich des Venture Lab Fab. (Foto: Marco Einfeldt)

In einer Ecke der Maschinenhalle werkeln gerade Benedikt Keßler, Felix Beck und Johannes von Wittke an ihrem Prototyp: auf den ersten Blick ein ganz normales Fließband. Mit seiner Idee will das Team von "Karevo" erreichen, dass Kartoffelbauern bei der Qualitätskontrolle Zeit und Personal sparen. Dafür haben die drei Tüftler ein Kamerasystem entwickelt, das mittels KI-basierter Bildauswertung die Sortierung auf dem Verlesetisch übernimmt. Benedikt Keßler, studierter Maschinenbauingenieur, kommt selbst vom Bauernhof und hat seine Abschlussarbeit über den Prototypen verfasst. Nun möchte er sich mit seinen Teamkollegen selbständig machen. Warum das Venture Lab für sie so wichtig ist? Vor allem wegen der Ausrüstung, die hier zur Verfügung gestellt werde, sagt Benedikt Keßler.

Im Venture Lab können sich junge Gründer in den Experimentierküchen und Laboren austoben, mit 3D-Druckern und Laser-Cuttern an ihren Prototypen und Produkten basteln. Und: "Wir bekommen hier auch Tipps zum Thema Finanzierung, Geschäftsmodell und wie man eine Firma überhaupt gründet", so Keßler. Roman Werner ergänzt: "Die Studierenden bringen viel naturwissenschaftliches oder technisches Fachwissen mit - aber das bringt alles nichts, wenn man das Produkt nicht gut verkaufen oder vermarkten kann."

Das Venture Lab berate die Teams auch, mit welchen Stipendien sie die Materialien für ihre Produktentwicklung finanzieren können, so Werner. "Das sind Summen, die oft im mehrfachen Millionenbereich anfangen." Es gebe allerdings zu wenig Förderprogramme für junge Unternehmer, kritisiert er. "Wir bezeichnen uns immer als sehr Start-up-freundliches Land, aber ich bin der Meinung: Es muss noch einiges passieren."

Mit seinem Start-up "Hula earth" will Florian Geiser Unternehmen die Dokumentation ihrer Leistungen für Biodiversität und Mikroklima erleichtern. (Foto: Marco Einfeldt)

Eine eigene Firma gründen - das ist auch für Florian Geiser von "Hula earth" eine Herausforderung. "Als Ingenieur begeistert man sich hauptsächlich für die Technologie. Das Venture Lab hilft uns, dass wir den Business-Aspekt nicht total aus den Augen verlieren." Florian Geiser arbeitet gerade im hellen Co-Working-Space am Laptop. Vor sich hat er einen kleinen grauen Kasten mit Kabeln und Platinen stehen: Mit solchen unscheinbaren Geräten können Geiser und Co-Gründer David Schmider die Biodiversität und das Mikroklima in Ökosystemen tracken. Mithilfe einer KI werden diese Informationen ausgewertet. Die Zielgruppe sind Unternehmen, die laut einem neuen Gesetz ihren Einfluss auf die Umwelt jährlich belegen müssen.

Sein Kollege und er seien in landwirtschaftlichen Betrieben mit Waldbesitz groß geworden, erzählt Florian Geiser. "Dadurch haben wir seit unserer Kindheit hautnah den Insektenschwund und die immer extremeren Wetterereignisse miterlebt." Ihnen sei klar geworden, dass die Auswirkungen des Klimawandels noch greifbarer werden müssten. Daher hätten sie sich nach einigen Jahren bei einem Entwicklungsdienstleister dafür entschieden, ihre Idee als Start-up umzusetzen und sich "gemeinsam in das neue Abenteuer zu stürzen".

Doch wie oft werden aus den Ideen im Venture Lab tatsächlich erfolgreiche Unternehmen? Roman Werner gibt zu: Viele Teams seien anfangs euphorisch und wollten die ganze Welt verändern - einige von ihnen schafften es jedoch nicht über die Anfangsphase hinaus. Dennoch empfiehlt er allen Studierenden mit einer Geschäftsidee, die Gründung eines Start-ups auszuprobieren. "Natürlich funktioniert es bei manchen nicht - aber dann ist auch nichts vertan." Im Gegenteil: Viele Firmen begrüßten es, wenn Bewerber bereits unternehmerische Erfahrungen gesammelt hätten. Damit es doch klappt mit der eigenen Firma, benötige man eine gewisse Resilienz, so Werner. Denn irgendwann tauchten immer Hürden auf. Was jedoch am allerwichtigsten sei: eine gute Zusammenarbeit im Team.

In vielen Ländern wird Plastikmüll nicht fachgerecht entsorgt - das schadet der Umwelt

Damit haben die vier von "Waste-Ex" bisher kein Problem. Meinungsverschiedenheiten trügen sie nie auf persönlicher Ebene aus, sagt Co-Gründer Elias Hasel. Stattdessen wählten sie immer die Lösung, für die die Evidenz spreche. In einem Youtube-Video sieht man den Laborprototypen von "Waste-Ex", der an einen Versuchsaufbau aus dem Chemieunterricht erinnert. Das liegt auch nicht weit daneben: Denn das Team arbeitet an einem Verfahren für das chemische Recycling von Plastikmüll. Dabei werden Diesel und Benzin erzeugt. Auch Erdgas entsteht, mit dem das System wiederum angeheizt wird, sodass es energieautark ist. Die sogenannte Pyrolyse gebe es schon lange, erklärt Mitgründer Florian Kuhn. Bisher werde sie jedoch nur in riesigen Anlagen mit hoch qualifiziertem Personal vorgenommen. Das Innovative an "Waste-Ex": Systeme zu entwickeln, die dezentral installiert und von ungelernten Arbeitern bedient werden können.

In vielen Ländern werde Plastikmüll nicht fachgerecht entsorgt, was der Umwelt und den Menschen schade, erläutert Elias Hasel. Kleine Pyrolyse-Anlagen könnten es ärmeren Regionen ermöglichen, Plastikmüll zu recyceln und dadurch Kraftstoffe zu gewinnen. Der Chemiestudent experimentiert bereits seit acht Jahren mit der Pyrolyse. "Das war aus einer Mischung aus Langeweile und viel im Internet unterwegs sein. Und dann bin ich drauf gekommen, dass ich Treibstoffe herstellen will - was man halt so macht, wenn man auf dem Land wohnt und sich langweilt", erzählt Elias Hasel und lacht. Er habe sich sogar ein eigenes Labor im Garten gebaut und zusammen mit seinem Onkel Versuche gemacht. Nun arbeiten Elias Hasel, Florian Kuhn und ihre Kollegen Daniel Czech und Marc Xia darauf hin, das Produkt an ihren ersten Kunden auszuliefern, eine Nichtregierungsorganisation auf den Philippinen.

Fleischersatz aus Mikroalgen: An der TUM kann Khalil Kaddoura seine Idee endlich umsetzen. (Foto: Marco Einfeldt)

Die Leidenschaft für ihre Idee spürt man bei allen Nachwuchs-Unternehmern im Venture Lab. Auch bei Khalil Kaddoura, der gerade im Labor mit Reagenzgläsern hantiert. In einem der Gefäße wirbelt eine sattgrüne Flüssigkeit herum: Mikroalgen. Aus diesen gewinnt sein Start-up "Prevo" Nährstoffe, die für die Produktion von pflanzenbasiertem Fleischersatz genutzt werden. Der Vorteil im Vergleich zu herkömmlichen Ersatzprodukten aus Soja oder anderen Lebensmitteln: Die Algen sind billiger und nährstoffreicher. Ausschlaggebend war für Khalil Kaddoura die große Explosion im Hafen seiner Heimatstadt Beirut. Dadurch sei es zur Unterbrechung von Lieferketten gekommen, wodurch die Preise für Lebensmittel stark gestiegen seien. Er habe sich daher die Frage gestellt: Wie kann Nahrung lokal und autonom produziert werden? Schließlich habe er das Potenzial der Mikroalgen erkannt. Seine Idee habe er schon im Studium in Beirut entwickelt, aber erst an der TUM habe er die nötige Unterstützung gefunden, um sie zusammen mit Jona Rott umzusetzen.

Ein Problem erkennen und es mit viel Einfallsreichtum und Ausdauer lösen: Darum geht es allen Start-ups im Venture Lab in Weihenstephan. "Alle großen Volkswirtschaften dieser Welt sind durch Unternehmertum entstanden - weil Leute eine eigene Idee angepackt und eine Firma daraus hochgezogen haben", so Roman Werner. Dies sei umso wichtiger, da durch den Klimawandel und andere Krisen künftig viele Herausforderungen auf die Menschheit zukommen würden. "Wir brauchen unbedingt Innovation!"

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