Handwerkskunst:"In unserer Branche denken wir in Jahrhunderten"

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Hervé Chouard verwendet für seine Geigen, Celli und Gitarren Ahorn aus Bosnien und Holzraritäten, die 1910 mit dem Schiff aus Brasilien in Deutschland angekommen sind. Bis so ein Instrument fertig ist, dauert es - mit Unterbrechungen - zehn bis zwölf Monate. (Foto: Marco Einfeldt)

Hervé Chouard baut und repariert seit mehr als 30 Jahren Geigen, Celli und Gitarren in Freising. Seine Instrumente werden in vielen Orchestern und Jazzensembles gespielt - und sie werden immer noch da sein, wenn die Menschen von heute nicht mehr leben.

Interview von Katharina Aurich, Freising

Der Freisinger Geigenbauer Hervé Chouard wurde am selben Tag wie Sting geboren, am 2. Oktober 1951 - kein Zufall, davon ist er überzeugt. 2012 habe er ein Konzert dieses "phänomenalen Künstlers" in Straßburg besucht, ein wahnsinniges Erlebnis. Denn Chouard lebt nicht nur für die Instrumente, die in seiner Werkstatt unter dem Dach entstehen, sondern auch für die Musik, die auf ihnen gespielt wird. Am liebsten mag er die klassischen Werke, aber auch Jazz und moderne Stücke. Den Tag über läuft bei ihm der Klassiksender BR 4, mit am Tisch sitzt auch Terrier Goupil Renard und spitzt seine Ohren.

SZ: Wie kam es zu dem Entschluss, ihr Leben dem Bau von Saiteninstrumenten zu widmen?

Hervé Chouard: Danach sah es zunächst nicht aus. Ich erlebte im Alter von 17 Jahren 1968 die Studentenrevolten in Paris, ging dann während meines Germanistikstudiums in die Universitätsstadt Tübingen, das war eine aufregende Zeit. Dort traf ich dann den genialen Geigen- und Gitarrenbaumeister W. J. Vogt. Da wusste ich, dass ich auf dem richtigen Weg bin. Ich ging bei ihm in die Lehre und er wurde mein Mentor und väterlicher Berater.

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Zu Hervé Chouards Kunden zählen auch bekannte Musiker.

Von Katharina Aurich

Freising ist nicht das Mekka der klassischen Musik, wie kamen Sie hierher und warum sind Sie der Domstadt nun schon mehr als 30 Jahre treu geblieben?

Ich komme aus Paris, habe viel erlebt, vor allem aber auch die grauen Vorstädte, den Gestank der Autos. Ich sehnte mich nach Natur, nach Ruhe und nach einer kleineren Stadt. Erst lebte ich in Tübingen, dann in Landshut, machte meinen Meister in Niederbayern und kam schließlich aus privaten Gründen nach Freising. Ich wurde gut aufgenommen, man kann aber nicht jedem gefallen. Ein Glücksfall ist dieses Haus, in dem ich seit 2003 lebe und arbeite. Zuvor befand sich meine Werkstatt 15 Jahre lang an der Luckengasse.

Woher kommen Ihre Kunden?

Viele kommen hier aus der Gegend, ich repariere ja auch Saiteninstrumente. Aber um ein neues Instrument zu kaufen, kommen die Kunden aus ganz Deutschland, aus Österreich, der Schweiz oder auch von weiter her. Es ist ein wunderbares Gefühl, dass in vielen Orchestern oder Jazzensembles meine Instrumente gespielt werden.

Spielen Sie auch selbst?

Natürlich stimme ich die fertigen Instrumente, dann werde ich ganz fiebrig, wenn ich es zum ersten Mal anstimme und spiele, das macht Spaß. Allerdings muss man Geige jeden Tag üben, um das richtige Feeling und die Intonation hinzubekommen. Die Reparaturen und Aufträge für neue Instrumente lassen mir wenig Zeit. Ich spiele jedoch klassische und Jazzgitarre.

Wie lange arbeiten Sie an einem Instrument und wie viele stellen Sie im Jahr her?

Mit Unterbrechungen dauert es zehn bis zwölf Monate, bis ein Instrument fertig ist. Denn der Lack, ein Naturprodukt, benötigt Zeit zum Trocknen und Aushärten. Ich baue immer mehrere gleiche Instrumente, also vier Gitarren im Jahr, drei Geigen und zwei Celli. Was ich als nächstes mache, entscheide ich nach dem Herzen.

Woraus und wie entstehen Ihre Instrumente ?

Ich habe das große Glück, Holzraritäten zu besitzen, die 1910 mit dem Schiff aus Brasilien in Deutschland ankamen, die verwende ich für meine Gitarren. Außerdem verwende ich Ahorn aus Bosnien. Ich arbeite überwiegend mit der Hand, Maschinen machen viel kaputt. Viel Wert lege ich auf die Schnitzarbeiten für die Schnecken am Wirbelkasten der Instrumente, an ihnen erkennt man die Fähigkeit des Künstlers. Ich arbeite außerdem mit reversiblem Haut- und Knochenleim, damit man den Instrumentenkörper, wenn er kaputt gehen sollte, leicht öffnen und reparieren kann. Wir in unserer Branche denken in Jahrhunderten. Wenn wir schon lange tot sind, wird das Instrument immer noch da sein und gespielt werden. Das teuerste Cello der Welt, auf dem der berühmte Cellist Mischa Maisky ausschließlich spielt, wurde beispielsweise im 18. Jahrhundert gebaut. Ich hatte die große Ehre, dieses Instrument, ein Werk von Domenico Montagnana, nach einem Konzert Maiskys im Prinzregententheater in der Hand halten zu dürfen.

Wer sind Ihre Kunden?

Das ist ganz unterschiedlich, die meisten legen natürlich Wert auf Bildung, aber auch Handwerker - eigentlich aus allen Schichten. Oft kommt zum Beispiel ein Automechaniker und lässt seine Gibson Les Paul Rockgitarre reparieren. Oder es besuchen mich Familien mit wenig finanziellen Mitteln, die für ihr Kind ein Instrument aussuchen. Für sie ermögliche ich dann Ratenkauf. Es gibt auch finanzkräftige Kunden, die immer wieder kommen und mehrere Instrumente von mir besitzen.

Wie entscheiden sich Kunden für solch ein teures Instrument, was ist ihnen wichtig?

Das passiert einfach. Es ist eher eine Begegnung zwischen Mensch und Instrument. Es passiert, dass sich ein Kunde zum Beispiel in ein Cello verliebt, weil das Instrument auf seinen Bogenstrich unmittelbar und zart antwortet und er mit wenig Bogendruck einen wunderbaren Klang erzeugen kann. Ich gebe das Instrument manchmal mit zum Ausprobieren. Manche Kunden bleiben drei Stunden und spielen, wieder andere, wie ein Kunde aus Mexiko, der nahm die Meistergitarre sofort mit, für die er sich entschieden hatte.

Zum Abschluss noch eine typische Frage an einen Franzosen: Vermissen Sie den Käse oder Wein Ihrer Heimat?

Ich bin ein Freund Freisings und gehe jeden Mittwoch und Samstag auf den Markt. Dort finde ich regionale, biodynamisch angebaute Gartenprodukte aus dem schönen tertiären Hügelland, aber auch hervorragenden Ziegenkäse, der es mit den französischen aufnehmen kann.

© SZ vom 30.07.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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