Profisportler in der Corona-Krise:Jetzt zählt der Unterhaltungswert

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Sportler kämpfen während der Corona-Krise nicht nur mit dem Erhalt der körperlichen Fitness, sie verlieren oft ihr soziales Umfeld. Besonders hart trifft es Profisportler, die nun virtuell Kontakt zu ihren Fans halten müssen.

Von Tobias Meindl, Freising

Wochenlang waren wegen der Coronapandemie alle Sportstätten geschlossen, seit Montag dürfen zumindest Individualsportler wieder auf die Freiluftplätze. Für alle anderen heißt es, weiter zu warten. Jeder Sportbegeisterte, der verletzungsbedingt schon mal länger ausgefallen ist, weiß, wie schwer es fallen kann, still zu sitzen. Für viele bedeutet Sport Freizeit, Bewegung, Ausgleich und soziales Umfeld. Doch für Profisportler, die ihren Lebensunterhalt mit dem Sport verdienen, bedeutet er weit mehr als das. Auch sie sind derzeit gezwungen, zu Hause zu bleiben. Wie überbrücken sie die Zeit des Stillstands?

Lukas Irmler, 31, professioneller Slackliner und Vortragsredner

Unter normalen Umständen würde Lukas Irmler vermutlich in anderen Ländern über tiefen Schluchten balancieren, auf einem wenige Zentimeter breiten Gummiband. In seiner Vita stehen viele Weltrekorde und Erfolge bei internationalen Wettbewerben. Der Freisinger hat seine Leidenschaft zum Beruf gemacht und verdient seit einigen Jahren sein Geld mit der Slackline. Er will den Sport prägen und präsentiert ihn in Shows, Vorträgen und Workshops. Normalerweise. "Durch die aktuelle Situation in der Coronapandemie ist das nur sehr reduziert möglich", sagt Irmler. Es fällt vieles weg, das ihn antreibt: Sein Training ist gerade nicht in dem Umfang möglich, den er sich vorstellt. Auch das Reisen - in den vergangenen Jahren ein fester Bestandteil seines Lebens - ist zurzeit nicht möglich. Der plötzliche Stillstand, für Irmler ist er eine sehr neue und ungewohnte Situation.

"Viele Veranstaltungen und Reisepläne, alles, wofür ich tagtäglich trainiere und arbeite, ist auf einmal den Bach runtergegangen", sagt er. "Für die Ausfälle bekommt man normalerweise kaum bis keine finanzielle Kompensation." Viele kleine Unternehmen, welche die Krise besonders stark trifft, können sich nur auf das Wesentliche konzentrieren und haben kein Budget, um Irmler für einen Workshop oder ein Seminar zu buchen. Was auch wegfällt, sind seine aufwendigen Stunts und Weltrekordversuche. Ein paar Projekte, die er über mehrere Jahre vorbereitet hat, liegen auf Eis. "Das zieht einen natürlich schon runter", sagt der Sportler. "Ich bin aber auch keiner, der den Kopf in den Sand steckt." Gerade beschäftigt er sich mit Möglichkeiten, online Vorträge oder Seminare anzubieten, um sich längerfristig ein zweites Standbein aufbauen zu können. "Damit lässt sich nur momentan leider nicht wirklich Geld verdienen", so Irmler. "Aber ich kann meine Inhalte damit weiterverbreiten und den Leuten zu zeigen, wie sie auch zu Hause fit bleiben und trainieren können."

Außerdem: Der 31-Jährige kann mal durchzuatmen und "aus dem Hamsterrad der Projekte" herauskommen, wie er sagt. "Ich habe die Zeit genutzt, um mich wieder dem Handstand auf der Slackline zu widmen. Das ist so ein Ziel, was ich schon ein paar Jahre mit mir herumtrage." Irmler überträgt viele Fitnessübungen, Yogapositionen, selbst das Jonglieren auf die Slackline, um im begrenzten Raum der eigenen vier Wände arbeiten zu können. "Gerade jetzt ist es wichtig, Körper und Kopf zu beschäftigen und sich das Gefühl zu geben, etwas Neues zu erleben und zu schaffen, um motiviert zu bleiben", erzählt der Profisportler. In seiner Wohngemeinschaft wird dann mal auf der zwischen den Türrahmen gespannten Slackline Kaffee getrunken oder Zähne geputzt. "Vielleicht ist es ja auch ein ganz guter Impuls für die Welt, dass man sich mal wieder um seine direkte Umgebung kümmert und nicht immer um die Welt reisen muss, um coole Sachen zu erleben."

Michael Eberwein, 24, Fußballprofi bei Holstein Kiel

Der gebürtige Dellnhausener startete seine Karriere in der Jugend beim FC Bayern München, wechselte nach der A-Jugend zu den Amateuren von Borussia Dortmund, danach in die dritte Liga zu Fortuna Köln und spielt jetzt seit einem Jahr in der zweiten Liga bei Holstein Kiel. Derzeit steht der Spielbetrieb in allen Ligen still - noch. Denn vergangene Woche haben die ersten beiden Bundesligen grünes Licht bekommen, am 16. Mai wird die Saison weitergespielt. Es sollen sogenannte Geisterspiele stattfinden, bei denen keine Zuschauer im Stadion anwesend sind. "So etwas konnte sich vor ein paar Monaten keiner vorstellen, aber mittlerweile ist man froh, dass wieder Spiele stattfinden können - auch wenn es ohne Fans bestimmt komisch ist", sagt Michael Eberwein.

Durch einen positiven Coronafall in der Mannschaft war der Fußballer Ende März zwei Wochen lang in Quarantäne und durfte seine Wohnung nicht mehr verlassen. "Es war sehr schwer, sich in der Wohnung körperlich fit zu halten, keiner war zu dem Zeitpunkt auch nur ansatzweise darauf vorbereitet", erzählt Eberwein. Nach der Quarantäne wurde die Situation dann besser. Die Spieler bekamen individuelle Laufpläne, die vergangenen Wochen trainierten sie in Kleingruppen mit sechs Spielern. "Alles nach strengen Hygienevorschriften", sagt der Fußballer. "Wir fuhren schon umgezogen zum Training, trainierten dann in unseren Gruppen und duschten zuhause." Ein normales Training mit Zweikämpfen und Wettbewerb war lange undenkbar. Finanziell geht es den meisten Vereinen derzeit nicht gut, viele Spieler in der ersten und zweiten Bundesliga verzichteten deshalb auf einen Teil ihres Gehalts. So auch bei Holstein Kiel, sagt Eberwein.

Trotz der schwierigen Situation gab es für ihn positive Aspekte. "Das Training war individueller, man konnte besser an den eigenen Schwächen arbeiten", sagt Eberwein. Die Trainer seien kreativ und ließen sich viele abwechslungsreiche Trainingseinheiten einfallen. "Unser Athletiktrainer hat uns ab und zu lustige Beweglichkeitsaufgaben gestellt. Wer es geschafft hat und ein Video teilte, bekam immer eine Belohnung." In der Whatsapp-Gruppe des Teams wurden viele Späße gemacht. "Das war schon sehr unterhaltsam in der Zeit, in der jeder nur zuhause war", erzählt Eberwein schmunzelnd. Der Offensivspieler konnte die Zeit außerdem nutzen, um sich von einer Sprunggelenkverletzung zu erholen, die er sich Anfang März zugezogen hatte.

Fabian Lang, 30, ehemaliger Profiskater und Sportmarketing-Experte

Der ehemalige Profiskater weiß, wie es ist, wenn man mit Sport seinen Lebensunterhalt verdient. Über Jahre war er Profiskater, bei Skatecontests in aller Welt vertreten und stand für Sportmagazine vor der Kamera. Inzwischen arbeitet er hauptberuflich im Sportmarketing und betreut dort verschiedene Athleten, unter anderem Skater, Snowboarder, Skifahrer und Biker. Er weiß, was für Profisportler jetzt wichtig ist: die sportliche Routine und die Leistungsfähigkeit im Rahmen der Möglichkeiten aufrechtzuerhalten. Individualsportarten sieht er gerade klar im Vorteil. In Bayern dürfen viele von ihnen nun wieder ausgeübt werden - unter strengen Hygienevorschriften.

Auch der ehemalige Profiskater Fabian Lang darf seiner Sportart wieder nachgehen. (Foto: Marco Einfeldt)

Lang hat selbst eine Zeit lang von Filmdrehs, Marketingprojekten und Sportevents gelebt. Dass diese jetzt zum Großteil abgesagt wurden, führt zu hohen finanziellen Verlusten bei den Sportlern. Um das zu kompensieren, ist es aus seiner Sicht essenziell für die Athleten, selbst aktiv zu werden. "Die Sportler müssen sich neu erfinden und alternative Projekte entwickeln, die gerade realisierbar sind", erklärt der Marketingexperte. Lang sieht hier diejenigen im Vorteil, die digital affin sind und wissen, wie man trotz alledem seine Fans erreichen kann und für die Sponsoren lukrativ bleibt. "Dabei geht es gerade nicht darum zu zeigen, wer der Beste ist, sondern einen gewissen Unterhaltungswert zu schaffen und nahbar zu sein, um den eigenen Markenwert zu erhalten und nicht in Vergessenheit zu geraten."

Das gelte vor allem für alle Sommersportarten, für die vermutlich in der gesamten Saison keine großen Wettbewerbe mehr stattfinden werden - die mediale Aufmerksamkeit bleibt für die Athleten aus. "Mit diesen Sportlern erarbeiten wir gerade Konzepte, um über die sozialen Medien mit den Fans zu kommunizieren", erzählt der ehemalige Skater.

© SZ vom 11.05.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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