"Lieber Herr Piazolo, wir sind alle sehr traurig. Können Sie uns bitte eine Lehrerin geben? Sonst wird unsere Klasse aufgeteilt und wir sind alle so dicke Freunde." Lara Ninow schreibt in Schreibschrift und blauer Tinte an Kultusminister Michael Piazolo. Sie ist unglücklich, weil sie und ihre Freunde im nächsten Schuljahr auf Nachbarklassen verteilt werden sollen. Die Lehrer, die sie unterrichten müssten, gibt es aktuell nicht. Laras Klasse ist für den akuten Lehrernotstand eine Klasse zu viel.
Die Worte der Grundschülerin hängen einem offenen Brief an, den Eltern der Schule St. Lantbert in Lerchenfeld an Piazolo geschickt haben. Darin fordern sie den Kultusminister konkret dazu auf, dass den Kindern eine weitere Lehrkraft zugeteilt wird und somit keine Klasse in der dritten Jahrgangstufe eingespart werden muss.
Die Klasse 2b war in ihren ersten beiden Schuljahren eine Partnerklasse der Lebenshilfe und wurde im Bildungszentrum der Lebenshilfe an der Gartenstraße unterrichtet. Dafür mussten die Kinder regelmäßig "mit dem Bus quer durch die Stadt fahren", heißt es in dem Brandbrief. Das Modell sei insgesamt gut angekommen, weil die Schülerinnen und Schüler vom Unterricht mit Kindern mit Behinderung profitiert haben. Zum Schulhalbjahr sollten die Kinder dann aber zurück in das Haupthaus der Schule kommen, an der der Erweiterungsbau nun fertiggestellt sei. "Für die Kinder ist dies eine enorme Umstellung, da es für sie einem Schulwechsel gleichkommt", so die Eltern. Nun haben die Familien zusätzlich erfahren müssen, dass zwei Drittel der 20-köpfigen Klasse nicht im Hauptbau unterkommen, sondern in den dezentralen Pavillons, somit wird die Klasse getrennt. "Für die Kinder war der Gedanke an den Umzug erträglich, da sie sich darauf verlassen haben, dass sie als Klasse zusammenbleiben - so wie es ihnen fortlaufend versprochen wurde."
Durch die Zusammenlegung sind zukünftig in einer Klasse 28 Kinder
Die Grundschule St. Lantbert habe aktuell fünf zweite Klassen. Weil darunter auch eine Ganztags- und eine Kooperationsklasse ist, könnten die Kinder nur auf drei Klassen verteilt werden. Das habe laut Angaben der Eltern Klassengrößen von 28 Schülern zur Folge. Hinzu kommen neu zuziehende Schulkinder, besonders durch anliegende und bezugsfertige Bauprojekte. "In einer Klasse mit 28 Grundschülern ist an einen differenzierten, guten Unterricht wohl ebenfalls nicht zu denken. Gerade leistungsschwächere Kinder werden dann auf der Strecke bleiben", heißt es in dem Brief. Den Lehrkraftnotstand auf dem Rücken der Kinder auszutragen, sei nicht vertretbar und "eine wahre Katastrophe."
Die staatliche Schulamtsdirektorin Irmintraud Wienerl war am Montag für eine Stellungnahme nicht zu erreichen. Schulleiterin Juliane Dorfmüller habe aber alle Möglichkeiten abgewogen, es habe "einfach keine Alternativen" gegeben, sagt Kerstin Rehm, Kreisvorsitzende des Bayerischen Lehrer- und Lehrerinnenverbands. Das Schulamt, die Regierung und das Kultusministerium haben Vorgaben gemacht, an die sich Dorfmüller halten müsse. Eine Klassenstärke von 28 Schülern sei noch vertretbar, findet Rehm, wenn auch nicht optimal. Der akute Lehrermangel müsse durch diverse Maßnahmen kompensiert werden, Schul-AGs seien beispielsweise nicht mehr frei bestimmbar und Gruppen werden vergrößert, Förderstunden müssten ausfallen. Aktuell überlege man, die Stunden der Schülerinnen und Schüler zu reduzieren. "Wir können die Stundentafel der Kinder nicht mehr halten. Wenn wir keine Lehrkräfte haben und nie für Nachwuchs gesorgt wurde, dann ist das nicht zu leisten", sagt Rehm. Die Lehrkräfte, vorwiegend Frauen, könnten nicht noch mehr arbeiten.
"Wir haben keinen Lehrermangel mehr, wir haben Lehrernotstand."
Rehm kann sich vorstellen, dass das Kultusministerium den Forderungen der Eltern nachkomme und der Grundschule eine Lehrkraft zur Seite stelle. "Aber die fehlt dann wieder woanders. Wir stopfen ein Loch und reißen woanders eins auf. Wir haben keinen Lehrermangel mehr, wir haben Lehrernotstand." Mittlerweile, so Rehm, gebe es bereits Lehramt- oder Pädagogikstudierende aus dem vierten oder fünften Semester, die in die bayerischen Schulen eingegliedert werden, um die Not aufzufangen. Auch in Freising könne es in den kommenden Jahren Lehrende geben, die im Schnellverfahren ausgebildet werden und dann in Schulen unterrichten.
Das Lehramt für die Grund- und Mittelschule müsse besser bezahlt werden, findet Rehm. Denn die, die darunter leiden, seien am Ende die Kinder. Der Notstand könne nicht ausgesessen werden, es müsse einen "Paradigmenwechsel" geben und Rehm betont: "Der Blickwinkel muss wieder auf das Wesentliche gelenkt werden."