Zu wenig Hebammen im Landkreis:"Es funktioniert nicht"

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Mehr Geburten, steigende Versicherungssummen: Schon vor Corona war die Arbeit in der Geburtshilfe belastend, doch die Pandemie bringt neue Herausforderungen. Von Normalität ist derzeit nicht zu sprechen

Von Clara Wollmann, Freising

Draußen ist es bereits dunkel, doch im Elternhaus brennt Licht an diesem regnerischen Herbstabend. Zehn Hebammen aus dem gesamten Landkreis treffen sich hier zum "Qualitätszirkel". Trotz des Abstands zwischen den Stühlen herrscht reger Austausch, alle kennen sich. Sie alle sind als freiberufliche Hebammen im Landkreis tätig, das heißt, sie betreuen werdende Mütter in der Schwangerschaft und im Wochenbett oder bieten Kurse an, teilweise neben der Beschäftigung im Klinikum. Die Zusammenarbeit und Kommunikation untereinander ist wichtig für ihren Beruf, das zeigt sich immer wieder an diesem Abend.

"Wir geben unser Bestes, den Landkreis zu versorgen. Aber es funktioniert nicht", das ist der Konsens unter den Frauen. Dem Bayerischen Hebammenlandesverband sind derzeit 48 Hebammen gemeldet. Unter dem Strich reicht das jedoch kaum für den Bedarf, denn die Region ist bei jungen Familien beliebt, der Zuzug groß und die Geburtenrate liegt über dem deutschlandweiten Durchschnitt.

Jede Woche fünf Absagen

Mittlerweile ist es die Regel, dass eine Frau sich gleich nach einem positiven Schwangerschaftstest auf die Suche nach einer Hebamme macht. Denn jede Woche sagt eine Hebamme fünf Frauen ab. Angespannt sei die Situation schon immer gewesen, heißt es bei dem Treffen an diesem Abend. Es gebe einfach zu wenig Hebammen, besonders für die Wochenbettbetreuung, und das Problem verschärfe sich zunehmend. In den vergangenen Jahren seien einige Kolleginnen ganz in den Schichtdienst der Klinik gewechselt oder hätten gleich auf einen anderen Beruf umgesattelt, als neben der hohen Versicherungssumme noch die Verpflichtung der Krankenkassen hinzugekommen sei, einen umfangreichen Maßnahmenkatalog für die eigenen Anwendungen vorzuweisen. Für viele, die Mütter neben ihrem Klinikdienst betreuten, sei der Aufwand schlicht zu groß geworden.

Umgekehrt kommen nur wenige von unten nach: "Wir Hebammen haben Nachwuchsprobleme", sagt Petra Öttl, das Hebammensein sei kein "moderner Beruf". Nachts, an Wochenenden und Feiertagen zu arbeiten, sei heutzutage nicht selbstverständlich. Doch Geburten seien nun einmal nicht planbar, das gehöre zum Job. Freizeit, Familie und auch man selbst ziehe da oft den Kürzeren. Und das würden auch junge Menschen sehen, die sich für diesen Beruf interessieren - oder wieder von ihm Abstand nehmen.

Gegen den Beruf entschieden

Eine von ihnen ist die 19-jährige Nadia Rabenstein aus Freising. Sie erzählt, dass sie Hebamme werden wollte, seit sie elf Jahre alt war. Als sie eine Nachsorgehebamme begleitete, festigte sich ihr Wunsch. Doch nach einem Freiwilligen Sozialen Jahr in der Wöchnerinnenstation eines Klinikums außerhalb des Landkreises entschied sie sich dagegen: Zu negativ sei für sie das Arbeitsklima gewesen, der zeitliche Druck zu groß.

So ganz abgefunden hat sie sich mit der Entscheidung noch nicht, doch wenn sie ihre derzeitige Ausbildung zur Logopädin 2021 abgeschlossen hat, wird es wohl zu spät sein. Denn ohne Abitur kann sie Hebammenkunde nicht studieren, wie es von diesem Wintersemester an möglich ist. Durch die Akademisierung des Hebammenberufs erhofft man sich Vorteile, besonders eine wissenschaftliche Aufwertung und ein Nachziehen im internationalen Vergleich. Doch zunächst bedeutet das eine Verschärfung der Arbeitssituation der Geburtshilfe vor Ort.

Die Corona-Krise erfordert noch mehr Einsatz

Angespannt war die Situation im Landkreis Freising schon vor der Corona-Pandemie. Konkret bringt diese den meisten Hebammen nun noch mehr Arbeit. Der Grund sind Vertretungsdienste für Kolleginnen, die wegen der Betreuung eigener Kinder ausfallen, Kliniken, die Frauen schneller entlassen, und einige Mütter, die aus Angst vor Ansteckung und beschränkten Besuchszeiten früher nach Hause wollen. Das erfordert mehr Einsatz in der Nachsorge zuhause. Allgemein habe man zudem eine größere Unsicherheit verspürt, da viele Kurse ausfielen, berichten einige der Hebammen. Schnell mussten Alternativformate her wie Onlinekurse und telefonische Beratung, was eine zusätzliche Einarbeitung erforderte.

Dass die Krankenkassen jene in beinahe gleicher Höhe wie Präsenz-Formate vergüten, sei eine große Erleichterung gewesen. Organisiert habe sie der Hebammenverband. Die Frauen in der Runde loben, wie schnell der Verband auf die Sondersituation reagiert und sie mit Informationen auf dem Laufenden gehalten habe. Doch bei der Versorgung mit Schutzausrüstung und Desinfektionsmittel sei jede auf sich allein gestellt gewesen - und das bedeutete "Chaos wie überall".

Die Schutzanzüge selbst besorgt

Eine der Freisinger Hebammen nahm sich des Problems an und organisierte beim Katastrophenschutz für alle Kolleginnen im Landkreis Schutzanzüge und FFP2-Masken. Auch hier greift die gute Vernetzung vor Ort, wer weiß, was sonst passiert wäre. Mittlerweile zeigen sich Routinen, man wird schneller beim Desinfizieren jedes Werkzeugs, dem Wechseln der Tasche nach jedem Besuch. Der Arbeitsaufwand ist immer noch größer, von einer Normalität nicht zu sprechen.

Mechthild Hofner, Vorsitzende des Bayerischen Hebammenlandesverbands, pflichtet dem bei, doch so klar werde dies leider in der Politik nicht gesehen. Dass Hebammen, mit Ausnahme einiger, die auf Wochenstationen tätig sind, nicht im bayerischen Pflegebonus bedacht wurden, habe im Sommer für Unverständnis und Frust gesorgt. Die Hebammen wollten keine Sonderrolle, aber auch keine "Spaltung" des Gesundheitswesens durch den Bonus, alle darin tätigen Berufsgruppen seien derzeit besonders belastet.

Mit Blick auf den weiteren Pandemieverlauf fordert der Bayerische Hebammenlandesverband die Einstufung als systemrelevante Berufsgruppe sowie eine Aufstockung der Planstellen in der klinischen Geburtshilfe. Auch eine Aufnahme in die Krisenstäbe hält er für sinnvoll, um neue Maßnahmen unverzüglich in die Leistungsausführung einzuarbeiten und Vorgaben an die vor Ort Tätigen weitergeben zu können.

Wer macht die Arbeit, wenn nicht sie?

Den Hebammen in Landkreis geht es nicht in erster Linie um ihr eigenes gesundheitliches Risiko, größer ist die Sorge, sie könnten bei Hausbesuchen das Virus weitertragen. Oder in Quarantäne müssen und ausfallen, womöglich mit anderen Kolleginnen, neben denen sie im Kreißsaal standen. Denn wer macht ihre Arbeit, wenn nicht sie?

"Wir dürfen einfach nicht krank werden", lautet die Antwort der Freisinger Runde. "Seit Corona lebe ich wie im Kloster", sagt Petra Öttl, Auflachen unter den Frauen, sie nicken. Sie sind Frontliner, "warum sollen wir also nicht in den Genuss des Pflegebonus kommen?" Geld sei in Ordnung, auch damit zeige sich die Anerkennung für die Arbeit, die sie leisten. Niemand macht diesen Beruf wegen des großen Geldes, das ist klar. "Wir sind wirklich gerne Hebammen, mit Herzblut. Wir stecken da viel, viel Energie hinein", betonen die Frauen abschließend. "Aber um das langfristig zu machen, ist es jetzt dringend an der Zeit, dass auch politische Signale kommen. Bis jetzt sind die definitiv ungenügend."

© SZ vom 09.11.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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