Neues Zentrum für biogene Wertschöpfung:"So wie es jetzt ist, kann es nicht bleiben"

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Expertin für Aroma- und Geruchsforschung: Andrea Büttner, Leiterin des Fraunhofer-Instituts in Freising, hat mit einer Studie zu Giftstoffen in Plastikspielzeug für viel Aufmerksamkeit gesorgt. (Foto: Marco Einfeldt)

Das Fraunhofer-Institut in Freising beteiligt sich an einer Forschungsinitiative, die dazu beitragen könnte, das Wirtschaftssystem zu verändern. Für Institutsleiterin Andrea Büttner sind Regionalität und Nachhaltigkeit entscheidende Aspekte.

Von Petra Schnirch, Freising

Gemeinsam mit Partnern aus Wissenschaft und Industrie haben mehrere Fraunhofer-Institute, darunter die Einrichtung in Freising, ein "Zentrum für biogene Wertschöpfung und Smart Farming" gegründet. Ein etwas sperriger Begriff für eine Initiative, die das Ziel hat, mit Hilfe neuer Technologien Produkte aus nachhaltigen, regionalen Materialien zu entwickeln. Sowohl im Lebensmittel- als auch im Verpackungsbereich oder auch für technische Anwendungen und Konsumgüter.

Fünf Jahre sind für das Projekt vorerst angesetzt, 15,8 Millionen Euro stehen dem Freisinger Institut dafür zur Verfügung - für fünf bis zehn neue Stellen und das benötigte Instrumentarium. In dieser Zeit sollen Technologien und verschiedenste Produkte so weit vorangebracht werden, dass sie kurz vor der Marktreife stehen. Andrea Büttner, Leiterin des Fraunhofer-Instituts für Verfahrenstechnik und Verpackung (IVV) in Freising, hält das für durchaus realistisch, obwohl dies für ein solches Mammut-Vorhaben nicht allzu viel Zeit ist. Doch es sei bereits viel Basiswissen vorhanden, sagt sie. Auch in ihrem Haus in Freising.

Pflanzliche Lebensmittel sind gesünder und schonen die Ressourcen

Seit vielen Jahren forschen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler dort beispielsweise an umweltfreundlicheren, kreislauffähigen Verpackungen oder zu pflanzlichen Proteinen, etwa aus Lupinen oder Erbsen, um tierisches Eiweiß in Lebensmitteln ersetzen zu können. Entstanden sind unter anderem Eiscremes, Milch- und Käse-Alternativen, die in den Kühlregalen der Supermärkte bereits zu finden sind. Eine nachhaltige, gesunde Ernährung wird künftig verstärkt auf pflanzlichen Lebensmitteln basieren - auch um eine Diversifizierung der Rohstoffbasis bei zunehmenden Herausforderungen durch den Klimawandel zu erreichen, das betont Büttner bei Vorträgen und in Gesprächen immer wieder.

Gelernt habe man in den vergangenen Jahren, dass am Ende ein fertiges Produkt stehen muss. "Das ist der Knackpunkt", sagt Büttner. Grundlagen-Forschung allein reiche nicht aus. Das Interesse an innovativen Entwicklungen in der Lebensmittelindustrie wachse, auch durch den ökologischen und damit verbundenen öffentlichen Druck.

Die Landwirte sollen mitgenommen werden

Die neue Initiative - offizieller Startschuss war im Sommer 2022, los ging es aber eigentlich schon 2021 - ist sehr breit angelegt. Ein großes Thema ist die Wiedervernässung von Mooren, die viel CO₂ binden können. "Dass variantenreiche Ökosysteme wiederhergestellt werden müssen, ist eigentlich allen klar", sagt die Institutsleiterin. Die Frage sei, wie sich auch mehr Wertschöpfung für biobasierte Produkte generieren lasse. Denn die heimischen Landwirtinnen und Landwirte sollen mitgenommen werden auf diesem Weg. Gerade für kleinere Betriebe müssten dezentrale Lösungen gefunden, neue Einnahmequellen geschaffen werden, um das Höfesterben zu beenden, sagt Büttner. Sonst ist es um die Regionalität schlecht bestellt.

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Auch in der Nähe von Freising laufen Versuche mit Paludikulturen, mit Schilf. In der vergangenen Woche wurden die ersten Kulturen vom Feld geholt. Die Zerkleinerung und Trocknung ist laut Fraunhofer-Institut bereits erfolgt, ebenso die Aufbereitung der Fasern. Im nächsten Schritt wird das aufbereitete Material im Institutsteil des IVV in Dresden maschinell verarbeitet.

Profitieren könne man hier innerhalb der Initiative von Erfahrungen aus Mecklenburg-Vorpommern, wo das Material bereits regelmäßig geerntet wird, schildert Susann Vierbauch, zuständige Themenfeld-Managerin am Fraunhofer-Institut. Es sei Teil des Konzepts, vom Wissen anderer Einrichtungen zu profitieren. Vierbauch ist bei dem Gespräch in Büttners Büro per Video zugeschaltet. Ziel sind in diesem Fall Verpackungslösungen aus Pflanzenfasern.

Neue Materialien wie Schilf müssen erschlossen werden

Man dürfe dabei nicht nur auf Holz setzen. "Denn auch die Wälder stehen unter Druck", sagt Büttner. Man müsse den Anbau im Blick behalten, nicht nur das Endprodukt, um nicht "von einem Extrem ins andere" zu fallen. "Sonst sind die Bäume irgendwann weg." Das sei das Problem der Rohstoffe in der Vergangenheit gewesen. "Wir dürfen nicht nur ans Ernten und Konsumieren denken, sondern vor allem daran, Neues zu säen und in die Zukunft zu investieren"

In Freising liegt der Schwerpunkt innerhalb der Initiative im Bereich "biogene Wertstoffe". Dabei geht es darum, im Agrarsektor Anbau, Produktion und Verarbeitung von Rohstoffen mit einer engeren Verzahnung der einzelnen Schritte zu betrachten. Beispiel Getreide: Technologische Funktionalität und sensorische Eigenschaften würden schon auf dem Acker bestimmt, erklärt Andrea Büttner. Bisher ging es vor allem um Pflanzengesundheit, Aussehen und Menge. Es ließen sich aber auch schmackhafte Produkte entwickeln, wenn Erntegut nicht so schön aussieht. Worte wie "Reste" oder "Abfall" mag die Institutsleiterin nicht. Sie findet, dass darin eine "fehlende Wertschätzung zum Ausdruck" gebracht wird - oder schlichtweg noch die Innovationen fehlen, um Reststoffe nutzbar zu machen.

Spielzeug, das frei von Giftstoffen ist

Ein Thema, an dem Büttner selbst schon vor Jahren intensiv geforscht hat, sind Schadstoffe in importiertem Plastikspielzeug und Konsumgütern. Sie hätten mit großem Einsatz auf die Ergebnisse der Studie aufmerksam gemacht, doch es habe sich nichts geändert, sagt Büttner. "Die Giftstoffe sind immer noch da" - und das betreffe auch das Recycling. Ein Weg könnte beispielsweise sein, Holzfasern für Spielzeug aus heimischer Produktion durch verarbeitete Treber-Reste aus Brauereien zu ersetzen, schildert Vierbauch. Die seien frei von Chemikalien, lange Transportwege entfielen. Damit würden zugleich die regionalen Spielwarenhersteller unterstützt.

Allerdings reagiere die Industrie oft sehr langsam, wenn es darum geht, neue Produkte einzuführen. Eine Lösung seien deshalb für das IVV Start-ups und Spin-offs. Am Fraunhofer-Institut in Freising hat es laut Büttner innerhalb von 14 Jahren allein elf Ausgründungen, darunter die Prolupin GmbH und aktuell die Neggst Food GmbH, gegeben: Das heißt, Produkte werden durch die neu gegründeten Unternehmen selbst auf den Markt gebracht oder aber die Rohstoffe dafür hergestellt.

Weihenstephan könnte ein Ballungszentrum für biogene Wertschöpfung werden

Wichtig ist laut Büttner, dass politische, bürokratische und regulatorische Hürden abgebaut werden. Obwohl sie als Institutsleiterin in Freising und Inhaberin des Lehrstuhls für Aroma- und Geruchsforschung an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg bereits einen ziemlich vollen Terminkalender hat, sucht sie auch den Kontakt zu Politikern, um aufzuzeigen, wo es in der Praxis konkret hakt.

Am Ende steht für Andrea Büttner als Ziel eine Transformation des Wirtschaftssystems. "So wie es jetzt ist, kann es nicht bleiben", sagt sie. Deutschland müsse raus aus seinen Abhängigkeiten, ein größerer Teil der Gesellschaft sollte an der Wertschöpfung teilhaben. In Weihenstephan könnte im Sinne der Initiative ein Ballungszentrum für biogene Wertschöpfung entstehen, "es könnte ein Modell für die Zukunft sein", sagt Büttner. Voraussetzung sei, dass TU München, Hochschule Weihenstephan-Triesdorf, Fraunhofer-Institut, Leibniz und die beiden Landesanstalten "auf Augenhöhe" noch enger zusammenarbeiten.

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