Altersarmut im Landkreis:Jeden Cent umdrehen

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Symbolfoto: Wenn bei Senioren das Geld knapp ist, hat das oft Einsamkeit zur Folge. (Foto: dpa)

Auch im reichen Landkreis Freising nimmt die Zahl der Senioren zu, die mit ihrer Rente nicht mehr ihren Lebensunterhalt bestreiten und am sozialen Leben teilhaben können. Die Folge ist oft Einsamkeit.

Von Gudrun Regelein, Freising

Die Rente mit Minijobs aufbessern und bei der Tafel einkaufen: Für viele Senioren ist das bittere Realität, vielen langt die Rente nicht zum Leben. Laut dem aktuellen Bericht der Nationalen Armutskonferenz gilt bereits jetzt jeder fünfte Rentner als arm. Auch im eigentlich wohlhabenden Landkreis ist die Altersarmut ein immer größeres Thema.

"Gehen Sie einmal mit offenen Augen durch die Stadt, dann sehen Sie viele Rentner, die Flaschen sammeln, wegen des Pfands", sagt Heidi Kammler, Vorsitzende der Arbeiterwohlfahrt (Awo) in Freising. Armut im Alter habe aber noch eine andere Facette: die Einsamkeit. "Ich kenne viele Rentner, die jeden Cent umdrehen müssen und sich jede Ausgabe genau überlegen", berichtet Kammler. Ein Treffen im Caféhaus, ein Nachmittag im Schwimmbad oder der Besuch eines Konzertes seien nicht möglich. "Diese Menschen vereinsamen immer mehr." Bei der Awo gebe es beispielsweise einen Spielnachmittag für Senioren oder auch ein gemeinsames Mittagessen. Für viele sei das ein willkommene Möglichkeit, einmal rauszukommen und sich unterhalten zu können, sagt Kammler. "Aber viele Senioren können sich die Kosten von fünf Euro pro Essen sicher auch nicht leisten."

In München will das Sozialreferat nun mit zwei Projekten, für die es 2,6 Millionen Euro ausgibt, bedürftigen Senioren in der Stadt helfen. Streetworker sollen alte Menschen direkt auf der Straße ansprechen und ihnen Unterstützung anbieten, ebenso soll es kostenlose Mittagsmenüs geben. Eigentlich sei das eine gute Sache, sagt Beate Drobniak, Leiterin der Diakonie Freising. "Das lindert die erste Not." Andererseits findet sie es beschämend, dass überhaupt das Angebot eines kostenfreien Mittagessens notwendig ist. "Das ist die Generation, die den Aufbau geleistet hat", sagt Drobniak. Gerade für alte Menschen aber sei es oftmals sehr beschämend, Hilfe in Anspruch nehmen zu müssen. Die würden lieber hungern, als um Unterstützung zu bitten. Dennoch sei das Angebot eines kostenfreien Mittagessen auch für die Stadt Landkreis Freising überlegenswert, betont sie. "Auch hier gibt es immer mehr arme alte Menschen." Drobniak erzählt von einem ihrer Klienten, einem 84-jährigen Rentner. Er muss wegen Mietschulden aus seiner Wohnung ausziehen, nun droht ihm die Obdachlosigkeit - wahrscheinlich wird er in eine Notunterkunft umziehen müssen. "Das ist höchst unanständig: Menschen, die immer gearbeitet haben, können sich nichts mehr leisten, verlieren sogar die Wohnung", sagt Drobniak empört.

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Eine zunehmende Armut in der Gesellschaft - auch in der Mittelschicht - beobachtet Beate Drobniak, Leiterin der Diakonie Freising.

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Die Scham zur Tafel zu gehen ist für viele groß

Auch Heidi Kammler kennt viele Senioren, die unter Not leiden. Sie versucht, diese zur Tafel zu schicken, "aber viele möchten dort nicht einkaufen. Die Scham ist einfach zu groß". Unter den Kunden der Freisinger Tafel bilden die Rentner tatsächlich eine Minderheit - nur etwa ein Zehntel der Besucher sind Senioren. Tafelvorsitzender Peter Bach vermutet allerdings, dass es viele eigentlich bedürftige Rentner gibt, die die Unterstützung nicht in Anspruch nehmen wollen. Bach ist sich sicher, dass die Altersarmut zu einem immer größeren Thema werden wird: "Alleine schon wegen der vielen prekären Arbeitsverhältnisse, die wir im Landkreis haben." Zu den Kunden der Tafel zählten schon jetzt viele sogenannte Einkommensersatzbezieher, beispielsweise Hartz-IV-Empfänger. "All diese Menschen werden später von ihrer Rente sicher nicht leben können", befürchtet Peter Bach.

"Klar ist das für uns ein Thema", sagt Günter Miß, Leiter der Sozialen Dienste der Caritas Freising. Zwar könne etwa Grundsicherung im Alter oder auch Wohngeld beantragt werden - aber viele würden auf diese Unterstützung aus Scham verzichten. Laut dem Landratsamt beziehen derzeit 283 Menschen eine Grundsicherung im Alter - dazu kommen noch 219 Menschen, die eine Grundsicherung wegen Erwerbsminderung erhalten. Es seien gerade Frauen, die von Altersarmut betroffen sind, sagt Miß. Gründe dafür seien deren häufig brüchiges Erwerbsleben, die Pausen, die wegen der Kinder gemacht wurden - oder häufig auch die Beschäftigung im Niedriglohnsektor. "Armut im Alter ist im reichen Landkreis eine Realität."

Für Senioren sei eine spezielle Sozialarbeit notwendig, sagt Miß. Seit September gibt es deshalb bei der Caritas den neuen Fachdienst "Leben im Alter", der für alle alten Menschen gedacht ist. Es handle sich um eine aufsuchende Beratung, denn viele alten Menschen seien nur noch eingeschränkt mobil oder würden sich von sich aus keine Hilfe suchen. "Wir machen uns Gedanken", betont Miß. Auch in der Stadt ist das ein Thema: Seit Februar gibt es eine Seniorenbeauftragte, die sich speziell um die Anliegen alter Menschen kümmert.

© SZ vom 22.10.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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