SZ-Adventskalender:Und wieder neu Fuß fassen

Lesezeit: 3 min

Aus dem Krieg zurück: Nahida M. mit ihren beiden Söhnen und ihrem Mann Abdulwafe M. (Foto: Stephan Rumpf)

Familie M. floh vor den Taliban. Aber auch hier gibt es Schicksalsschläge - ein paar Möbel würden schon guttun.

Von Berthold Neff

An ihre Flucht aus Afghanistan kann sich Nahida M. nicht erinnern, wie auch: Sie war damals, im Herbst 1999, erst drei Monate alt. Die Familie flüchtete aus einer Heimat, die von Jahrzehnten des Krieges schwer gezeichnet war. Erst die Sowjets, dann die Mudschahedin, dann die Taliban. Nahidas Vater war Koch gewesen in der afghanischen Hauptstadt Kabul, sein Einkommen reichte gerade so für die pure Existenz, aber er sah sein Leben und das seiner jungen Familie bedroht. Über Iran und Griechenland schafften sie es nach Deutschland.

Nahida beendete die Mittelschule, ihr Traum war, eine Ausbildung zur Medizinischen Fachangestellten zu machen. Gescheitert ist das Vorhaben, so erzählt sie es dem Besucher bei einem Glas Tee in ihrer kleinen Wohnung in Ramersdorf, am Kopftuch, das sie nicht ablegen wollte, "weil es ein Zeichen meines Glaubens ist". Und wie das dann so ist im Leben, kam der Gedanke an eine Heirat auf, die Familie hatte schon einen Ehemann parat, der noch in Afghanistan lebte.

Also zog sie zu ihm, 2017 war das, die von den USA angeführte Nato-Allianz war damals noch im Land. Sehr vielen Menschen war noch nicht klar, dass letzten Endes die Taliban siegen würden und die West-Allianz das Land schneller als gedacht verlassen sollte. Der jungen Familie ging es in Kabul anfangs einigermaßen gut, sie lebte bei den Schwiegereltern, räumlich beengt zwar, aber glücklich. Ihr Mann Abdulwafe, elf Jahre älter als sie, arbeitete als Tierpfleger auf einer Kuhfarm vor den Toren der Stadt. Sie übersetzt, was ihr Mann über diese Zeit sagt: "Es war eine gute Arbeit, es ging uns gut." Ihre beiden Buben kamen zur Welt, alles schien in Ordnung zu sein.

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Dann aber schwand der Widerstand der afghanischen Regierungsarmee, die westliche Allianz zog sich im Herbst 2021 überstürzt zurück, und Nahida sah sich und ihre beiden Buben, alle drei mit deutscher Staatsangehörigkeit, in großer Gefahr. Sie beschloss, das Land zu verlassen. "Ich musste mich schnell entscheiden."

Der Entschluss fiel ihr schwer, sehr schwer. Es war ihr klar, das sagte man ihr auch bei einem Anruf in der Münchner Ausländerbehörde, dass ihr Mann nicht mit dürfe. Aber er habe es gefasst aufgenommen und gesagt: "Die Kinder sind wichtiger." Als die letzten Transportflugzeuge Kabul bereits verlassen hatten, saß Nahida immer noch in der kleinen Wohnung versteckt und wartete auf den rettenden Anruf aus München. Am 22. November 2021 kam die Nachricht aus dem Kreisverwaltungsreferat, sie solle zum Flughafen kommen. Es gelang ihr tatsächlich, in ein Flugzeug zu kommen, das sie und die Kinder nach Katar brachte. Sechs Tage später war sie wieder in München, das sie vier Jahre zuvor mit großen Hoffnungen verlassen hatte.

Der Abschied von ihrem Mann sei "extrem schwer" gewesen, wie sie heute erzählt, "weil ja niemand wusste, ob und wann wir uns wiedersehen". Es dauerte dann ein halbes Jahr, bis ein Lebenszeichen von ihm sie erreichte. "Ich wusste, es ging um sein Leben." Mehr als anderthalb Jahre später schaffte es auch ihr Mann, Afghanistan zu verlassen, in diesem Sommer erreichte er München.

Und nun, da er die nötige Bescheinigung von der Ausländerbehörde erhalten hat, büffelt er vormittags Deutsch am Sendlinger-Tor-Platz. Er will so schnell wie möglich Deutsch lernen. Es wird seine dritte Sprache sein, denn in der großen Familie sprach man sowohl Farsi, also Persisch, als auch Paschtu, also Afghanisch.

Der Anfang bei der Rückkehr nach München war schwer. Zunächst kamen sie bei Nahidas Familie unter, doch dort hatte eine Tragödie begonnen. Ihre Schwester, Krankenschwester am Rechts der Isar und Mutter von drei Kindern, war an Lungenkrebs erkrankt. Die Chemotherapie schlug nicht an, und auch die Immuntherapie wirkt nicht so, dass die Ärzte Zuversicht verbreiten können.

Nahida muss sich also, so gut es eben geht, um die Kinder ihrer Schwester kümmern. Und sie versucht, ihre beiden Buben zu unterstützen, die sich im Kindergarten mit Deutsch noch etwas schwertun. Es wird noch Zeit benötigen, bis die Familie nach all diesen Schicksalsschlägen zur Ruhe kommt. Aber wenn sie ihre karg möblierte Wohnung gemütlicher einrichten könnte, wenn noch Geld übrig bliebe für eine kleine Auszeit, wäre schon viel geholfen.

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