Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte:Löwen-Fans verklagen Deutschland

Lesezeit: 2 Min.

Am Gründwalder Stadion sind die Sicherheitsvorkehrungen oft etwas härter. (Foto: Alessandra Schellnegger)
  • Nach einem Fußballspiel im Dezember 2009 prügelten Polizeieinheiten wahllos auf eine Menge von Fans ein.
  • Zwei der Opfer erhoben Klage, die Staatsanwaltschaft stellte die Ermittlungen jedoch ein.
  • Nun ziehen sie vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte.

Von Susi Wimmer

Die Fans des TSV 1860 müssen bekanntermaßen leidensfähig sein, was aber ihre Kampfeslust keineswegs schmälert: Zwei Anhänger der Löwen haben Deutschland vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte verklagt. Sie seien bei einem Spiel 2007 im Grünwalder Stadion von Polizisten misshandelt worden, Polizei und Justiz hätten zu wenig getan, um die Täter zu ermitteln.

Gleichwohl bezieht sich die Klage auch darauf, dass die Beamten der geschlossenen Einheiten in München nicht individuell gekennzeichnet und in ihren schwarzen Einsatzanzügen samt Helm und geschlossenem Visier nicht identifizierbar seien. "Es geht bei der Sache nicht ums Geld", sagt Marco Noli, der Anwalt der Fans. "Es geht um Gerechtigkeit."

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Worum es genau geht

Der ganze Fall geht zurück auf ein Spiel der Löwen am 9. Dezember 2007 in München. Nach dem Spiel hatte die Polizei eine Blocksperre verhängt, um die rivalisierenden Fans zu trennen. Als die Sperre aufgehoben wurde, strömten Hunderte Fans aus dem Stadion.

Im Umgriff der Arena stürmten plötzlich schwarz-gekleidete Einheiten mit Schlagstöcken auf die Fans zu, darunter auch Frauen und Kinder, und prügelten wahllos auf die Menge ein. Einem Fan wurde mit dem Spezial-Schlagstock auf den Kopf geschlagen, er erlitt eine Platzwunde. Einem anderen Fan wurde aus kürzester Entfernung Pfefferspray ins Gesicht gesprüht. Der Mann ging zu Boden, wurde von dem Beamten mit dem Schlagstock auf den Arm geschlagen. So gaben es die Opfer bei der Polizei zu Protokoll.

Die beiden Fans des TSV 1860 erhoben Klage, doch laut Anwalt Marco Noli zeigte sich die Polizei wenig aufklärungsfreudig. Es ermittelten die internen Ermittler, ein Kommissariat, das damals dem Polizeipräsidium München unterstellt war. Die Internen vernahmen 20 Zeugen, darunter nur drei Polizisten. Die Staatsanwaltschaft München I stellte das Verfahren ein. Es sei geprügelt worden, aber man könne nicht feststellen, wer es gewesen sei. Vermutlich waren es Männer aus dem III. Einsatzzug des USK, aber da alle einheitlich gekleidet und nicht identifizierbar seien, könne man keine verantwortliche Person ermitteln, teilte die Staatsanwaltschaft mit.

Was seltsam verlaufen ist

Anwalt Noli legte Beschwerde ein und verlangte, die Beamten der USK-Einheit zu vernehmen. Was folgte, war ein Treffen im Münchner Präsidium, bei dem unter anderem der Chef des III. Einsatzzuges sowie der Leiter der internen Ermittler anwesend waren. Was besprochen wurde, erfuhr der Anwalt nicht. Laut Noli seien anschließend lediglich Gruppen- und Zugführer der anwesenden Einheiten von den Ermittlern befragt worden. Nicht aber die Beamten, die für den Vorfall als Täter oder Augenzeugen in Betracht kämen.

Und dann war da noch die Sache mit dem Video. Die Bereitschaftspolizei Dachau hatte den Einsatz gefilmt, ebenso das USK. Doch plötzlich waren alle Originalaufnahmen verschwunden. Wer sie gelöscht hatte, war auch nicht mehr nachzuvollziehen. Was blieb, war eine Sequenz, in der USK-Beamte auf eine Fanmenge zustürmen, im entscheidenden Augenblick dann setzt die Kamera aus. Auch ein zweites Ermittlungsverfahren führte zu nichts, die Generalstaatsanwaltschaft München wies die Beschwerde der beiden Fans ab. Die gingen bis vor das Bundesverfassungsgericht, doch das wies die Klage im März 2015 zurück. Es mag Lücken gegeben haben, räumte das Gericht ein, aber ein Verstoß gegen die Verfassung sei nicht erkennbar.

Jetzt kümmert sich also der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg. Erst im April diesen Jahres hatte das Gericht einem 62-jährigen Italiener 45 000 Euro Schadensersatz zugesprochen, der am Ende des G-8-Gipfels 2001 in Genua von Polizisten geprügelt worden war, so dass er mehrere Knochenbrüche hatte. Das gilt als Folter. Das Gericht kritisierte, dass die nicht identifizierbaren Schläger nie zur Rechenschaft gezogen werden konnten. Schon früher hatte das Gericht festgestellt, dass eine Kennzeichnungspflicht bei vermummten Polizeikräften unerlässlich sei.

Wie es den 60er-Fans vor dem Gericht ergehen wird, das wird sich wohl erst in den nächsten drei bis vier Jahren herausstellen.

© SZ vom 28.10.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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