SZ-Tatortserie:Keine Leiche, kein Tatort und trotzdem lebenslang

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Irgendwo in Bozen muss der Mord passiert sein. Nach einem letzten Anruf verliert sich hier die Spur des Opfers. (Foto: Wikimedia Commons (Bearbeitung: SZ))

2001 verschwindet die Lebensgefährtin von Klaus B. spurlos. Nach einem Indizien­prozess ist das Gericht überzeugt, dass er sie ermordet hat. Dass vieles ungeklärt bleibt, sei "nicht von maßgeblicher Bedeutung".

Von Florian Tempel

Ein Mord ohne Leiche und ohne Tatort, kann das zu einer Verurteilung führen? Wäre das denn nicht ein perfektes Verbrechen, an dem sich die Justiz die Zähne ausbeißen muss? Wie soll denn der Tatnachweis gelingen, wenn der Staatsanwalt nichts dazu sagen kann, wo und wie das spurlos verschwundene Opfer umgebracht wurde? Und selbst wenn er das schafft, wie kann er anschließend erklären, dass ausnahmslos der Angeklagte als Täter in Frage kommen sollte? Ja, es ist äußerst schwierig, aber nicht unmöglich, wie der Prozess gegen den Erdinger Klaus B. zeigt.

Der damals 63-Jährige wurde 2007 wegen Mordes an seiner Lebensgefährtin Ingeborg L. zu lebenslanger Haft verurteilt, sechs Jahre, nachdem die wohlhabende Österreicherin in Bozen verschwunden war, wie vom Boden verschluckt. Mit einer akribisch zusammengefädelten Indizienkette überzeugte Staatsanwalt Peter Pöhlmann das Landshuter Schwurgericht, das den Prozess zunächst als so aussichtslos eingeschätzt hatte, dass es die Anklage gar nicht zulassen wollte - worauf Pöhlmann mit einer Beschwerde beim Oberlandesgericht die Hauptverhandlung doch durchsetzte.

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Die Anklageschrift war gerade mal drei Zeilen lang, kürzer geht es in einem Mordprozess kaum. Darüberhinaus war sie auch ziemlich vage formuliert: Klaus B. habe "Ingeborg L. vermutlich am 31. Mai 2001 in Bozen auf unbekannte Art und Weise getötet". Nur beim Motiv stand Klartext: Der Angeklagte habe seine wohlhabende Lebensgefährtin, die sich einige Zeit zuvor von ihm getrennt hatte, aus Habgier ermordet, "um weiterhin in den Genuss ihres Vermögens zu kommen".

Noch vor Beginn des Prozesses war eine weitere, unheimliche Geschichte bekannt geworden. 32 Jahre vor Ingeborg L. war die erste Ehefrau von Klaus B. ebenfalls plötzlich verschwunden. Die Leiche der 22-jährigen Hildegard B., die seit 1969 vermisst war, wurde dann aber 1972 von einem Pilzsammler in einem Waldstück bei Grünbach entdeckt. Rechtsmediziner stellten fest, dass sie eines gewaltsamen Todes gestorben war. Es fanden sich aber keine Hinweise, dass Klaus B. etwas mit ihrem Tod zu tun hatte. Im Nachhinein fielen jedoch unheimliche Parallelen zwischen den beiden Fällen auf: Klaus B. hatte von sich aus keine Vermisstenanzeigen aufgegeben und er behauptete, dass die Frauen ihn verlassen hätten und untergetaucht seien.

Nachdem er zwischenzeitlich wieder verheiratet, geschieden und als selbständiger Geschäftsmann pleite gegangen war, lebte Klaus B. mehrere Jahre lang mit Ingeborg L. in Südtirol zusammen. Sie führte eine Partnervermittlung in Meran und kaufte immer wieder Wohnungen, die dann Klaus B. mit handwerklichem Geschick renovierte, sodass sie sich mit Gewinn wieder verkaufen ließen. Klaus B. war über die Jahre finanziell komplett abhängig von Ingeborg L., was für ihn so lange keine Problem darstellte, wie sie ein Paar waren.

Eine Zeugin berichtete im Prozess, dass Ingeborg L. die Beziehung zum Angeklagten jedoch im Januar 2001 beendete, weil er ein Verhältnis mit einer anderen Frau hatte. Sie schmiss ihn raus und drehte ihm den Geldhahn ab. Klaus B. musste zuletzt in einer unrenovierten Wohnung in einem von ihr gekauften Mietshaus in Bozen hausen. Seine Bemühungen um eine Versöhnung brachten nichts, die Trennung war endgültig.

Das letzte Lebenszeichen von Ingeborg L. war ein kurzer Anruf bei einer Freundin am Nachmittag des 31. Mai 2001. "Sie war sehr aufgeregt, sehr verängstig", erinnerte sich die Zeugin, und danach war sie spurlos weg.

Und was tat Klaus B.? Vom Tag ihres Verschwindens an benutzte er ihr Handy, fuhr mit ihrem Auto, vermietete ihre Wohnungen und kassierte dafür hohe Mietvorauszahlungen. Eine Vermisstenanzeige gab er nicht auf. Als Bekannte ihn fragten, wo Ingeborg L. sei, behauptete er, sie habe sich ins Ausland abgesetzt, vermutlich in die Türkei.

Die Ermittler nahmen ihm das nicht ab. Aus der Wohnung von Ingeborg L. fehlten zwar Kleidung, Schuhe und Koffer. Doch wesentliche Dinge lagen noch an ihrem Platz: Ihr Reisepass zum Beispiel und andere Unterlagen. Nach übereinstimmender Einschätzung von Bekannten war Ingeborg L. eine stets pünktliche und sehr korrekte Frau. Es passte nicht ins Bild, dass sie von heute auf morgen abgetaucht sein sollte, ohne vorher ihre Angelegenheiten geordnet zu haben. Gegen ein Absetzen ins Ausland sprach auch, dass auf ihren gut gefüllten Bankkonten keinerlei Bewegungen mehr stattfanden.

Der Angeklagte Klaus B. hielt es nach mehreren Verhandlungstagen, in denen er eisern geschwiegen hatte, nicht mehr aus und begann zu reden. Das war nicht zu seinem Vorteil. Er beteuerte nicht etwa seine Unschuld, sondern versuchte mit Gegenargumenten die gegen ihn sprechenden Indizien zu entkräften und lamentierte, das seien doch alles keine Beweise.

Keine Leiche, kein Tatort - und trotzdem gab es lebenslang. Mit einem brillanten Plädoyer hat Staatsanwalt Pöhlmann dasselbe Gericht, das die Anklage nicht zulassen wollte, doch noch restlos überzeugt. In der Urteilsverkündung sagte der Vorsitzende Richter Werner Loher, dass die Indizien eine klares Bild ergäben, in dem "ein Mosaiksteinchen zum anderen passt": Ingeborg L. sei zweifelsfrei tot. Die Möglichkeit, sie sei untergetaucht, sei gänzlich abwegig. Sie hätte eine Menge Barvermögen und Immobilien im Wert von über 1,5 Millionen Euro zurückgelassen, "das ist schlicht nicht vorstellbar". Zweifelsfrei sei auch, dass sie eines gewaltsamen Todes gestorben war, weil ihre Leiche offensichtlich versteckt wurde. "Wie er sie getötet hat, bliebt sein Geheimnis", sagte Richter Loher, "das Fragezeichen bleibt, es ist aber nicht von maßgeblicher Bedeutung."

© SZ vom 03.09.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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