Tierheime in Bayern:"Wir sind sehr voll, übervoll"

Lesezeit: 4 min

"Knödel" wird das Schwein von den Mitarbeitern am Gnadenhof in Kirchasch liebevoll genannt. Das zutrauliche Tier wartet auf die Vermittlung an einen neuen Besitzer, nachdem die alte Besitzerin verstorben ist. (Foto: Stephan Görlich)

Die Tierheime geraten in diesem Sommer an ihre Grenzen. Energie, Futter und Tierarztbesuche, alles wird teurer. Und dann sind da noch die vielen Tiere, die während der Corona-Krise gekauft und nun wieder abgegeben wurden.

Von Niklas Behnke, Erding/Freising

Viele Tierheime geraten in diesem Sommer an ihre Grenzen. Zum einen sind da steigende Kosten: Energie, Futter und Tierarztbesuche werden teurer. Zum anderen ist die Zahl der Tiere, die einen Platz benötigen, nach wie vor extrem hoch. Als dritte Herausforderung kommen fehlende Einnahmen hinzu. Ein Blick auf die Situation der Tierheime in den Landkreisen Erding und Freising sowie des Gnadenhofs in Kirchasch zeigt, dass die Probleme immer größer werden.

70 bis 80 Tiere befinden sich aktuell im Freisinger Tierheim. Ähnlich sieht es in Erding aus, wo weitere Tiere in einer Außen-Pflegestelle untergebracht sind. "Wir sind sehr voll, übervoll", sagt Solveig Wanninger, zweite Vorsitzender des Erdinger Tierheims. Joseph Popp, Vorsitzender der Freisinger Einrichtung, kann dies bestätigen. Man habe sogar 30 Hunde in den vergangenen sechs Wochen ablehnen müssen, sagt er. Auch auf dem Gnadenhof in Kirchasch "sind die Plätze voll", weiß Kristina Berchtold, Pressesprecherin des Münchner Tierschutzvereins, welcher den Gnadenhof betreibt. Etwa 145 Tiere befinden sich dort, viele davon über einen längeren Zeitraum. Sie sind meist schwer vermittelbar, andere werden aufgrund des Stadtstresses in München nach Kirchasch verlegt.

Joseph Popp macht das Vorstandsamt ehrenamtlich, wie so viele weitere im Verein. Doch er bekommt zu spüren: "Alle Vereine leiden unter fehlenden Ehrenamtlichen", auch das Tierheim ist davon betroffen. (Foto: Marco Einfeldt)
Den Großteil der Tiere in Erding und Freising machen Katzen aus. Im Bild ist die schwarze Katze Mimi zu sehen, die in Erding untergebracht ist. (Foto: Stephan Görlich)
Die Vermittlung der Ziegen an neue Besitzer gestaltet sich schwierig, da diese krank sind. Neben 47 Ziegen und Schafen befinden sich 50 Katzen, 15 Hunde, fünf Schweine und 25 Hühner auf dem Gnadenhof in Kirchasch. (Foto: Stephan Görlich)

Laut Solveig Wanninger gibt es im Erdinger Tierheim "überwiegend Fundtiere". Dazu kommen abgegebene Tiere. Auch in Freising mache der Fundtier-Anteil über 50 Prozent aus, erklärt Joseph Popp. Manche werden in Gärten gefunden, andere auf Höfen, einige sind angefahren worden. Oft sind die Tiere in einem schlechten gesundheitlichen Zustand und müssen ärztlich behandelt werden. Sehr unterschiedlich sind auch die Motive, warum Tiere abgegeben werden. Teilweise werde der nötige Aufwand unterschätzt, bei anderen Besitzern fehle das Geld oder der Vermieter sei gegen den neuen Mitbewohner. Kristina Berchtold erzählt, dass es zwar nichts Neues ist, dass Menschen Tiere abgeben, weil sie sich im Vorfeld nicht ausreichend informiert haben. Doch "durch Corona hat sich das nochmal verschärft".

Newsletter abonnieren
:SZ Gerne draußen!

Land und Leute rund um München erkunden: Jeden Donnerstag mit den besten Freizeittipps fürs Wochenende. Kostenlos anmelden.

Deshalb werden Interessenten, die einen Schützling aufnehmen möchten, genau geprüft. "Leute, die Tiere wollen, gibt's genug", stellt Popp fest, aber nicht jeder sei dafür geeignet. Eine Freigänger-Katze werde nicht in die direkte Nähe einer Bundesstraße vermittelt, erklärt Solveig Wanninger. Ein weiteres Problem sei, dass manche Tiere von ihren ehemaligen Besitzern nicht richtig erzogen wurden und deshalb erst nach längerem Aufenthalt im Tierheim und auch dann manchmal nur schwer zu vermitteln seien. Für einen Großteil der Tiere auf dem Gnadenhof in Kirchasch trifft Letzteres zu. 2021 konnte nur für 16 Tiere ein neues Zuhause gefunden werden. Zum Vergleich: Im Freisinger Tierheim sind es über 500 pro Jahr.

"Finanziell machen wir uns massive Sorgen"

Um die große Menge an Tieren unterbringen zu können, werden die die Erdinger und Freisinger Tierheime derzeit erweitert. In Erding wurde das Herrenklo "zum Fundtierzimmer umfunktioniert". Zudem ist ein neuer Kaninchenstall fertiggestellt worden. In Freising werden vier weitere Hundezwinger und -Ausläufe sowie eine neue Quarantänestation gebaut. Joseph Popp rechnet damit, dass auch dieser Platz nach einem Monat belegt sein könnte, doch für weitere Kapazitäten bräuchte der Verein mehr Geld und da liege das Hauptproblem. "Finanziell machen wir uns massive Sorgen", schildert er. Zum einen habe sie "die Pandemie böse erwischt": Die Kosten seien aufgrund benötigter Tests und Desinfektionsmittel gestiegen. Gleichzeitig sei die Möglichkeit, über Veranstaltungen wie Weihnachtsmärkte Spenden zu gewinnen, weggefallen. Zum anderen gingen die Kosten des Tierheims nach oben. Auch die Löhne werden angepasst - "tagtäglich muss jemand da sein", erklärt Popp.

Aus diesen Gründen rechnet er bis Ende des Jahres mit 35 Prozent Mehrkosten. Auch in Kirchasch merkt man einen Rückgang bei Dauerspenden und Tierschutzverein-Mitgliedschaften. In Erding habe man durch die Pandemie zwar keinen Spendenrückgang erlebt, doch durch die Folgen des Ukraine-Kriegs könnte sich das zukünftig ändern, meint Solveig Wanninger. Spenden sind die Haupteinnahmequelle des Tierheims. Joseph Popp ist besorgt: "Wenn ich nicht 140.000 Euro Spenden im Jahr bekomme, muss ich das Tierheim schließen."

Mit Hackschnitzeln soll der neue Kleintierkäfig gefüllt werden. In den Bau wurde ein Monatsbudget des Tierschutzvereins investiert. "Jetzt muss man wieder sparen", sagt Solveig Wanninger. (Foto: Stephan Görlich)
In Freising soll eine neue Quarantänestation gebaut werden, in der auch Tiere mit unklarem Impfstatus beherbergt werden können. Abgebildet ist eine bisherige Quarantänestation für Katzen. (Foto: Marco Einfeldt)

Neben Spendengeldern erhalten Tierheime Aufwandsentschädigungen von Gemeinden und Städten im Gegenzug für die Aufnahme und Pflege von Fundtieren. Die Verträge müssen die Tierheime selbst verhandeln. So bekommt die Erdinger Einrichtung von den 24 Gemeinden und zwei Städten des Landkreises 80 Cent pro Einwohner im Jahr. Mehr Geld wäre laut Solveig Wanninger jedoch notwendig, um den Kostenaufwand zu decken. In Freising erhält man ebenfalls 80 Cent im Durchschnitt, auch wenn hier der Pro-Kopf-Betrag nach Gemeindegröße gestaffelt wird. Wegen steigender Betriebskosten hat das Tierheim bereits neue Verträge für das Jahr 2023 beantragt.

Der Tierschutzverein München ist froh, dass er zusätzlich 25.000 Euro Förderung von der Stadt München bekommt. Abgegebene Tiere umfasst die Aufwandsentschädigung allerdings nicht. Zwar wird eine Gebühr für die Abgabe und Aufnahme verlangt, doch damit ließen sich die Kosten nicht decken, sagt Kristina Berchtold. Eine Erhöhung der Abgabegebühren könnte jedoch zu einem höheren Risiko führen, dass Tiere ausgesetzt werden - eine Steigerung der Vermittlungsgebühren dazu, dass mehr über unseriöse Wege gekauft würden.

Um das Finanzierungsproblem zu lösen, fordert Joseph Popp eine klare politische Zuständigkeit. Schließlich arbeiteten Tierheime "im öffentlichen Interesse". Kristina Berchtold stimmt dem zu. Bei Abgabetieren wisse man nicht, an wen man sich wenden solle. Außerdem wünscht sie sich mehr Förderung und staatliche Regulierung. "Dass man für Tiere einen Nachweis erbringen muss" und sich nicht so einfach einen Hund kaufen könne, ist eine ihrer Ideen. Des Weiteren könnte eine Kastrationspflicht für Freigänger-Katzen die Population verringern. Wildlebenden Katzen gehe es häufig gesundheitlich nicht gut. Eine Registrierungspflicht könnte ferner bewirken, dass verlorene Katzen häufiger und schneller wiedergefunden werden.

"Ein Hund ist keine Pflicht für eine Familie mit Kindern"

Auch Solveig Wanninger empfiehlt Tierhaltern, dass sie ihre Tiere kastrieren und chippen lassen. Der Chip müsse dann bei einer Suchplattform wie "Tasso" registriert werden. Menschen sollten sich zudem über den Aufwand einer Tierhaltung im Klaren sein. Auch Joseph Popp betont: "Ein Hund ist keine Pflicht für eine Familie mit Kindern."

Dass Menschen vom Aufwand im Nachhinein überrascht sind, "passiert weniger, wenn man sich in einem seriösen Tierheim beraten lässt", meint Berchtold. Abseits vom eigenen Haustier könne man durch Geld-, Sach- und Futterspenden helfen. Ferner könne man Mitglied im Tierschutzverein werden oder ehrenamtlich mit anpacken. Auch für das Streicheln von Katzen würden immer wieder Leute gesucht, wirbt Solveig Wanninger. Schließlich bräuchten Katzen nicht nur einen Schlafplatz und Essen, sondern auch viel Zuneigung.

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

SZ PlusAndrea Sawatzki
:"Man strandet auf dem Höhepunkt der Karriere"

Die Schauspielerin und Autorin hat keine Lust mehr, sich zurückzuhalten. In ihrem Schaffen widmet sie sich verstärkt Tabuthemen. Ein Gespräch über Altersdiskriminierung, Bodyshaming und ihre tragische Jugend in Bayern.

Interview von Bernhard Blöchl

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: