Antisemitisches Flugblatt:Allgemeines Entsetzen und der Ruf nach Aufklärung

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Hubert Aiwanger bei der Demo in Erding im Juni. (Foto: Stephan Görlich)

An der Basis der Freien Wähler im Landkreis Erding sieht man die Causa Aiwanger durchaus differenziert. Manche wähnen in der Berichterstattung eine "Hetzkampagne", andere nehmen die Presse in Schutz. Eines wollen alle: dass keine "Nebellöcher" bleiben.

Von Florian Tempel, Erding

Die Freien Wähler im Landkreis Erding bewerten die Causa Aiwanger differenziert. Nur in einem sind sich jedoch alle einig: Sie sind entsetzt und hoffen auf weitere Aufklärung. Die einen kritisieren allerdings vor allem die Süddeutsche Zeitung, die als Erste über das antisemitische Flugblatt berichtet hat, das vor 35 Jahren auf einer Aiwangerschen Schreibmaschine verfasst und vom damals 17-jährigen Schüler Hubert in der Schule mitgeführt wurde. Andere nehmen die SZ explizit vor Kritik in Schutz.

"Ich bin sehr enttäuscht von der Berichterstattung der Süddeutschen Zeitung."

Sven Krage ist Dritter Bürgermeister in Dorfen und Direktkandidat der Freien Wähler bei der Landtagswahl am 8. Oktober. Er betont zwei für ihn zentrale Dinge gleich zu Beginn des Gesprächs: "Ich stehe nach wie vor voll hinter Hubert Aiwanger" und "ich bin sehr enttäuscht von der Berichterstattung der Süddeutschen Zeitung". In einem Interview des Erdinger Anzeigers hat Krage von einer "Hetzkampagne" gesprochen. Es gehe erkennbar darum, einem "erfolgreichen Politiker" kurz vor der Wahl zu schaden. Das sähen in seinem Umfeld viele so.

"Das ist so lange her, und dass es jetzt rausgekramt wird, kommt bei der Bevölkerung gar nicht gut an." Seiner Ansicht nach habe die SZ zudem schlecht recherchiert, da sich ja mittlerweile Hubert Aiwangers Bruder Helmut als Verfasser des Pamphlets geoutet habe. Dass Hubert Aiwanger nur zögerlich zu der Sache Stellung bezogen hat, könne er nachvollziehen. "Er reagiert aus meiner Sicht richtig, ich würde ohne meinen Anwalt auch nichts sagen." Gleichwohl wünscht sich Krage nun "lückenlose Aufklärung".

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Petra Bauernfeind, Zweite Bürgermeisterin von Erding und Journalistin von Beruf, sieht die Sache ganz anders. "Was den Zeitpunkt angeht, da kann man den Medien keinen Vorwurf machen. Es ist Journalistenpflicht, das zu veröffentlichen, wenn man diese Infos bekommt." Dass bald Landtagswahl ist, spiele keine Rolle. Ganz im Gegenteil, sagt Bauernfeind, es wäre falsch, wenn man die Geschichte bis nach der Wahl zurückgehalten hätte. Sie ist "froh", dass Hubert Aiwanger sich bereits sehr deutlich vom Inhalt des Flugblatts distanziert hat. Doch das könne nur der Anfang sein, fordert Bauernfeind. "Er muss ganz klar und glaubwürdig sagen, dass er AfD-Ideen und alles Nationalsozialistische ablehnt - das erwarte ich von ihm." Denn Bauernfeind stört auch, "dass manche sehr lapidar damit umgehen, dass er damals 17 Jahre alt war und dass man das Flugblatt als dummen Jungenstreich abtut."

Der Erdinger Rainer Mehringer ist weiterer stellvertretender Landrat und hat zu Hubert Aiwanger seit vielen Jahren direkten Kontakt. Er habe bei ihm nie irgendwelche rechtsradikalen Tendenzen erkennen können. Dass Aiwanger nun im Zusammenhang mit einem so entsetzlichen Flugblatt stehe, "dieser gesamte Vorgang ist für mich als Freier Wähler sehr belastend", sagt Mehringer. "Das ist nichts, was man auf die leichte Schulter nehmen kann." Da noch viele Details offen seien, erwarte er vor allem "von seiner Seite eine transparente und vollumfängliche Aufklärung". Der SZ sei kein Vorwurf zu machen, sagt Mehringer: "Ich erachte das als Hauptaufgabe der Presse in einer westlichen Demokratie: Wenn solche Thematiken vorliegen, müssen sie veröffentlicht werden. Die Presse muss Denkanstöße liefern und die Gesellschaft muss darüber diskutieren."

"Es ist für unsere Gesellschaft von Bedeutung, sich damit zu beschäftigen"

Für den Juristen Georg Els, langjähriger Bürgermeister von Forstern und FW-Fraktionsvorsitzender im Kreistag, ist "dieses Pamphlet, dieses Blatt aus seiner Schulzeit mehr als fragwürdig". 35 Jahre seien zwar lange her, doch die Sache müsste Aiwanger sicher noch genau im Gedächtnis habe. Er habe ja vor dem Disziplinarausschuss erscheinen müssen. "So etwas vergisst du nicht, das weißt du ganz genau!", sagt Els.

Unter lückenloser Aufklärung versteht Els deshalb, dass Aiwanger fortan nicht mit dem Hinweis auf Erinnerungslücken ausweichen dürfe. "Es dürfen keine Nebellöcher bleiben", sagt Els, "nur so kann man die Freien Wähler, die Sympathisanten und die Wähler davon überzeugen, dass er der richtige Mann als unser Spitzenkandidat ist." Els sieht noch einen Punkt von allgemeiner Wichtigkeit: "Es ist für unsere Gesellschaft von Bedeutung, sich damit zu beschäftigen. Wenn solche Dinge vor 35 Jahren in einer Schule kursiert sind, besteht heute genauso die Gefahr, dass so etwas in Umlauf ist. Das waren und sind keine Bagatellen."

Birgit Obermaier aus Pastetten ist Listenkandidatin der Freien Wähler bei der Landtagswahl. Vor zwei Jahren trat sie als Bundestagskandidatin im Wahlkreis Erding-Ebersberg an. Sie ist studierte Politikwissenschaftlerin, war Journalistin und ist aktuell Pressereferentin. Sie findet es "schon sehr blamabel" für die SZ, dass sich Hubert Aiwangers Bruder als Verfasser des "ekelhaften Schreibens" gemeldet hat. Gleichwohl "gibt es noch offene Fragen". Obermeier findet aber, dass nicht nur Hubert Aiwanger noch zur Aufklärung beitragen müsse, sondern auch andere. "Ich frage mich zum Beispiel, was treibt den ehemaligen Lehrer an."

Der letzte Anruf in Sachen Aiwanger geht an Benno Zierer, der als Freisinger Landtagsabgeordneter für die Freien Wähler auch den Landkreis Erding betreut. Er ist kurz angebunden: "Ich bin von der SZ restlos enttäuscht", schimpft er, weil sie "Dinge rauszieht, die so alt sind wie stinkende Windeln und sie vier Wochen vor der Wahl aufbauscht." Er werde sein Abo kündigen.

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